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Neustift
Augustiner-Chorherrenkloster (Sanctae Mariae ad gratias) in der Nähe von Brixen; 1142 durch Bischof Hartmann v. Brixen († 1164) und Burggraf Reginbert v. Säben gegründet und von Klosterneuburg aus, wo Hartmann zuletzt Propst gewesen war, besiedelt. Nach dem Brand von 1190 wurde es durch Propst Konrad v. Rodank wieder aufgebaut. N. war nur 1807–16 und während des Zweiten Weltkriegs aufgehoben bzw. zu Inaktivität gezwungen. Die erhaltenen Gebäude stammen aus allen Stil-Epochen seit der Romanik (Kirche barockisiert). Trotz zahlreicher Verluste gehört die Bibliothek (die erst nach dem Ersten Weltkrieg aus Innsbruck zurück verlagert wurde) zu den bedeutendsten in Alttirol, allerdings ist ihr musikalischer Anteil gering. Schon früh ist mit der Führung von Schulen (damit von Chor- bzw. Sängerknaben, Namen von Scholastikern sind seit Anfang des 13. Jh.s bekannt) sowie eines Scriptoriums zu rechnen. Neuerdings wird N. auch die sog. Carmina-burana-Handschrift (mit Benediktbeuern/D bestand eine Gebetsverbrüderung) sowie die früher der Kartause Schnals/Südtirol zugewiesene Handschrift Innsbruck (A-Iu 457, 3. Drittel 14. Jh.) zugeschrieben.

Stark beachtet wird die Nachblüte der N.er Buchproduktion und -malerei im 15. und 16. Jh. (Graduale des Friedrich Zollner 1442; Missale von Stefan Stettner 1525/26) und die Gemäldesammlung des Stiftes. Orgeln sind hier seit der Mitte des 15. Jh.s, geistliche Spiele ab dem späten 14. Jh. nachweisbar (N.er Spielhandschrift, UB Innsbruck 960, enthaltend ein Mariae-Himmelfahrt-, ein Oster- und ein Fronleichnams-Spiel, 1391). Sie erlebten im Barock einen zweiten Höhepunkt. Unter den Persönlichkeiten, die sich selbst in N. eingepfründet haben, befand sich auch Oswald v. Wolkenstein (1411), der ab 1434 auch als von K. Sigismund eingesetzter Schutzvogt des Klosters (sonst meist die Landesfürsten) fungierte. Möglicherweise sind daher auch dessen Sammelhandschriften A und B mit dem N.er Scriptorium im Allgemeinen und vielleicht sogar mit dem nach 1409 aus Langenzenn/Franken gekommenen Zollner im Besonderen in Verbindung zu bringen. Noch um 1620 und 1763 wurden hier großformatige Chorbücher geschrieben. Ab dem 16. Jh. beherbergte N. eine theologische Hauslehranstalt, die mit zahlreichen jungen Ordensmitgliedern auch Musiker (Instrumentalisten, Organisten und Komponisten) anzog. Sowohl die liturgische als auch außerliturgische Musik erlebte im Barock ihren Höhepunkt, dem erst die Säkularisierung von 1807 ein Ende bereitete.

Der Neubeginn unter dem Regens chori W. Lechleitner (1779–1827) 1816 erfolgte unter gänzlich veränderten Bedingungen, er konnte an die alte Tradition nicht mehr anschließen. Auch aus Kostengründen mussten sich die Chorleiter des 19. Jh.s auch als Komponisten für den Hausgebrauch versuchen (L. Felder, H. Kerle, K. Plankl. Immerhin wurde auch das Sängerknabeninstitut wiederbegründet, Cäcilianismus und Reformchoral (Choralreform) fanden hier bereitwillige Aufnahme. 1816–1926 führten die Chorherren von N. auch das staatliche Gymnasium in Brixen. Nach 1922 wurde das N.er Musikleben besonders durch die Persönlichkeit des Chorherrn Josef Gasser (* 1873 Lienz, † 1957 N.) geprägt. Mit seinem Sternsingen wollte er 1924 an die mittelalterlichen Mysterienspiele anknüpfen (die Tradition wird vom MGV N. weitergeführt). Eine ähnlich starke Wirkung ist auch Prof. Hermann Martin Peintner (* 1933 Percha/Pustertal, Absolvent des Mozarteums in Salzburg und seit 1971 Regens chori) zu attestieren. Aus dem N.er Singknabeninstitut (unter Präfekt Anton Tröbinger, 1827–90) war seinerzeit V. Goller hervorgegangen.


Literatur
M. Peintner in K. Drexel/M. Fink (Hg.), Musikgesch. Tirols 1 (2001); E. Knapp in K. Drexel/M. Fink (Hg.), Musikgesch. Tirols 2 (2004); MGG 7 (1997) u. 9 (1961); E. Knapp, Kirchenmusik Südtirols 1993; E. Knapp, Kirchenmusik Südtirols. Ergänzungsbd. 1997; Hb. hist. Stätten/Alpenländer mit Südtirol 1978; J. Stenzl in Schweizer Jb. für Musikwissenschaft N.F. 20 (2000); M. Peintner, N.er Buchmalerei 1984; [Kat.] 850 Jahre N. 1992; W. Senn in Stifte u. Klöster. Entwicklung u. Bedeutung im Kulturleben Südtirols, hg. v. Südtiroler Kulturinstitut 1962.

Autor*innen
Rudolf Flotzinger
Letzte inhaltliche Änderung
1.7.2009
Empfohlene Zitierweise
Rudolf Flotzinger, Art. „Neustift‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 1.7.2009, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001db36
Dieser Text wird unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.

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10.1553/0x0001db36
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