Als weitere, inhaltliche Gliederungskriterien lassen sich das spezifische Künstlertum der Protagonisten, weiters (bei Musikern) die Unterscheidung in schöpferische und interpretierend-virtuose Gestalten, endlich die Differenzierung nach historischen und erfundenen Personen einführen, wobei in manchen Fällen die Grenzen verschwimmen, sodass wir nur selten Idealtypen, zumeist hingegen Mischtypen vorfinden.
Im Bereich der Bildenden Kunst stellt der florentinische Goldschmied Benvenuto Cellini (Hector Berlioz, 1838) das Muster des kraftvollen, schier berserkerhaften Kreator dar, während sein Pendant Cardillac (Paul Hindemith, 1926 bzw. 1952) eine Spielart des Künstlers verkörpert, der sich in seinem zwangsneurotischen Liebesverhältnis zum Geschaffenen von den Werken nicht trennen kann und darüber zum Mörder wird. Mathis der Maler (Hindemith 1938) wiederum leidet und scheitert schließlich am Widerspruch zwischen kreativer Mission und menschlich-politischer Herausforderung, letztlich an der Dialektik von Kunst und Leben. Unter den Dichtern gehört E. T. A. Hoffmann als Titelheld (Offenbach, Les contes d’Hoffmann 1881) zu den gesellschaftlichen Außenseitern, die der Spannung zwischen politischem Ideal und vertrackter Realität nicht gewachsen sind, sich in den Rausch flüchten und ihr persönliches Lebensglück verspielen. Der Lyriker und Freigeist André Chénier (Umberto Giordano, 1890) wird von einem ideellen Wegbereiter der politischen Freiheit in Frankreich zu einem Todesopfer des Tribunals: die Revolution verschlingt ihre Väter. Der Schuster und Poet Hans Sachs (Rich. Wagner, Die Meistersinger von Nürnberg 1868), eine Mischung aus authentischem Vorbild und Kunstfigur, wird mit seiner ästhetischen Souveränität, seiner menschlichen Reife und der Fähigkeit zu Ausgleich und Verzicht zu einer Projektionsgestalt, zu einem Wunschbild des Dichterkomponisten Wagner. In den Operetten Boccaccio (F. v. Suppé, 1876) und dem Singspiel Friederike (F. Lehár, 1928) werden die Protagonisten, also der florentinische Novellist bzw. Goethe, zu empfindsamen Liebhabern stilisiert, aber auch zu eindimensionalen Persönlichkeiten verflacht. In Sly (Ermanno Wolf-Ferrari, 1927) gerät die genialische, aber verkommene Titelfigur, ein „Dichter und Sänger“ in die Mühle eines abgekarteten Gesellschaftsspiels: das ernüchterte Erwachen treibt ihn in den Suizid.
Unter den „ausübenden“ Musikern evoziert die Primadonna Floria Tosca (G. Puccini, 1900) zusammen mit ihrem Liebhaber, dem Maler Mario Cavaradossi ein künstlerisches Milieu, in das freilich politische Intrige und infame Polizeigewalt zerstörerisch eindringen. In Der Rosenkavalier und Capriccio (R. Strauss, 1911 bzw. 1942) haben der Sänger bzw. ein italienisches Belcanto-Paar nur episodische Bedeutung: Sie geben dem Komponisten Gelegenheit zu fremdem musikalischem Kolorit und zur Karikatur von Starallüren.
Fiktive schöpferische Musiker der Opernbühne sind u. a. Schaunard (Puccini, La Bohème 1896) und Flamand (R. Strauss, Capriccio 1942). Während der erstere im Quartett der Bohemiens den leichtlebigen, optimistischen Sanguiniker verkörpert, dessen Temperament sich vom Melancholiker und Dichter Rodolfo, dem Choleriker und Maler Marcello sowie dem Phlegmatiker und Philosophen Colline deutlich abhebt, wird Flamand in Text und Musik als der weichere, empfindsamere und schwärmerische Charakter dem männlich-offensiven Dichter Olivier entgegen gestellt.
