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Burgenland
Das östlichste Bundesland Österreichs (ca. 4.000 km², 297.000 Einwohner); es ist das jüngste in zweifacher Hinsicht: Erst nach dem Ersten Weltkrieg, mit den Friedensverträgen von St. Germain (1919) und Trianon (1921), zu Österreich gelangt, hat das B. auch vorher noch nicht als politische Einheit existiert. Während die Westgrenze des Landes der „historischen“ Binnengrenze der ehemaligen Donaumonarchie zwischen „Cis- und Transleithanien“ entspricht, erfolgte nun im Osten eine neue Grenzziehung zu Ungarn, wobei die Region von ihren historisch gewachsenen städtischen Zentren abgeschnitten wurde: im Norden Ödenburg/Sopron (1921 Volksabstimmung), im Süden Steinamanger/Szombathely, die beide bei Ungarn verblieben, während Pressburg/Pozsony/Bratislava zur Hauptstadt der neugegründeten Slowakei wurde. Zur Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft 1938–45 war das B. als politische Einheit überhaupt aufgelöst und auf die Gaue Niederdonau und Steiermark aufgeteilt.

Die Freistadt Eisenstadt, seit 1925 Sitz des Landtages und der Landesregierung, wurde erst 1965 zur Landeshauptstadt des B.es erklärt, ist seit 1960 Sitz einer eigenen katholischen Diözese und erhielt 1982 ein selbständiges Landesstudio des ORF. Die Bevölkerung des B.es weist neben einer ungarischen auch eine starke kroatische Volksgruppe (resultierend aus einer bereits seit dem 16. Jh. erfolgten Ansiedlung) auf; die jüdischen Gemeinden („Sieben-Gemeinden“) und die Roma-Volksgruppe (Roma und Sinti) wurden während der nationalsozialistischen Herrschaft stark dezimiert.

Angesichts der historischen Umstände kann man daher kaum von einer Musikgeschichte des B.es sprechen (erst seit 1921), sondern von einer Musikgeschichte der „burgenländisch-westungarischen“ bzw. der sog. „pannonischen“ Region, womit das Bestreben verbunden ist, den vielfältigen kulturellen Verflechtungen diesseits und jenseits der späteren Grenzziehungen, den Überschneidungen zwischen „österreichischer“ und „ungarischer“ Musikgeschichte, gerecht zu werden.

Im Mittelalter und der frühen Neuzeit sind die musikhistorischen Zeugnisse in diesem Raum spärlich: Aus verschiedenen Quellen geht andeutungsweise hervor, dass auch auf den Burgen der westungarischen Magnaten im Mittelalter Musik gepflegt wurde (hier ist der Name Peter der Wachtelsack überliefert). Immerhin sollen zwei Ortsnamen des heutigen B.es Hinweise auf musikalische Tätigkeiten enthalten: Bubendorf („Dorf der singenden Burschen“) und Drumling („bei den Trommlern“). Erst mit dem ausgehenden 16. Jh. werden die Nachrichten reicher. Im Süden sind es v. a. die Residenzen der Magnaten, der Grafen Nádasdy (Sárvár) und Batthyány, auf denen Hofmusik zur Entfaltung kam. Von dem Orgelbauer Burján aus Kremnitz (Kőrmőc) erwarb Graf Balthasar III. Batthyány (1543–90) 1574 ein für den inzwischen verstorbenen Erzbischof Verancsics angefertigtes Instrument (heute: Burg Güssing), das mit der aus dem 17. Jh. stammenden Orgel der Fischerkirche in Rust zu den ältesten Instrumenten des B.es zählt. Unter ihm, der zum protestantischen Glauben übergetreten war, entstand auch das sog. Batthyány-Graduale, in dem Gregorianische Melodien (Choral) für den protestantantischen Gebrauch umgearbeitet sind. Daneben ist auch die Existenz von Feldmusiken (bevorzugtes Instrument der Dudelsack, ab 1560 verdrängt von der türkischen Pfeife) und Tanzmusik (Harfe, Zimbel und Geige). Neben Instrumentalisten wurden ab 1590 an den Batthyánischen Höfen auch Sänger beschäftigt. Jene Höfe, die sich den Luxus eigener Hofmusik nicht leisten konnten, „borgten“ sich Musiker für Hochzeiten gegen Entgelt aus, wie die Nádasdy, Zrinyi oder umgekehrt Graf Nikolaus Esterházy, der 1619 seine Hofmusik nach Siebenbürgen „entlehnte“.

