Populäre Musik/Popularmusik/volkstümliche Musik
Das Populäre, das Populare, das Volkstümliche, das Unterhaltsame in der Musik ist seit dem Hohen
Mittelalter integrierender Bestandteil der europäisch-abendländischen Musikentwicklung, bis es mit der
Aufklärung des ausgehenden 18. und mit der Ausprägung des bürgerlichen Konzertlebens im 1. Drittel des 19. Jh.s (
bürgerliche Musikkultur) ein „Eigenleben“ zu führen beginnt. In
Österreich erscheinen dafür die Produkte der
Strauß-Ära mit den
Ländler-,
Walzer-,
Polka- und
Marsch-Formen sowie die
Operetten von Joh. Strauß-Sohn bis
F. Lehár und
R. Stolz charakteristisch. Als bald nach 1900 führende Komponisten von der Dur-Moll-
Tonalität sich abwandten, verstärkte sich der Trend zum Populären mit der Weiterführung traditioneller Dur-Moll-geprägter Muster, die in den aufkommenden
Rundfunkanstalten und auf dem
Tonträgermarkt schließlich im Schubfach „U-Musik“ mündeten. Neben die älteren Formen der Tanz- und
Unterhaltungsmusik des 19. Jh.s traten und treten seit dem Beginn des 20. Jh.s die jeweils neuen, sowohl von
Folklorismen wie vom
Jazz beeinflussten
Schlager und Modetänze, die
„Musikantenstadl“- ebenso wie die „Disko-Musik“. Dabei geht es darum, einen
„breiten Publikumsgeschmack“ zu befriedigen (
H. Schenker:
„Musik der Menge“), der sich nun nicht mehr – wie bei der
Volksmusik – als Musik
„der seelisch-gesellschaftlichen Grundschichten“ festmachen lässt, sondern quer durch alle Gesellschaftsschichten greift.
Der Begriff Popularmusik ist daher als Überbegriff zu verstehen und keinesfalls auf bestimmte Musikstile einzuschränken, es handelt sich zudem nicht um eine soziologisch abgrenzbare Kategorie. Seit dem Beginn des 18. Jh.s sind in den Musikimpost-Akten der österreichischen Landesarchive Tanz- und Musikgruppen fassbar, die den Unterhaltungsmusikbedarf städtischer und ländlicher Gebiete abgedeckt haben. In der Gegend um Graz etwa die Rhenerischen Spielleut, die Rosswalder Kompagnie-Musikanten, die Gayserliche Spielleute-Compagnie. Solche in der Regel Drei- bis Fünfmann-Gruppen beherrschten und verbreiteten die im Verlauf des Jahresbrauchtums (Brauch) und festlicher Anlässe jeweils modischen Lieder und Tänze, vom adeligen und bürgerlichen „Tischblasen“ bis zu den Bällen und Hochzeiten, von der Kaffeehausmusik bis zu den Heurigenmusiken, von der Blas- bis zur Barmusik. Daran änderte sich wenig, bis in den 1950/60er Jahren die Möglichkeiten der Musikverstärkung, die damit verbundene Verfremdung des Klanges einzelner Instrumente, der Wandel der Saiteninstrumente (E-Gitarre, E-Bass) von leisen zu lauten Instrumenten, die stärkere Einbeziehung des Gesanges, die Entwicklung des Synthesizers neue Bedingungen schufen. Damit gewann der spezifische „Sound“ einer Gruppe Bedeutung, er wird zum klanglichen Erkennungszeichen von Musikgruppen: Vom Rock’n’Roll Bill Haleys, Elvis Presleys und der Beatles bis zu den Oberkrainern und weiter zu den jüngsten Moden des Techno, Rave oder Hip Hop, die im Zuge der Globalisierung regionale Charakteristika einebnen. Dagegen unternimmt die Neue Volksmusik den Versuch, regionale Volksmusik mit internationaler Popularmusik zu verbinden. Der große Bedarf an U-Musik wurde stets „live“ abgedeckt, bis die Einrichtung des Disk-Jockeys (DJ, DJ-ing) der von Tonträgern abgespielten Musik eine gewisse Dominanz verschaffte.
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15.5.2005
Wolfgang Suppan,
Art. „Populäre Musik/Popularmusik/volkstümliche Musik‟,
in:
Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung:
15.5.2005, abgerufen am
),
https://dx.doi.org/10.1553/0x0001dd86
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