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Radio Wien
1924–38 Wiener Sender der RAVAG, ab 1945 die Sender Wien I und Wien II in der russischen Besatzungszone bzw. für diese (Wien, Niederösterreich, Burgenland, Oberösterreich nördlich der Donau) sowie seit 1967 Regionalsender für Wien (I); von der RAVAG 1924 gegründete Radiozeitschrift (II).

(I) Am 16.4.1945 begann O. Czeija mit dem Wiederaufbau des Sendebetriebs, kontrolliert durch die russische Besatzungsmacht, die ab Juni 1946 die Russische Stunde, Programmblöcke von mehr als fünf Stunden für Propagandazwecke, einführte. Die Betrauung Czeijas, der zum Inbegriff der RAVAG geworden war, mit dem Tätigkeitsbereich Wien und Niederösterreich, sollte Vertrauen stiften, die Übertragung der ersten Salzburger Festspiele der Nachkriegszeit am 14.8.1945, die sogar in allen Besatzungszonen zu empfangen war, Normalität suggerieren. Die nächste gemeinsame Sendung, die bis 1955 aufrecht erhalten blieb, war die Stunde der Alliierten ab 4.11.1945. Man übernahm nicht nur das Wiener Funkhaus mit zwei Frequenzen, sondern vorläufig auch den alten Namen RAVAG, obwohl die Namen-gebende Aktiengesellschaft nicht mehr existierte. Die erste Sendung von R. W. datierte vom 29.4.1945; ab 30.4.1945 wurden täglich fünf Stunden Programm ausgestrahlt. Um eine brauchbare wirtschaftliche Grundlage herzustellen, mussten Hörerabonnements neu registriert werden. R. signalisierte den Abonnenten insofern Entgegenkommen, als ab Juli 1945 im Dienst der Vermisstensuche die sog. Gruß-Aktion startete.

Mit dem Einzug der westalliierten Besatzungstruppen am 1.9.1945 wurde die Zonenteilung in Wien wirksam. Nun lag das Funkhaus Wien in der russischen Zone, während sich der Sender für das zweite Programm von R. W. im Lagerhaus der Österreichischen Tabakregie (Thaliastraße, Wien XVI), der seinen Betrieb am 23.12.1945 aufnahm, in der britischen Zone befand. Koordinationsprobleme sowie Auffassungsunterschiede führten bereits am 17.11.1945 zur Demission Czeijas, den Sigmund Guggenberger ablöste. Nach wie vor gelang es nicht, die Finanzlage von R. W. zu stabilisieren: Die Zulassung von bezahlten Nachrichten ab 1.3.1947, die Erhöhung der Teilnehmergebühren am 1.9.1947 und die Einrichtung des Werbefunks ab 15.1.1948 brachten nur vorübergehend eine Konsolidierung der Finanzen. Abgesehen von allgemeinen Wirtschaftsproblemen der unmittelbaren Nachkriegszeit fehlte es an Attraktivität im Programm. Zudem wirkte sich die Isolation innerhalb der Zonengrenzen aus. Um wieder zur Vereinigung der Sender zu gelangen, vereinbarten die Verantwortlichen aller Sendergruppen am 4.11.1947 den Beginn des Programmaustausches für 5.12.1947. Damit war die Fusionierung der Sender allerdings noch lange nicht erreicht. Gegen die Beschränkungsmaßnahmen der Besatzungsmächte protestierte am 1.6.1949 die Bundesregierung. Man forderte weiters die Rückgabe aller Sender. Dringend notwendige Ausbauarbeiten der Sendeanlagen sollten über eine Erhöhung der Rundfunkteilnehmergebühr um 50 % finanziert werden; tatsächlich wurde Ende des Jahres zusätzlich der „Investitionsschilling“ zur Realisierung eines Innovationsplanes beschlossen. So gestaltete sich die Feierwoche 25 Jahre Österreichischer Rundfunk als nostalgisches Erinnern an die Pionierleistungen der 1920er Jahre.

Im Frühjahr 1950 konstituierte sich unter dem Vorsitz des Bundesministeriums für Verkehr und Verstaatlichte Betriebe der Radiobeirat neu. Um der russischen Besatzungszone den Empfang des Senders "Rot-Weiß-Rot" (aus der amerikanischen Zone) zu ermöglichen, wurde auf dem Wiener Wilhelminenberg ein Sender errichtet, der im August 1951, nicht ganz störungsfrei, in Betrieb ging. Rot-Weiß-Rot konnte sofort eine Einschaltquote von ca. 75 % verbuchen, denn neueste Popularmusik aus den USA, präsentiert von Disc-Jockeys (ab 1949), erschien v. a. der Jugend attraktiver als das Musikprogramm von R. W. Dessen Live-Programm war jahrelang durch innere Probleme im RAVAG-Orchester, nämlich Personalmangel, Aufsässigkeit und fehlende Motivation, beeinträchtigt. Da unmittelbar nach Kriegsende nur Musiker ohne NS-Vergangenheit engagiert wurden und faktisch kein Nachwuchs zum Ersatz von gefallenen Musikern und jenen mit NS-Belastung aufgebaut worden war, kamen zum zweiten Mal innerhalb von acht Jahren Musiker mit mangelhafter Qualifikation zum Zug. Als nach Ablauf ihres Berufsverbots auch ehemalige NS-Musiker wieder engagiert werden konnten, torpedierten manche die Bemühungen um sendereife Qualität durch bewusstes Falschspielen und schlecht gewartete Instrumente. Erst nachdem wieder ausreichend junge Musiker zur Verfügung standen, stieg die Qualität. Musikalisch versuchte man, an die ausdifferenzierte Programmstruktur der RAVAG vor 1938 anzuschließen. Tatsächlich aber fanden sich lange Zeit noch Stücke aus den Bereichen Symphonische Unterhaltungsmusik und Tanzmusik. Einerseits griff man auf die Historie zurück, J. Lanner, die Dynastie Strauß, C. Millöcker, C. M. Ziehrer, F. Lehár u. a., andererseits wählte man Musik, die nicht „abgespielt“ war – mitunter auch NS-Werke mit anderen Titeln. M. Schönherr versuchte als Leiter des RAVAG-Orchesters (später Großen Orchesters des Österreichischen Rundfunks, Radiosymphonieorchester Wien), die Balance herzustellen und verhalf obendrein so manchem unbescholtenen Komponisten zu medialem Neustart. Entscheidend war, dass der von Schönherr kreierte „Sound“ von den Zuhörern als Faktor der Identifikation und in kritischen Phasen als Kontinuum wahrgenommen wurde. Eine dieser Krisen brach im Oktober 1950 infolge eines Generalstreiks der kommunistischen Partei aus; ebenso kritisch blieb die Finanzierung von R. W., sodass am 1.9.1951 alle Rundfunkteilnehmer mit der Erhöhung der Gebühr um etwa 50 % konfrontiert waren.