Möglicherweise stammt das erhaltene Stimmbuch eines Petrucci-Druckes der Messen Josquins (Liber secundus, Venedig 1515), das heute in der Bibliothek des Franziskanerklosters in Güssing liegt, aus Batthyányschen Beständen. Auch aus anderen Bereichen bewahrt diese Bibliothek interessante Einzelstücke auf.

Während des 17. und 18. Jh.s traten im Norden der Region die königlichen Freistädte Pressburg und Ödenburg als Impulsgeber für die musikalische Entwicklung hervor, die sich im Königreich Ungarn vielfach im Zeichen des Protestantismus (Reformation) vollzog. In der Gruppe der von der Gegenreformation aus Pressburg nach Stuttgart vertriebenen protestantischen Musikergruppe um den Director musices Samuel Capricornus (1628–65) befanden sich auch zwei auf dem Gebiet des heutigen B.es Geborene: dessen Vetter Georg Christoph Strattner (* 1644 Gols, † 1701 Weimar) und der in Rust geborene Johann Georg Kusser, dessen Sohn Johann Sigismund (* 1660 Pressburg, † 1727 Dublin) als Opernkomponist in Hamburg und Stuttgart musikhistorische Bedeutung erlangen sollte. Kussers Vetter J. Wohlmuth, ebenfalls aus Rust gebürtig, wo er ab 1672 als Organist tätig war, ist ab 1686 als Organist und Virginalist in Ödenburg nachweisbar. Er unterrichtete um 1687 die beiden Söhne Fürst Pauls I. Esterházy im Clavichordspiel. Wohlmuth ist vermutlich auch der Verfasser des Starckschen Klavierbüchleins (Ödenburg, ca. 1690). Aus dem 17. Jh. ist auch ein Zeugnis slawischer protestantischer Kirchenmusik überliefert, die Sammlung geistlicher Lieder Dusevne Pesne des Kroaten Grgur Mekinich Pythiraeus (Deutschkreutz 1609 und 1611).

Zu überregionaler Bedeutung gelangt die Musikgeschichte der westungarischen Region aber schließlich durch die Hofkapelle (Adelskapellen) der katholischen Magnatenfamilie Esterházy, die 1618 von Kaiser Ferdinand II. mit den Herrschaften Forchtenstein und Eisenstadt belehnt wurde. Deren Hofmusik erreichte ihre Blütezeit um die Mitte des 18. Jh.s, wo sie durch G. J. Werner (Kapellmeister ab 1728), aber v. a. J. Haydn (Kapellmeister ab 1761) zu internationalem Ruf gelangte. Nach dem Weggang J. N. Hummels wurde der Musik- und Theaterbetrieb am Eisenstädter Hof aufgelöst, die Bewerbung L. Cherubinis um die Hofkapellmeister-Stelle nicht mehr angenommen. Erwähnt sei auch der komponierende Eisenstädter Franziskanerpater G. Dettelbach.

Während sich für Eisenstadt trotz seines „historischen“ Orts über das gesamte 19. Jh. kein öffentliches bürgerliches Musikleben nachweisen lässt, das jenem Ödenburgs oder Pressburgs dieser Periode gleichkäme, liegen in Westungarn die Geburts- und Heimatorte mehrerer bedeutender Musiker, von denen keiner seine Wirkungsstätte in der Heimatregion selbst fand: F. Liszt, Michael Brand, J. Joachim, C. Goldmark.

