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Lienz
Stadt am Zusammenfluss von Isel und Drau, Hauptstadt des gleichnamigen Tiroler politischen Bezirkes, der identisch ist mit dem Landesteil Osttirol. Als wichtiger Verkehrsknotenpunkt war L. schon in der frühen Bronzezeit besiedelt. Das unter K. Claudius gegründete römische municipium Aguntum entwickelte sich zu einem blühenden Handelszentrum (Austria Romana). Während der Völkerwanderung drangen Bajuwaren und Slawen in das Gebiet um L. vor. Die frühmittelalterliche Ansiedlung diente einem Kärntner Grafengeschlecht als Verwaltungssitz, das sich seit ca. 1100 als „von Görz“ bezeichnete. Schon vor 1200 bauten die Görzer L. zu einer Siedlung stadtähnlichen Charakters aus, 1242 erfolgte die erste urkundliche Erwähnung als civitas (Stadt), kurz danach die Grundsteinlegung zu Schloss Bruck, der neuen Residenz der Görzer. Zur Musik am Hof dieses mächtigen Grafengeschlechtes gibt es nur vereinzelte Belege: Minnedichtungen des Burggrafen Heinrich von L. (1. H. des 13. Jh.s) sind in der Manessischen Liederhandschrift überliefert. Im Archiv der Görzer Grafen sind Verse zu einem Osterspiel (Geistliche Spiele) aus der Zeit um 1340 erhalten, der älteste Spielbeleg in Tirol. Der letzte Görzer, Gf. Leonhard II., war mit Paola Gonzaga verheiratet, die von Kindheit an Gesang und Tanz liebte und eine umfassende humanistische Bildung erhalten hatte, was sich wohl auch auf die Musikpflege am L.er Hof auswirkte. Bei einer Firmung in Nußdorf/T 1485 hielten Leonhard und Paola feierlich Einzug, voran ritten vier Trompeter. Nach dem Aussterben der Görzer fiel das Territorium den Habsburgern zu, die die Herrschaft den Wolkensteinern verkauften. Zum Einzug von Frh. Christoph von Wolkenstein 1586 stellten die L.er Bürger fünf Trommelschläger und fünf Pfeifer. Von 1647 bis zur Säkularisation 1783 war das Herrschaftsgebiet im Besitz des Haller Damenstiftes.

1582 sind für die in ihrer heutigen Form spätgotische L.er Pfarrkirche St. Andrä erstmals ein Passionsspiel und eine Karfreitagsprozession bezeugt. 1618 wurden in dieser Kirche eine neue Westempore als Musikchor und eine große Orgel errichtet (s. Abb.). Mit dem Orgelneubau wurde der Passauer A. Butz betraut. Das Gehäuse der Butz-Orgel mit prächtigen Orgelflügeln ist erhalten, das Orgelwerk wurde aber im Laufe der Jahrhunderte immer wieder grundlegenden Umbauarbeiten unterzogen: 1737 reparierte J. Ch. Egedacher das Instrument, 1888 folgte eine substanzielle Erweiterung im aktuellen Zeitstil durch die Fa. Reinisch. I. Mitterer, der bei der Kollaudierung des Instrumentes nach dem Umbau beteiligt war, lobte Reinischs Arbeit ausdrücklich. Bereits 1903 nahm A. Fuetsch weitere Reparaturarbeiten vor, 1941–45 war das Pfeifenwerk ausgelagert. 1972 wurde die Fa. Reinisch-Pirchner mit dem Neubau einer mechanischen Schleifladenorgel in das frühbarocke Gehäuse beauftragt. Peter Paul Dietrich (1810–84) aus Flaurling/T wirkte ab 1841 bis zu seinem Tod 43 Jahre lang als Chorregent und Organist an der Stadtpfarrkirche, in der heute regelmäßig Orgel- und Kirchenkonzerte stattfinden. Er war auch als Komponist tätig, seine kirchenmusikalischen Werke waren in Tirol beliebt. Das im 13. Jh. gegründete Dominikanerinnenkloster erhielt 1691 eine erste Orgel, ein Werk des Brixener Orgelbauers F. Köck. Eine weitere Orgel für den Winterchor schuf Franz Knoll 1722, 1801 folgte die Errichtung einer Orgel auf dem Sommerchor durch einen anonymen Meister. 1852 erfolgte der Neubau einer großen Orgel und eines kleines Instrumentes auf dem Sommerchor durch J. Aigner. Diese Orgel wurde 1973 durch ein Instrument der Fa. Reinisch-Pirchner ersetzt. Diese Firma errichtete im selben Jahr auch in der evangelischen Kirche L. eine Orgel (I/9). Die Dominikanerinnen pflegten intensiv den Choralgesang und die orgelbegleitete, bevorzugt auch die landessprachliche Kirchenmusik; sie unterhielten im 19. Jh. rege musikalische Kontakte zu Musikern aus dem Franziskanerorden sowie zu J. A. Ladurner und J. G. Zangl in Brixen. Letzerer schenkte dem Kloster sein Klavier, das aber als zu weltliches Instrument wieder verkauft wurde. Der umfangreiche historische Notenbestand des Dominikanerinnenklosters L. befindet sich heute in der Musiksammlung des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum und ist in einem thematischen Katalog erfasst. Das Karmeliterkloster wurde 1349 gegründet. Der bedeutendste Musiker und Musiktheoretiker aus dem Karmeliterorden, P. Justinus Will (P. Justinus a Desponsatione B. M. V.), wirkte 1700–03 und 1721 in L. 1785 mussten die Karmeliten das Kloster räumen, und Franziskaner aus dem zum Generalseminar umfunktionierten Kloster Innsbruck hielten Einzug. Im bis heute bestehenden Franziskanerkloster waren bedeutende Franziskanerkomponisten des 19. und 20. Jh.s zeitweilig als Organisten tätig, so etwa A. Niedrist, O. Krautschneider und Ägidius Födinger. Die L.er Franziskaner pflegten im 19. und frühen 20. Jh. die ordenstypische Kirchenmusik mit zahlreichen Eigenkompositionen komponierender Ordensangehöriger. Der derzeitige (2009) Organist, P. Raimund Kreidl, trat u. a. als Komponist weit verbreiteter Kinder- und Jugendmessen hervor. 1844 errichtete F. (I) Reinisch in der L.er Franziskanerkirche eine Orgel, die 1929 von A. Fuetsch pneumatisiert und 1964 von Reinisch-Pirchner auf elektrische Anspielung umgestellt wurde. 2009 wurde ein neues dreimanualiges Instrument der Fa. Pirchner eingeweiht.

