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Divertimento
Werktitel, dem Italienischen (= Unterhaltung, Vergnügen) entnommen und ab Ende des 17. Jh.s von Norditalien aus im süddeutsch-österreichischen Raum immer stärker verwendet. In der 2. Hälfte des 18. Jh.s wird das D. zwar gern im Französischen mit „Divertissement“ übersetzt, ist aber im Allgemeinen vom französischen „Divertissement“ strukturell zu unterscheiden. Im D. der Wiener Frühklassik wird die kurzgliedrige und gern symmetrisch aufgebaute Melodie in der Oberstimme mit Begleitung durch die anderen untergeordneten Instrumentalisten und im Allegro die binäre Sonatensatzform eindeutig bevorzugt. Es bleibt vornehmlich auf Komponisten im Kernland von Habsburg-Österreich und im Süddeutschen (Bayern) von ca. 1750 bis ca. 1790 beschränkt. Die Berliner und Norddeutschen lehnen in den 1760er Jahren das mehrstimmige D. ab und fordern nach wie vor die Triosonate, während die Wiener selbstbewusst das D.hafte verteidigen. Erst um 1800 heißt es dann allgemein, dass dem D. der „Charakter“ fehle. Die neuen Gattungsbezeichnungen Quartett und Quintett usw. sind jetzt üblich; J. Haydn tauscht nach 1800 in seinem Werkverzeichnis, dem sogenannten Entwurfkatalog (EK), vereinzelt die Bezeichnung D. mit den neuen Gattungstiteln aus.

Das D. ist zunächst als eine freie Form instrumentaler Unterhaltungsmusik und als eine Art Ober- oder Sammelbegriff betrachtet worden; es habe Ähnlichkeiten (oder sogar Überschneidungen) mit der Cassation, Serenade, Notturno oder (Feld-)Parthie (Feldmusik). In Untersuchungen der letzten vierzig Jahre ist aufgezeigt worden, dass – auch im Sinne der 2. Hälfte des 18. Jh.s (Koch-Lex. 1802 mit differenzierenden Ansätzen) – das D. ab vier und mehr niedergeschriebenen Stimmen als eine eigene musikalische Gattung angesehen werden darf und nicht einfach in die Gattung Streichquartett (mit festgelegter Besetzung) oder Streichquintett eingegliedert werden sollte. Diese (Teil-) Ergebnisse setzen voraus, dass nicht die lasche Behandlung und Auswechselung von Werküberschriften (-titeln) durch zeitgenössische Kopisten und Musikverleger, sondern die authentischen Bezeichnungen der Komponisten zugrunde gelegt werden. Eine noch bessere Darstellung der Zusammenhänge dürfte ermöglicht werden, wenn die zu untersuchenden Werke auch durchgehend chronologisch bestimmt und weitere einschlägige Kompositionen untersucht worden sind; das gilt besonders für Divertimenti L. Hofmanns, C. Ditters von Dittersdorfs, Carl Handes u. a., ebenso für wenig beachtete süddeutsche (bayerische) Komponisten. – In der Wiener Klaviermusik scheint der Titel D. mehr konventionell verwendet worden zu sein; J. Haydn und G. Ch. Wagenseil, Letzterer allerdings nicht ganz konsequent, schließen darin das Menuett ein.

Es gibt ab der Mitte des 18. Jh.s in den österreichischen und süddeutschen Ländern in der zyklischen Anordnung des D. individuelle und regionale Unterschiede. Durch J. Haydn wird im Wiener Raum die symmetrische Anordnung von fünf Sätzen beliebt:

Allegro – Menuet – Andante (oder Adagio) – Menuet – Allegro (oder Presto)

So verfährt J. Haydn in seinen Divertimenti a quadro op. 1 und 2 konsequent; in op. 9 und 17 wird durch Wegfall des zweiten Menuetts ein viersätziger Zyklus. J. Haydn benutzt den fünfsätzigen symmetrischen Typus ebenfalls in seinen mehrstimmigen Divertimenti und auch in der Feldparthie. Haydn dient darin anderen Komponisten als Vorbild. In der etwas freieren Salzburger Tradition wird dagegen durch Serenaden-Einfluss die Sechssätzigkeit gern gewählt, bei der vor dem ersten Menuetto noch ein langsamer Satz zusätzlich eingeschoben wird. W. A. Mozart hat in seinem späten D. für Violine, Viola und Violoncello (KV 563) von 1788 darauf zurückgegriffen. Später wird aus dieser Art das „grand Trio“ für diese festgelegte Besetzung. J. Haydns Divertimenti per il Pariton, Viola e Basso (in der J. Haydn-GA Baritontrios genannt) sind dagegen dreisätzig in verschiedenen festgelegten Folgen.

Die Ausführung des D. a 4 oder a 5 (etc.) war anfangs – vermutlich bis Ende der 1760er Jahre – in der tiefsten Stimme, „Basso“ genannt, verschieden. Zusätzlich zum Violoncellisten konnte ein Kontrabassspieler hinzutreten oder eventuell auch alleine diesen Part übernehmen. Der damalige fünsaitige Wiener Kontrabass und der Wechsel vom 16- zum 8-Fuß-Spiel ermöglichte auf diesem Instrument diese Wiedergabe der „Basso“-Stimme. In Divertimenti W. A. Mozarts (Salzburger Tradition?) ist auch die orchestrale Ausführung angebracht. Im frühen D. konnten „ad libitum“-Instrumente (meist Bläser) hinzutreten. Im bayerischen Raum ist das D. noch um 1800 anzutreffen. In Regensburg geht der Hofkapellmeister Theodor von Schacht zyklisch ziemlich frei mit dem D. um (bis zur Zwölfsätzigkeit).

Erst im 20. Jh. wird das D. von Komponisten verschiedener Länder in der Welt wieder aufgenommen, ohne dass – entsprechend dem damaligen Wissensstand – bestimmte zyklische Strukturen oder feste Besetzungen bevorzugt werden. Ein Unterhaltungscharakter nach dem Wiener Vorbild des 18. Jh.s bleibt diesem D. des 20. Jh.s erhalten.


Literatur
Lit (alphabetisch): M. Fillion, The Accompanied Keyboard Divertimenti of Haydn and His Viennese Contemporaries (c. 1750–1780), Diss. Ithaca 1982; L. Finscher, Studien zur Geschichte des Streichquartetts 1 (1974); O. L. Gibson, The Serenades and Divertimenti of Mozart, Diss. Denton 1960; G. Hausswald in AfMw 9 (1952); G. A. Henrotte, The Ensemble D. in Pre-Classic Vienna, Diss. Chapel Hill 1967; R. Hess, Serenade, Cassation, Notturno und D. bei Michael Haydn, Diss. Mainz 1963; E. R. Meyer in Music Review 29 (1968); W. Ruf in HmT 1985/86; M. Ruhnke in D. Berke/H. Heckmann (Hg.), [Fs.] W. Rehm 1989; W.-D. Seiffert, Mozarts frühe Streichquartette 1992; L. Somfai in Beiträge zur Aufführungspraxis 1 (1972); H. Unverricht, Geschichte des Streichtrios 1969; H. Unverricht (Hg.), Gesellschaftsgebundene instrumentale Unterhaltungsmusik des 18. Jh.s. 1992; K. Winkler in Mf 33 (1980)

Autor*innen
Hubert Unverricht
Letzte inhaltliche Änderung
18.2.2002
Empfohlene Zitierweise
Hubert Unverricht, Art. „Divertimento‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 18.2.2002, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001cbcd
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