Unter den historischen Komponisten als Opernfiguren ragt der Protagonist von H. Pfitzners musikalischer Legende Palestrina (1917) hervor. Sein intensives Quellenstudium hat der Dichter-Komponist freilich auch mit eigener Lebens- und Schaffensproblematik verquickt und bereichert. Im Porträt des unzeitgemäßen, vereinsamten und von Selbstzweifeln gequälten Musikers hat man wohl mit Recht autobiographische Züge, aber auch Momente der Projektion wahrgenommen. Dagegen ist Alessandro Stradella (F. v. Flotow, 1844) wenig mehr als das Klischee eines kreativen Menschen, der sich einer von Liebesdingen und boshaften Intrigen beherrschten komischen Oper dank seiner Kunst gegen alle Anfechtungen siegreich behauptet. Der Paganini aus Lehárs Operette (1925), Geigenvirtuose und Komponist, setzt reichlich sentimental den dialektischen Widerspruch von Schöpfertum und (Liebes-)Glück. Als ein Werk aus Lehárs opernaffiner Spätzeit endet das Stück nicht mit dem genreüblichen Happyend, sondern im privaten Verzicht.
Unter den großen Komponistennamen begegnen Fr. Schubert und W. A. Mozart immer wieder, in unterschiedlichen Gattungen und mit wechselndem künstlerischen Anspruch auf der musikalischen Bühne. Das Dreimäderlhaus (H. Berté, 1916) auf der Basis von R. H. Bartsch's Roman Schwammerl) zeichnet das Bild eines unbeholfenen, verlegenen, in Herzensdingen erfolglosen Schubert, der seine Zuflucht im Trost von Frau Musica sucht und findet. Die dadurch vermittelte Schablone hat ein bedenkliches Trivialverständnis dieses Komponisten zur Folge. Auch seine Musik wurde in weiten Kreisen nicht in ihrer Originalgestalt, sondern in der Bearbeitung (und Vertextung!) dieser Operette rezipiert und popularisiert. Dagegen versucht das Tanz- und Musiktheater… fremd bin ich eingezogen (G. Schedl, UA Salzburger Landestheater 1997) gleichsam eine Palinodie sowie eine „Kurskorrektur“. Die Kunstfigur Schubert erscheint in diesem Werk als ein beschädigter, komplexbeladener Mensch, als Opfer väterlicher Unterdrückung und politischer Zwänge.
W. A. Mozart bewegte sich in vielerlei Gestalt auf den Brettern musikalischer Theater. So als Partner E. Schikaneders während der Vorbereitung der Zauberflöte in L. Schneiders Bearbeitung des Einakters Der Schauspieldirektor (1845), als tödliches Opfer seines notorischen Konkurrenten in Mozart und Salieri (Nikolaj Rimski-Korsakow, 1898), aber auch als spukhaftes Phantom bzw. Attrappe in der zeitgenössischen Oper Mozart in New York (H. Eder, T: Herbert Rosendorfer, UA Salzburg 1991). Auch als Held eines Musicals (Mozart, Sylvester Levay, 1999) sowie im Tanztheater (Der Gottgeliebte, Musik von Mozart und Salieri, Choreographie Peter Breuer, 1995) konnte sich dieses Urbild des schöpferischen Menschen erfolgreich behaupten.
Wie schwer die Grenzen zwischen Authenzität und Fiktion verbindlich zu ziehen sind, mag die Figur des jungen Komponisten im Vorspiel von Ariadne auf Naxos (R. Strauss – H. v. Hofmannsthal, 1916) belegen, die als Erfindung des Librettisten mit Zügen Mozarts durchsetzt und pointiert erscheint.
E. W. Böhme in E. Schenk (Hg.), [Kgr.-Ber.] Internat. Stiftung Mozarteum 1931 , 1932; E. W. Böhme in MozartJb 1959; F. Jary-Janecka, Franz Schubert am Theater und im Film 2000; O. Panagl in Polyaisthesis 5 (1990); O. Panagl in U. Müller/O. Panagl, Don Giovanni in New York 1992; O. Panagl in Jb. der Wr. Staatsoper 1994.