Der Stadtpfarrchorregent P. P. Dietrich war Gründungsmitglied und erster Chorleiter des L.er Sängerbundes (Männergesang). Dieser Männergesangverein wurde 1860 ins Leben gerufen und besteht bis heute. 1890 fand der dritte Sängertag des Tiroler Sängerbundes in L. statt, die musikalische Gesamtleitung lag in den Händen von J. Pembaur d. Ä. 1893 wird erstmals ein Orchester des L.er Sängerbundes erwähnt (Orchesterverein). Im frühen 20. Jh. bestanden rege Kontakte zwischen dem Sängerbund und der damaligen L.er Militärmusikkapelle. Das L.er Stadtorchester besteht seit 1948. Feste Größen der L.er Chorszene sind neben den Kirchenchören von St. Andrä und St. Marien der Arbeitergesangverein Edelweiß (Arbeiter-Musikbewegung) und der Kammerchor vokalissimo (gegründet 1965). 1824 wurde eine Bürgergarde gegründet, der sich eine als Verein organisierte uniformierte Kapelle anschloss. Das reiche Instrumentarium dieser ersten L.er Blaskapelle wurde bei ihrer Auflösung 1835 zum Kauf angeboten: drei Klarinetten in B, acht in C, eine in F, zwei Flöten in D, fünf in G, ein Fagott, zwei Hörner, eine Klappentrompete, eine Basstrompete, eine Posaune, eine große Trommel, Tschinellen, ein Glockenspiel und ein Glögglhut. Zur Zeit bestehen in L. zwei Musikkapellen: Die Stadtmusik L., die als Schützenmusik 1951 gegründet wurde und derzeit von Kpm. Raphael Lukasser musikalisch geleitet wird, und die schon seit 1919 bestehende Eisenbahner-Stadtkapelle (Kapellmeister: Robert Schmidhofer). L. ist Hauptsitz der Landesmusikschule L.er Talboden. In der ersten Hälfte des 19. Jh.s wirkte in L. der Instrumentenmacher Franz Mayr, von dem die Musikkapelle Innichen (San Candido/I) 1842 ein Kontrafagott besaß. 1830–40 war der Orgelbauer A. Hörbiger in L. ansässig und baute mehrere Orgeln in der Umgebung (Virgen, Kartitsch, Oberlienz); von 1894 bis zu seinem Tod unterhielt A. Fuetsch in L. seine Werkstätte. Auch gegenwärtig sind in L. Instrumentenbaumeister tätig: Peter Petutschnigg ist auf den Harfenbau spezialisiert, Norbert Joast baut Trompeten und Flügelhörner. Aus L. bzw. Umgebung stammen u. a. der Komponist J. Gasser und die Musikerfamilie Mitterer.


Literatur
Fs. 100 Jahre L.er Sängerbund, hg. v. L.er Sängerbund 1960; M. Pizzinini in Der Schlern 5/1966; M. Pizzinini, Die Orgel von St. Andrä – L. 1972; M. Pizzinini (Hg.), L. Das große Stadtbuch 1982; A. Forer, Orgeln in Österreich 1973; H. Herrmann-Schneider, Die Musikhss. des Dominikanerinnenklosters L. im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum. Thematischer Kat. 1984; E. Benedikt in Osttiroler Heimatbll. 61 (1993), Nr. 4; G. Allmer in Das Orgelforum 22 (September 2018); M. Abate (Hg.) Circa 1500, Kat. der Landesausstellung Schloss Bruck – Brixen – Castel Beseno 2000.

Autor*innen
Franz Gratl
Letzte inhaltliche Änderung
8.1.2020
Empfohlene Zitierweise
Franz Gratl, Art. „Lienz‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 8.1.2020, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x00233efd
Dieser Text wird unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.

MEDIEN
Orgel (1618) in der Stadtpfarrkirche St. Andrä, Lienz/T.© Rufus46, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

DOI
10.1553/0x00233efd
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