Zur Zeit der Ersten Republik (1921–38) war das neugegründete Bundesland – noch zu wenig gefestigt, als dass der Aufbau eines geordneten Musiklebens möglich gewesen wäre – überwiegend damit beschäftigt, zunächst seine kulturelle Identität zu suchen, die man in den Symbolfiguren Haydn und Liszt fand. Eine kontinuierliche bürgerliche „Haydn-Pflege“ durch diverse Kunstvereine und Liedertafeln hatte bereits 1898 eingesetzt, als von Ödenburg aus alljährlich Karfreitagsaufführungen von Haydns Sieben Worten in der Eisenstädter Bergkirche veranstaltet wurden; der ebenfalls zunächst von Ödenburg ausgehende „Liszt-Kultus“, der mit Liszts letztem Besuch in seinem Heimatort Raiding 1881 einsetzte, zeitigte zum Liszt-Zentenarium 1911 die Einrichtung eines Liszt-Gedenkmuseums im Geburtshaus. Diese Impulse wurden in der Zwischenkriegszeit fortgesetzt, wobei besonders die offiziellen Liszt-Feiern 1926 und 1936 in das Fahrwasser aktueller politischer Ideologien gerieten. Immerhin war es der 1926 gegründete Eisenstädter Heimat- und Naturschutzverein, der zentral und landesweit Musikalien und Musikergedenkstücke sammelte und sich in der Folge des Haydn-Zentenariums 1932 um den (1938 erfolgten) Ankauf von Haydns ehemaligem Wohnhaus in Eisenstadt verdient machte, in dem bereits 1935 ein Haydn-Museum eingerichtet wurde. Politisch geprägt war naturgemäß der Wettbewerb um Text und Komposition der (seit 1945 bis heute gültigen) Landeshymne, der 1935/36 durch die Vaterländische Front veranstaltet wurde (Hymnen).

Auch in dem nach 1945 wiedererrichteten Land ging der Aufbau des Musiklebens angesichts der wirtschaftlichen Schwierigkeiten und der zehnjährigen sowjetischen Besatzung zunächst nur schleppend voran. Ab 1947 gelang die schrittweise Einrichtung eines landesweiten Musikschul-Wesens im Rahmen des Burgenländischen Volksbildungswerks (erst seit 1993 auf Basis eines Landesgesetzes); 1971 wurde das Landes-(„Joseph Haydn“-)Konservatorium in Eisenstadt gegründet, 1966 erhielt der Süden des Landes in Oberschützen eine Expositur der Musikhochschule Graz, die seit den 1970er Jahren im Kulturzentrum des Ortes untergebracht ist. (Die ab 1972 errichteten insgesamt 5 burgenländischen Kulturzentren sollen das kulturelle Angebot, die ein städtisches Zentrum zu bieten imstande wäre, ersetzen und die Abwanderung heimischer Kräfte verhindern.) Infolge des Fehlens universitärer Einrichtungen übernahmen das Burgenländische Landesarchiv und das Landesmuseum (dem die Haydn- und Liszt-Gedenkstätten als Außenstellen angegliedert wurden) auch die wissenschaftliche Aufarbeitung der Musikgeschichte der Region.

Das offizielle B. hat seine kulturellen Symbolfiguren wohl in erster Linie in Haydn und in zweiter in Liszt gefunden: Die seit den 1950er Jahren immer wieder unternommenen Anläufe zur Etablierung eines Haydn-Festivals in Eisenstadt führten 1987 zur Gründung eines Vereines Burgenländischer Haydnfestspiele, der seit 1989 jeweils im September im Schloss Esterházy seine Internationalen Haydntage (mit der Neuen Österreichisch-ungarischen Haydnphilharmonie als Orchester „in residence“) veranstaltet. 1982 wurde Haydn in Eisenstadt eine Landesausstellung (Ausstellungen) gewidmet. Nach dem bereits 1976 gefassten Entschluss zur Gründung einer Haydn-Stiftung wurde 1993 eine Internationale Joseph Haydn Privatstiftung ins Leben gerufen, die 1998 mit dem Haydn-Museum zu einem „Haydn-Zentrum“ vereint wurde. Die Beschäftigung mit Liszt, dem 1981 und 1986 Sonderausstellungen des Landes gewidmet waren, wurde in den 1980er Jahren sehr durch die offizielle Kulturdoktrin einer „pannonischen Zusammenarbeit“ mit den östlichen Nachbarn über den Eisernen Vorhang hinweg gefördert. Zu erwähnen sind die seit 1975 vom European Liszt Centre veranstalteten Liszt-Symposien, die auch über das Land hinaus den Beginn einer internationalen Liszt-Renaissance markierten. 1996–98 hatte man in Eisenstadt auch jeweils zu Pfingsten die Veranstaltung von Eisenstädter Liszt-Tagen gewagt. In weiterer Linie sind die entsprechenden Gedenkfeiern für Hummel (1978, 1987) und Goldmark (1996) zu nennen.

