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Bodenseeregion
Landschaft um den Bodensee (Vorarlberg, Schweiz, Deutschland). Seit dem Mittelalter formte sich die B. zu einer kulturellen Einheit, begünstigt durch ein einzigartiges Beziehungsgeflecht eines Konglomerats von wechselnden kleinen weltlichen und kirchlichen Grundherrschaften. Lang dominierend war die den See umgebende Diözese Konstanz/D, eines der größten Bistümer im deutschen Sprachgebiet, prägend für die europäische Musikgeschichte wirkten aber die Benediktinerklöster.

Das Kloster St. Gallen/CH und sein Scriptorium übte seinen Einfluss seit dem frühen Mittelalter mit Notker Balbulus, Tuotilo und Notker Labeo weit über die Klostergrenzen hinaus, auf der benachbarten Halbinsel Reichenau lehrten Walafried Strabo, Hermannus Contractus und Abt Berno. Mittelalterliche Musikpflege findet sich nachweislich auch in Pfäfers/CH, der Mehrerau, Weingarten/D und Isny/D. Als herausragendes Ereignis lockte das Konzil von Konstanz (1414–18) zahlreiche Musiker und Sänger in die Stadt am Bodensee.

Auf den weltlichen Burgen blühte der Minnesang: Reimar v. Hagenau, Burghart v. Hohenfels, Heinrich v. Tettingen, Ulrich v. Singenberg, Heinrich v. Sax, Konrad v. Altstetten, Heinrich v. Frauenberg, Schenk Konrad v. Landeck, Graf Kraft v. Toggenburg, Walther v. Klingen, Heinrich von Hardegg u. a. Dokumentarisch belegt ist diese Gattung durch mehrere Handschriften (Codex Manesse, Weingartner Liederhandschrift, Liederhandschrift des Hugo v. Montfort, die Nibelungenhandschriften [Nibelungenlied] aus St. Gallen und Hohenems). Benedikt v. Watt aus St. Gallen vertritt die Nürnberger Meistersingschule.

Träger des städtischen Musiklebens waren seit dem späten Mittelalter Pfeifer sowie Schulmeister mit ihren Schülern. Die Präzeptoren kennzeichnet eine erstaunliche regionale Mobilität, in Feldkirch/V tätig war u. a. der Lindauer Lateinschulmeister J. Vogelsang, in Bregenz Hans Harder aus Meersburg/D, später Georg Klopfer aus Dillingen/D, Alexander Jost aus Wittisau/Luzern; in Engen im Hegau/D wirkte J. C. Bösch. Die musikalische Ausbildung der Schüler war weithin anerkannt, lockte u. a. die Agenten der kaiserlichen Hofkapelle nach Feldkirch, Weingarten und Konstanz. Einen vorübergehenden Stillstand der blühenden sakralen Musikkultur brachte die Reformation, doch kamen von Seiten der Reformatoren neue Impulse. Der aus Konstanz gebürtige Johannes Zwick gab 1553 gemeinsam mit Ambrosius und Thomas Blarer das erste in der Schweiz gedruckte evangelische Gesangbuch heraus. Ganz im Sinne der Gegenreformation stand das Wirken des Jesuitenordens, insbesondere seiner Ausbildungstätten (Univ. Dillingen, Schulen u. a. in Feldkirch und Konstanz). Das sakrale Liedschaffen steht im Dienste der Marienverehrung, Beiträge liefern B. Klingenstein, H. Bildstein, Gregor Aichinger, später Laurentius v. Schnüffis (Schnifis). Die Hofkapelle der bischöflichen Residenz zu Meersburg erlangte im Frühbarock unter Kardinal Andreas von Österreich und Bischof Johann Jakob Fugger nochmals überregionale Bedeutung. Unter Bischof Fugger, einem Jugendfreund Aichingers, kommt der stile nuovo in die Region nördlich der Alpen. An seinem Hof wirkten u. a. Bildstein, Jakob Banwart, Constantin Steingaden. Verheerende Auswirkungen auf die Region hatte der Dreißigjährige Krieg, dem zahlreiche Kulturgüter zum Opfer fielen. Erst im späten 17. Jh. beginnt die Entfaltung einer stattlichen Barockkultur. Sie fand nicht nur in den weltlichen Adelsresidenzen der Montforter Grafen in Tettnang, des Grafen von Königsegg-Rothenfels in Immenstadt und in den waldburgischen Schlössern Wolfegg, Wurzach und Zeil Eingang, auf Repräsentation wurde auch in den geistlichen Residenzen Wert gelegt. Eine weithin gerühmte barocke Musikkultur gab es in der Reichsabtei Weingarten, Musikdrucke sind von den Komponisten Jakob Reiner und Michael Kraff überliefert. Enge Beziehungen zwischen den süddeutschen Benediktinerkonventen förderten den Austausch von Musikalien der hauseigenen Komponisten. Namentlich sind dabei zu erwähnen: Benedikt Müller in Bregenz/Mehrerau, Valentin Molitor und Anton Widenmann in St. Gallen, Antonius Ziggeler, Meingosus Rothach, Meingosus Gaelle aus Weingarten, die in Ochsenhausen/D wirkenden Gregor Schmid und Aemilian Rosengart. Klostereigene Kräfte wurden bei besonderen Festlichkeiten durch auswärtige höfische Musikanten unterstützt. Tettnanger Musikanten wirkten 1766 bei der Einweihung der Kirche in Ochsenhausen, sie finden wir auch bei Feierlichkeiten in den Prämonstratenserklöstern Weißenau b. Isny/D und Rot an der Rot/D.

