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Mistelbach
Bezirksstadt im nordöstlichen Niederösterreich. Durchgehende Besiedelung des Gebietes seit der Jungsteinzeit. 1128 Erwähnung eines „Erlewin von M.“. 1372 erhält der Ort das erste Jahrmarktsprivileg (Michaeli) und wird 1874 zur Stadt erhoben. Heute ist M. Sitz aller Ämter und Behörden mit Krankenhaus und Kaserne und versteht sich als wirtschaftliches, schulisches, medizinisches und kulturelles Zentrum des Weinviertels.

Über einen längeren Zeitraum kann die musikalische Betätigung der Einwohner nur an Hand spärlicher Informationen und weniger erhalten gebliebener Belegstücke schlaglichtartig betrachtet werden. Am 20.5.1227 trifft Ulrich v. Liechtenstein, auf seiner Venusfahrt von Korneuburg/NÖ kommend, in M. ein und siegt bei einem Turnier. Von der Pfarrschule erfahren wir erstmals 1414, der erste namentlich bekannte Schulmeister Georg v. Belwicz wird aber erst 1550 genannt. Diese Funktion war seit jeher auch mit der Leitung der Musik in der Kirche verbunden, und das bis zum Ende des 19. Jh.s, wie z. B. die Lehrerdynastie Anton, Joseph und Ludwig Gspann 1797–1893. Dieser folgte Josef Kabasta (1861–1907), der Vater des Dirigenten O. Kabasta, als Regens chori mit der Zusatzverpflichtung der Leitung einer MSch. und einer Musikkapelle.

Der Aufenthalt des Meistersingers L. Wessel aus Essen/D ist zumindest für das Jahr 1570 bezeugt. 1614 werden die Orgel (Kirchenrechnung), 1626 Gregor Sartorio (bis 1654) als Organist und 1648 Geörg Geißler als „Orgeltretter“ genannt. Das „Schwedenlied“ erinnert an die schweren Verwüstungen unter General Lennart Torstenson im Jahre 1645. Bereits 1633 berufen, übernehmen die Barnabiten erst 1661 die Pfarre; Erbauung des Kollegs (Fertigstellung 1700) mit einem Deckengemälde von Maulpertsch (1760). 1698 wird die „Hauerinnung“ gegründet, deren alle zwei Jahre stattfindendes „Ladumtragn“ eine bis heute ununterbrochene und wohl einzigartige Brauchtumspflege bedeutet. 1712 erhält die Kirchenmusik durch die Anstellung des Thurnermeisters Wolf Servatius Söbert einen neuen starken Akzent. 1717 existiert die Instrumentalhandlung des Anton Christ, von der die Wilfersdorfer Herrschaft ihre Jagdhörner bezog. Die Liste der Hausbesitzer weist 1788 Wenzel Okenfus, einen „barnabitlichen Unterthanen“, als Orgelbauer aus.

1835 gab es einen Kirchenbrand, dem auch die Orgel und das Noteninventar zum Opfer fielen, einer der Gründe dafür, dass sich nur ganz wenige Belegstücke erhalten haben, wie z. B. die 1837 handgeschriebene Theoretische Generalbaß-Lehre des Josef Gspann (1802–82); zu seinen Schülern zählte u. a. der Komponist und Sänger K. Stein. Ein wohlwollendes Gutachten verfasste Hofkapellmeister B. Randhartinger über die Elegie op. 1 der „Pianistin & Compositeurin“ L. Kahrer-Rappoldi, die sie als 11-jähriges Wunderkind komponiert hat.

1864 wurde der Männergesangverein gegründet; nach einigen Zusammenschlüssen (etwa mit dem 1892 gegründeten „Verein der Musikfreunde“) und Umwandlung in einen gemischten Chor führt der Stadtchor diese Tradition heute (2004) weiter.

Früher war der Kirtag immer der Festtag im Jahreslauf eines Ortes. Besonders erwähnenswert dazu ist die nur hier übliche „Weinviertler Kirtagsmusik“. Von 1870 bis nach dem Zweiten Weltkrieg bestand ein Repertoire, das sich an der Gesellschaftsmusik Wiens orientierte. Maßgeblich waren daran jene heimischen Geiger – meist ehemalige Militärmusiker – beteiligt, die besetzungsmäßig nicht nur eine Art Ballorchester im ländlichen Raum etablierten, sondern auch in Nachahmung der großen Vorbilder aus und um die Dynastie Strauß bedeutende Werke der Tanzmusik (Walzer, Polka usw.) schufen. Erstaunlich ist, dass es sich dabei nicht um Plagiate, sondern um Neuschöpfungen handelte. Der Stil und die Qualität dieser Stücke haben mit der überlieferten Volksmusik nichts gemeinsam, hingegen wurden durch die intensive kompositorische Tätigkeit der Dorfkapellmeister die traditionellen Tanzformen vollständig verdrängt.