Von überregionaler Bedeutung sind die 1957 von H. Alsen gegründeten Seefestspiele Mörbisch, die seit 1993 unter H. Serafin stark ausgebaut wurden, die 1981 vom Pfarrer J. Herowitsch unter der künstlerischen Leitung von G. Kremer ins Leben gerufenen Lockenhauser Kammermusiktage und das Jazzfest Wiesen, das die Nachfolge der Musikforen Ossiach, Viktring und Breitenbrunn antrat. An neu gegründeten Ensembles sind zu nennen: das Streichquartett des Landes B., das mit den Seefestspielen Mörbisch in Zusammenhang stehende Symphonieorchester B., das Pannonische Blasorchester mit Sitz in Oberschützen, das 1992 gegründete junge Joseph Haydn Trio Eisenstadt und das Klavierduo Kutrowatz.

Abseits der verschiedenen Festspiele wird das lokale Musikleben des Landes v. a. durch lokale private Vereine getragen (Haydnorchester Eisenstadt, Lisztverein Raiding, Güssinger Musikverein usw.). Die 60 Laienchöre des Landes sind im Burgenländischen Sängerbund zusammengefasst, die 50 lokalen Blasmusikkapellen haben sich im Burgenländischen Blasmusikverband zusammengeschlossen. Die Volksmusikpflege war im Land stets intensiv; das Volksliedarchiv des Landes zählt über 14.000 Inventarnummern. Für die Musikinformationen der kroatischen Volksgruppe sind die sog. Tamburizza-Kapellen (nach dem Instrument Tamburica) typisch.

Unter den Komponisten des B.es sei v. a. auf P. Zauner (Komponist der Landeshymne, 1936), A. Klafsky, J. Takács, O. Strobl, F. Zebinger, W. R. Kubizek, F. Hautzinger und G. Krammer verwiesen. Die zeitgenössischen Komponisten haben sich im 1993 gegründeten Verein KIBu (Komponisten und Interpreten des B.es) zusammengeschlossen. Das Kulturreferat des Landes vergibt seit 1975 in Zwei- bzw. Dreijahresintervallen Förderungs- und Würdigungspreise in der Sparte Musik und schreibt in regelmäßigen Abständen Stipendienwettbewerbe aus.


Literatur
A. Ernst, Geschichte des B.es 1987; G. Schlag, B. Geschichte, Kultur und Wirtschaft in Biographien 1991; [Kat.] Haydn 1982; M. Horányi, Das Esterházysche Feenreich. Beiträge zur ungarischen Theatergeschichte des 18. Jh.s 1959; [Kat.] J. N. Hummel Eisenstadt 1978, 1978; [Kat.] F. Liszt Eisenstadt 1986, 1986; ÖMZ 25/2 (1970); J. L. Mayer in G. Reingrabner/G. Schlag (Hg.), Reformation und Gegenreformation im pannonischen Raum 1999; J. L. Mayer in Pannonia 22/4 (1994); G. J. Winkler in H. Prickler/ J. Seedoch (Hg.), Eisenstadt. Bausteine zur Geschichte 1998; G. J. Winkler in G. Schlag (Hg.), [Fs.] H. Schmid 1998; G. J. Winkler in Burgenländische Forschungen, Sonderbd. 13 (1994); J. Dobrovich/I. E. Dobrovich, Volksmusik im B. – Spricanje. Das Toten-Abschiedslied der Kroaten in B. 1999; H. Dreo et al., Ein burgenländisches Volksliederbuch 1988; H. Dreo et al. (Hg.), Musikalische Volkskultur im B. 1988; H. Dreo/S. Gmasz, Burgenländische Volksballaden 1997; G. Haid in Burgenländische Heimatbll. 39/3 (1977); H. Zwittkovits, Die Pflege der zivilen Blasmusik im B. 1993.

Autor*innen
Gerhard J. Winkler
Letzte inhaltliche Änderung
28.2.2023
Empfohlene Zitierweise
Gerhard J. Winkler, Art. „Burgenland‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 28.2.2023, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001f99d
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© Monika Kornberger
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10.1553/0x0001f99d
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