Verbesserungen der Sendequalität gingen trotzdem nur zögerlich vonstatten, da für Verstärkung oder Neubau der Sendeanlagen zuerst die Genehmigung der vier Besatzungsmächte, die ihrerseits mehrere Frequenzen benötigten, eingeholt werden musste. Neuerungen im Mittelwellenbereich sollten das Problem lösen helfen. Die heimische Industrie entwickelte einen vollautomatischen 50 W-Kleinsender mit geringem Wartungsaufwand. Besserung brachte schließlich der Aufbau eines UKW-Sendernetzes, dessen Frequenzen beim Europäischen Rundfunkabkommen Stockholm 1952 (Gültigkeit ab 1.7.1953) zugeteilt wurden. Der Empfang funktionierte allerdings nur in Radiogeräten mit UKW-Empfangsmodul. Das Jahr 1953 stand im Zeichen nachhaltiger Veränderungen: Am 19.5.1953 verlegte R. W. den Sitz der öffentlichen Verwaltung nach Wien-Meidling in die britische Zone. Nach acht Jahren mit unterschiedlichen Namen fixierte man nun die Bezeichnung Österreichischer Rundfunk. Am 1.6.1953 endete die Russische Stunde im 2. Programm von R. W., die Rundfunkanlagen der britischen und 1954 auch der amerikanischen Zone wurden der öffentlichen Verwaltung übergeben; Rot-Weiß-Rot sendete noch bis Ende der Besatzungszeit ein eigenes Programm. Im November 1953 erlosch die Pflicht, die Programme von R. W. der Besatzungsmacht vorzulegen. Das betraf nicht nur den UKW-Betrieb mit eigenem Programm und einem Motiv aus Fr. Schuberts h-Moll-Symphonie als Pausenzeichen, sondern alle Sendungen. Unabhängige Sendungen wurden mit der Ansage „Radio Österreich“ angekündigt.

Am 15.2.1954 vollzog sich bei R. W. neuerlich ein Machtwechsel: Alfons Übelhör löste Guggenberger ab. Etwa einen Monat später kreierte man einheitliche musikalische Pausenzeichen für die drei Programme des Österreichischen Rundfunks. Im Dezember wurden die Sender von Tirol und Vorarlberg in die öffentliche Verwaltung integriert. Klarheit über die Entscheidungsbefugnis innerhalb des Staates schaffte am 5.10.1954 ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, demzufolge der Bund für das Rundfunkwesen zuständig sei. Noch vor Ende der Besatzungszeit waren am 28.7.1955 alle Sendestationen im Österreichischen Rundfunk vereinigt, allerdings musste das Angebot an Programmen aus Kostengründen reduziert werden. Erst am 1.10.1967 ist eine tragfähige Programmstruktur gefunden: Ö1 fungiert seitdem als „Klassiksender“ mit hohen musikalischen und intellektuellen Ansprüchen, ÖR (Österreich Regional) bedient die regionalen Hörerbedürfnisse der Länder und Ö3, das „Hit-Radio“, ist als reiner Unterhaltungssender mit aktuellen Informationen angelegt. Der Wiener Regionalsender nennt sich weiterhin R. W.

(II) Die Zeitschrift R. W. hatte neben dem Radioprogramm eine Reihe von Artikeln zu Sendungen sowie ein Leserforum angeboten. Nach der Machtergreifung Hitlers in Österreich wurde sie eingestellt, zwischen 1946 und 1953 erneut aufgelegt und ab 1953 unter dem Titel Radio Österreich vertrieben.


Literatur
V. Ergert, 50 Jahre Rundfunk in Österreich 2 (1975); A. Lamb (Hg.), Unterhaltungsmusik aus Österreich – Max Schönherr in seinen Erinnerungen und Schriften 1992; www.amos-press.at/Z/bdn/BDN2/HIST1945.HTM (3/2005); http://mediaresearch.orf.at/index2.htm?links/links_chronik.htm (3/2005).

Autor*innen
Margareta Saary
Letzte inhaltliche Änderung
15.5.2005
Empfohlene Zitierweise
Margareta Saary, Art. „Radio Wien‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 15.5.2005, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001de44
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DOI
10.1553/0x0001de44
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