Die außerordentlichen Fähigkeiten der in der Region tätigen Orgelbauer waren weithin gefragt, herausragende Persönlichkeiten waren im 16. Jh. die beiden Ravensburger Eusebius Ammerbach und J. Ebert, im 17. Jh. Daniel Hayl, im 18. und 19. Jh. Joseph Gabler und Johann Nepomuk Holzhay.

Mit den Klosteraufhebungen, den Änderungen der kirchlichen und politischen Situation verlagerten sich seit der Wende vom 18. zum 19. Jh. die kulturellen Schwerpunkte. Das Bürgertum in den Städten tritt als Kulturträger in den Vordergrund (Bürgerliche Musikkultur). Grenzüberschreitender Kulturaustausch findet sich in der Männerchorbewegung unter den Initiatoren H. G. Nägeli aus der Schweiz und dem Schwaben Friedrich Silcher, die den gesamten süddeutschen Raum erfasst. Ähnlich verhält es sich mit der kirchenmusikalischen Reformbewegung des Cäcilianismusim späten 19. Jh. Das Liederbuch des St. Galler Domkapellmeisters Karl Greith wurde maßgeblich für die Durchführung der Reformbestrebungen in Vorarlberg.

Nationalstaatliche Grenzen zwischen Österreich, der Schweiz und Deutschland trennen heute die Region, dennoch bemüht man sich seit dem Zweiten Weltkrieg verstärkt, Impulse zu grenzüberschreitenden Kooperationen im kulturellen Bereich zu setzen (Internationale Musiktage in Konstanz seit 1950; Gesellschaft zur Erforschung der Musik im Bodenseeraum, gegründet 1974 in Vorarlberg von W. Pass; Internationales Bodenseefestival, gegründet 1989, u. a.).


Literatur
E. Bernhauer in Montfort 33 (1981); E. Schneider in Rorschacher Neujahrsblatt 1982; F. Baser in Bodensee-Hefte 12 (1961); W. Schenkendorf in Bodensee-Hefte 7 (1956); K. Preisendanz in Bodensee-Hefte 10 (1959); [Kat.] Musik im Bodenseeraum um 1600 Bregenz 1974, 1974; E. Schneider in Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung 105 (1987); R. Münster/H. Schmid (Hg.), Musik in Bayern 1 (1972); F. Baser, Musikheimat Baden-Württemberg 1963; A. E. Cherbuliez, Die Schweiz in der deutschen Musikgeschichte 1932; H. Völkl, Orgeln in Württemberg 1986; H. Fischer/Th. Wohnhaas, Historische Orgeln in Schwaben 1982; D. Castor in Bodensee-Hefte 1986/1; G. Lenzinger in Bodensee-Hefte 15 (1964); H.-G. Bäurer in Hegau. Zs. für Geschichte, Volkskunde und Naturgeschichte des Gebietes zwischen Rhein, Donau und Bodensee 23 (1978); A. Rausch in W. Pass/A. Rausch, Mittelalterliche Musiktheorie in Zentraleuropa 1998; P. Ochsenbein/E. Ziegler (Hg.), Die Abtei St. Gallen 1 (1990); R. Schnell in W. Wunderlich (Hg.), St. Gallen 1 (1999); J. Duft, Geistliche Barockmusik in der Abtei St. Gallen 1999; Fs. zur 900 Jahr-Feier des Klosters 1056–1956 , Weingarten 1956; M. Schuler in Die Bischöfe von Konstanz 2 (1988); [Kat.] Nibelungenlied Bregenz 1979, 1979; Senn 1954; B. Moeller, Johannes Zwick und die Reformation in Konstanz 1961; B. Moeller (Hg.), Der Konstanzer Reformator Ambrosius Blarer (1492–1564), 1964; B. Büchele in Oberland. Kultur Geschichte Natur. Beiträge aus Oberschwaben und dem Allgäu 9 (1998); U. Höflacher in P. Eitel (Hg.), [Fs.] Weißenau in Geschichte und Gegenwart 1983; L. M. Kantner/M. Ladenburger in M. Herold (Hg.), Ochsenhausen 1994; B. Büchele in R. Reinhardt (Hg.), Die Reichsabtei St. Georg in Isny 1996; G. Günther, [Kat.] Musikalien des 18. Jh.s aus den Klöstern Rot an der Rot und Isny 1997; K. H. Burmeister, Geschichte der Stadt Tettnang 1997, 143 u. 146; Th. Wolf in J. Jahn (Hg.), Geschichte der Stadt Memmingen 1 (1997), 659f.

Autor*innen
Annemarie Bösch-Niederer
Letzte inhaltliche Änderung
18.2.2002
Empfohlene Zitierweise
Annemarie Bösch-Niederer, Art. „Bodenseeregion‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 18.2.2002, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001fc5d
Dieser Text wird unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.


DOI
10.1553/0x0001fc5d
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