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Musikleben
Wertfreier Sammelbegriff für musikalische Aktivitäten aller Art, die sich in der Öffentlichkeit manifestieren; wird hauptsächlich in Zusammenhang mit einem Ort oder einer Region gebraucht, fördert die Schicht übergreifende Kommunikation, fungiert besonders in Krisenzeiten Identität stiftend und meint in der Tourismussprache „traditionelle Musikpflege“. M. subsumiert musikalische Hochkultur, Musik im Rundfunk – etwa im Regionalsender –, weiters Volksmusik, Blasmusik, den örtlichen Kirchenchor, auch das Musikschulwesen, musikalische oder von Musik begleitete Veranstaltungen etc. M. ist positiv besetzt und nicht nach professioneller oder dilettantischer Musikpraxis, nach Kunst-, Unterhaltungs- oder Popmusik differenziert. Es handelt sich um den regional unterschiedlichen Umgang mit aktuellen Strömungen, hauptsächlich aus der internationalen Popularmusik, und traditionellem Musiziergut, wobei Art, Ausmaß und Qualität des M.s häufig von Einzelpersonen geprägt ist. Da ein Gutteil des M.s auf Privatinitiative oder in Vereinen stattfindet, bleiben Dokumente zum M. zumeist in Privatbesitz, was die Rekonstruktion der Aktivitäten mitunter erschwert, v. a. dann, wenn das örtliche M. infolge von Abwanderung oder Nachwuchsproblemen erlahmt.

Die Entstehung des Begriffs M. geht mit den politischen Veränderungen im 20. Jh. einher. Bis zum Ende der Donaumonarchie verwendete man den Begriff Musik zur Beschreibung der musikalischen Aktivitäten einer Stadt oder einer Region. Handelte es sich um ländliches Musizieren, wurde der Begriff Musik unter „Volkskunde“ rubriziert, gleichsam als Charakteristikum einer Region neben anderen. Differenzierungen erfolgten nach Gattung, Funktion oder Schicht. Der Terminus „Leben“ als Synonym für Aktivität taucht im späten 19. Jh. häufig in Verbindung mit „Volk“ auf, etwa „Wiener Volksleben“ oder „Volkswirtschaftliches Leben“ in einer Stadt oder Region.

Prinzipiell braucht Musik Träger, die sich ihrer annehmen und eine Entwicklung ermöglichen: Adel, Bürgertum, Volk. Mit der Demokratisierung Österreichs nach dem Zerfall der Donaumonarchie verlieren zwei dominante Trägerschichten, nämlich Adel und Bürgertum, an Ansehen, Macht und Geld, was zu einem gewissen Rückzug aus der Musik führte. Im Bereich der Hochkultur wurde der drohende Zusammenbruch durch frühe Formen des staatlichen Subventionswesens verhindert. Nun sorgte die anonyme Allgemeinheit für die Aufrechterhaltung des Musikbetriebs, faktisch das Volk durch Steuerleistungen. Musik war nicht länger Prestigeobjekt der Wohlhabenden, sie sollte jedermann zugänglich gemacht werden, was u. a. spezielle Programme der Sozialdemokraten (z. B. Kunststellen) ermöglichten: Das gemeinschaftliche Singen im Arbeitersängerbund (Arbeiter-Musikbewegung) festigte das Zusammengehörigkeitsgefühl, schuf Identität, reichte aber noch nicht über die Grenzen der Gesellschaftsschichten hinweg.

Durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten erfuhr diese Entwicklung ein jähes Ende, die Begriffe „Musik“ oder „Volk“ wurden missbräuchlich verwendet. Terminologisch war für regionale Alltagsmusik der Begriff „Volksmusik“ unhaltbar, nicht zuletzt wegen des neuen Selbstverständnisses: Aus dem Volk wurde die Bevölkerung, die sich – je nach Ausbildung und Begabung – in Laienchören, in der örtlichen Blasmusik etc. musikalisch betätigte. Am Ende des 20. Jh.s waren die Barrieren durch Schicht-Zugehörigkeit beim Musizieren durchaus aufgehoben, das indessen perfektionierte Subventionswesen wurde eingeschränkt.

Da im Bereich der musikalischen Alltagskultur sowohl vokal als auch instrumental das jeweilige Repertoire gattungsunabhängig zusammengestellt wurde und in der Hochkultur die Grenzen zur Popularkultur in der zweiten Hälfte des 20. Jh.s zu verschmelzen begannen, fielen die letzten Differenzierungsmöglichkeiten weg. Als korrekter Begriff, der jegliche Diskriminierung ausschloss, bot sich M. an. Der Begriff M. wurde zuerst in der Musiksoziologie verwendet und ging am Ende des 20. Jh.s in die Alltagssprache über.


Literatur
K. Blaukopf, Musik im Wandel der Ges. – Grundzüge der Musiksoziologie 1996; Erzhzg. Rudolf (Hg.), Die Österr.-Ungarische Monarchie in Wort und Bild 1885ff; P. Ebner, Strukturen des Musiklebens in Wien – Zum musikalischen Vereinsleben in der Ersten Republik 1996; eigene Recherchen.

Autor*innen
Margareta Saary
Letzte inhaltliche Änderung
14.3.2004
Empfohlene Zitierweise
Margareta Saary, Art. „Musikleben‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 14.3.2004, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001da97
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