1908 wurde Adolf Unger Regens chori; im selben Jahr gelangte – anlässlich der Grundsteinlegung zum Krankenhaus – der M.er Bürgerwalzer zur UA, ein Werk des damals hier als Kaplan wirkenden R. Klafsky.

1923 übernahmen die „Salvatorianer“ die Pfarre. Es wurden die Bunte Bühne und der Sängergau Nord-Ost (Sängerbund) gegründet. Seit 1936 nimmt die Stadtkapelle M. alle blasmusikalischen Belange der Stadt wahr. Für den Nachwuchs sorgt seit 1941 auch die Städtische MSch. mit ihrem reichen Fächerangebot, das ständig erweitert wird.

Ab 1975 war das Kultodrom 25 Jahre lang (bis zur Auflösung) als Veranstalter für alternative Kultur (z. B. Folk-Festival) tätig; im selben Jahr wurde – als Nachfolger des Kirchenchores – die Kantorei St. Martin gegründet. Der A capella-Chor M. (gegründet 1980) hingegen widmet sich vermehrt Musicalproduktionen und ähnlichen Großprojekten. 1981 erfolgte die Gründung der Aktion Museum M., die auch ein Konzept für ein neuzeitliches Kulturzentrum im Barockschlössl (um 1730 erbaut) entwickelt: Ausstellungen (Musikleben der Stadt M. 1986, Dirigent und Dirigieren 1996), Konzerte, Schriftenreihe, Heimatmuseum (gegründet 1898, seit 1929 hier untergebracht), Kulturzeitschrift, Jour fixe u. a. m. zählen zu den Aktivitäten.

1983 bis zur Saison 1998/99 veranstaltete die Stadtgemeinde die Weinviertler Konzertsaison; zuletzt mit dem Programmschwerpunkt UA.en und EA.en in Zusammenarbeit mit musik aktuell; 1995 erweiterte sie den 1988 geschaffenen Jugend-Umweltpreis um die Kategorie „Kulturelle Leistungen“, und seit 1994 lädt sie zu einer Reihe vielbeachteter Symposien zu den Themen O. Kabasta und Heinrich Schütz ein. Im neuen Jahrtausend stehen neben den seit 1979 alljährlich stattfindenden Internationalen PuppenTheaterTagen v. a. Veranstaltungen mit „Eventcharakter“ wie etwa die Sommerszene (Auftrittsmöglichkeit für viele heimische Gruppierungen der Unterhaltungs- und Popularmusik) oder dem Kompositionswettbewerb MusicMaker auf dem Programm.

Nach vielen und langjährigen Bemühungen wurde im November 2003 die neue „Pflüger-Orgel“ in der Stadtpfarrkirche geweiht.


Literatur
H. Bayer, [Fs.] 120 Jahre Stadtchor M. (1864–1984), 1984; E. Exl, Beiträge zum Musikleben der Stadt M., Hausarbeit MHsch. Wien 1985; E. Exl, [Kat.] Musikleben der Stadt M. I. Musiker und ihre Werke (1835–1955), M. 1986; E. Exl in W. Deutsch/R. Pietsch (Hg.), [Kgr.-Ber.] Dörfliche Tanzmusik im Westpannonischen Raum 1990; E. Exl, [Fs.] 60 Jahre Stadtkapelle M. (1936–1996), 1996; E. Exl, [Fs.] 300 Jahre Hauerinnung (1698–1998), 1998; E. Exl, M. 125 Jahre. Ein Lesebuch 1999; E. Exl (Hg.), [Kgr.-Ber.] Oswald Kabasta M. 1996, 1998; E. Exl/M. Nagy (Hg.), [Kgr.-Ber.] Oswald Kabasta M. 1994, 1995; K. Natiesta, Orgeln und Musik in der Kirche von M. (NÖ), Dipl.arb. Wien 1987; A. Nimmervoll, [Fs.] 125 Jahre Stadtchor M. (1864–1989), 1989; S. Schön, Kultodrom. Alternative Kultur in M., Dipl.arb. Wien 2000.

Autor*innen
Engelbert M. Exl
Letzte inhaltliche Änderung
14.3.2004
Empfohlene Zitierweise
Engelbert M. Exl, Art. „Mistelbach‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 14.3.2004, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001d9be
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