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Musikkonsum
Relativ junger Begriff, abgeleitet von lat. „consumare“, das ursprünglich nicht nur gebrauchen, verbrauchen oder verwenden bedeutet, sondern auch vergeuden, verschwenden oder verprassen. Auch M. hat wenigstens zwei Bedeutungsebenen, die miteinander in Beziehung stehen: 1) eine marktwirtschaftliche, die also mit dem ersten Wortsinn korreliert, und 2) die verhaltensspezifische, die den zweiten Aspekt betrifft.

1) Durch die industrielle Produktion von Tonträgern erhielt die – vorher nur schriftlich zu „konservierende“ – Musik ihre Gegenständlichkeit, der sie ihre Präsenz im Medienhandel verdankt. Zum industriellen Produkt geworden (Musikindustrie), wird sie wie jedes andere Produkt verwendet, also konsumiert, und kann u. U. auch Schäden verursachen. So findet sich der Terminus M. häufig in Zusammenhang mit Gehörbeeinträchtigungen bei Jugendlichen, ausgelöst durch extreme Lautstärke im Disco- und Clubbing-Bereich sowie durch zu lautes Musikhören mit Kopfhörern, besonders seit der Markteinführung des „Walkman“ 1979. Diese individuelle Steigerungsmöglichkeit der Dynamik ist eine Begleiterscheinung des M.s, eine weitere die Vereinheitlichung der Ausdrucksmittel bei neu erfundener Musik. Durch die bewusst einfach gehaltenen Strukturen entsteht bereits nach kurzer Zeit des Hörens „Übersättigung“, was den Konsumenten zur Anschaffung eines weiteren Produkts verlocken soll. Da hauptsächlich Jugendliche in ihrer Phase der Identitätsfindung angesprochen werden, lässt sich das Prinzip permanenten Verkaufs von Tonträgern nur bei moderater Preisgestaltung realisieren, was das Konsumverhalten beeinflusst: Es macht sich jene Sorglosigkeit im Umgang mit Musik auf Tonträgern breit, wie sie im Zeitalter der Massenproduktion, ab den 1970er Jahren, für die westliche Überfluss- und Wegwerfgesellschaft symptomatisch ist: Neuerscheinungen werden kaum mehr selektiert, sondern im Sog des Zugehörigkeitsgefühls zur jeweiligen Clique eher unreflektiert erworben.

Der Trend, seine Identität aus Kauf und Besitz von materiellen Gütern zu beziehen, hat damit auch die Musik erfasst. Sie wird im Kreislauf der Musikindustrie nicht mehr als geistiges Gut, sondern als Konsumprodukt wahrgenommen und verliert dementsprechend an Wert. Hier setzt die Konsumkritik ein, die den Vorrang materieller Werte vor sozialen und geistigen ablehnt. Analog dazu ist im wissenschaftlichen Diskurs der Terminus M. meist negativ besetzt.

2) M. bedeutet auf der Verhaltensebene freiwilliges oder unfreiwilliges Passivhören von Musik während des Alltags im Gegensatz zur bewussten Rezeption. Die Entkopplung der Musik von einem exakt definierten Aufführungsort durch die Tonaufzeichnung ermöglicht ihre Präsenz an allen erdenklichen Orten und macht sie als Stimulans geradezu unverzichtbar: in Kaufhäusern, Lokalen, Fahrzeugen, zur Beschallung von öffentlichen Räumen, Ausstellungen, bei Produktpräsentationen etc. Je nach persönlicher Gestimmtheit wird das Angebot an musikalischer Berieselung in der Öffentlichkeit positiv oder negativ bewertet bzw. ignoriert, während passives Musikhören neben Alltagsverrichtungen via Radio oder individuell gewählter Tonträger der Befindlichkeitssteigerung dient. M. liegt nur dann vor, wenn Musik nebenbei gehört wird; in der Umgangssprache hingegen tritt M. durchaus in Zusammenhang mit Musikaufnahmen ganz allgemein auf, gleichgültig, ob der Konsument passiv oder aktiv hört.

Das Nebenbeihören ist kein Phänomen des 20. Jh.s, sondern kann in der Historie überall dort begegnen, wo Musik mit einem anderen Zweck verbunden wird: Tafelmusik, Tanzmusik, Salon- und Kaffeehausmusik, z. T. auch Hausmusik. Dieses Verhalten findet sich durchaus auf Gemälden verewigt, etwa auf Josef Danhausers Bild Wein, Weib und Gesang aus 1839. Im Verlauf des 19. Jh.s verschaffte sich Musik vermehrt Präsenz im öffentlichen Raum durch Straßensänger, Musik- und Militärkapellen etc. und zwang nicht zum konzentrierten Zuhören.

Terminologisch wurde dieses Phänomen vor der Tonträger-Ära nicht eigens bedacht, sondern als unschickliches Benehmen des Publikums in Briefen, Kritiken oder Berichten angemerkt. Erst als die Verbindung der Musik zur Industrie vollzogen war, um die Mitte des 20. Jh.s, trat der Begriff M. erstmals auf.


Literatur
D. Bartz, Wirtschaft von A bis Z 2002; W. Rittenshofer, Wirtschaftslex. 2002.

Autor*innen
Margareta Saary
Letzte inhaltliche Änderung
14.3.2004
Empfohlene Zitierweise
Margareta Saary, Art. „Musikkonsum‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 14.3.2004, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001da94
Dieser Text wird unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.