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Ranshofen
Ehemaliges Augustiner-Chorherrenstift im oberösterreichischen Innviertel. Seine Gründung knüpft an eine weit zurückreichende Vorgeschichte an. Ein 788 als curtis Rantestorf urkundlich genannter Wirtschaftshof der bayerischen Agilolfinger-Herzöge wurde in der Karolingerzeit zur Königspfalz mit einer unter K. Arnulf vor 898 erbauten Pfalzkapelle ausgestaltet. Um die Mitte des 11. Jh.s errichtete K. Heinrich III. hier ein Säkularkanonikerstift, das durch Hzg. Heinrich IX. von Bayern kurz vor oder im Jahre 1125 in ein Regularkanonikerkloster umgewandelt wurde. Dieses bestand bis 1811. Die frühere Stiftskirche blieb nach der Aufhebung des Klosters als Pfarrkirche der inzwischen gewachsenen Siedlung, die 1938 der Stadt Braunau einverleibt wurde, erhalten.

Von den mittelalterlichen liturgischen Musikhandschriften finden sich Fragmente als Einbandmaterial von R.er Codices, die nach der Aufhebung in verschiedene Bibliotheken gelangt sind. Zur Gänze erhalten ist nur ein Ordinarium (heute München, Clm 12635B) aus dem 13. Jh. mit einer Aufzeichnung der Visitatio sepulcri (geistliche Spiele), einer Feierform der 2. Stufe mit dem Dialogteil aus Wipos Ostersequenz (Sequenz), die mit dem Osterlied Christ ist erstanden abschließt. Darüber hinaus gibt es in andere Codices eingestreute Aufzeichnungen einzelner Gesänge, darunter zwei sonst unbekannte Reimoffizien zu Ehren des hl. Georg und des hl. Michael (München, Clm 12612). Aus inzwischen verloren gegangenen Liturgiebüchern hat der R.er Historiker Hieronymus Mayr noch im 17. Jh. die Texte einer ebenfalls unbekannten Pankrazsequenz zum Fest des Kirchenpatrons (Ante thronum majestatis) und eines spätmittelalterlichen Pankrazoffiziums in sein Antiquarium Ranshovianum kopiert.

Schon für das Mittelalter ist neben dem liturgischen Gesang (Choral) eine intensive Musikpflege innerhalb der Stiftsschule vorauszusetzen. Seit dem 16. Jh. lassen sich dann Erscheinungen beobachten, die mit der Ausbreitung der humanistischen Bewegung in Zusammenhang stehen. An Stelle des geistlichen „Scholasticus“ traten weltliche Lehrer, die zusammen mit ihren Schülern auch in der Kirche sangen. Vor 1550 wirkte hier ein Mag. Johann Kappenstill als Schulrektor, der später als Stadtschreiber in Passau zum Freundeskreis um L. Päminger gehört hat. Seinem Nachfolger, Mag. Stephan Vockenrieder, hat Päminger zwei Spruchmotetten (Disce crucem und Quos coelestis amor; Motette) gewidmet, die in die gedruckte Ausgabe der Pämingerschen Cantiones ecclesiasticae aufgenommen wurden. Kontakte zu R. sind auch für Pämingers Söhne Sophonias und Balthasar nachweisbar. Zum Musikrepertoire der Schulkantorei gehörten ferner protestantische Gemeindelieder (Gemeindegesang). Eine Orgel hat es damals hier ebenfalls schon gegeben.

Eine neuerliche Umstellung der Musikpflege erfolgte zu Beginn des 17. Jh.s. Jetzt übernahm wieder ein Geistlicher die Leitung der Schule und damit das Amt des Chorregenten. Der erste, den wir dem Namen nach als solchen kennen, war der Chorherr Philipp Vetterl. 1620 wurde er zum Propst gewählt. Bald danach ließ er in der Stiftskirche eine Musikempore errichten und dort eine neue Orgel aufstellen, für die 1000 fl bezahlt wurden. Als Stiftsorganist wirkte hier um die Mitte des 17. Jh.s S. Widerstain. Nach einem Musikalienkatalog des Münchener Buchhändlers Paul Parsdorffer gab er eine – leider nicht erhaltene – Sammlung von Miserere für vier bis acht Singstimmen, zwei Violinen und Orgel im Druck heraus, denen noch eine Lauretanische Litanei hinzugefügt war.

In einem R.er Inventarium von 1687 werden dann einige seit 1665 erworbene Musikdrucke aufgelistet, darunter solche von J. Stadlmayr, G. Arnold, A. Hofer und H. I. F. Biber. Auch eine Kantatensammlung von Agostino Steffani war darunter. Die Philothea des Münchener Jesuitenpaters Johann Paulinus ist ein Zeugnis für die Pflege des Schultheaters (Schuldrama) in R.

Zur 800-Jahr-Feier des Bestehens der Pankrazkapelle wurde 1699 im oberen Konventchor eine kleine Chororgel aufgestellt. Ein Viertel-Jh. später begegnet in W. Ganspeckh der erste und gleichzeitig einzige R.er Chorherr, der nachweisbar als Komponist tätig war. Von seinen musikalischen Werken blieb Einzelnes erhalten: neben einer frühen Missa Vas insigne devotionis (Kopie von 1719 im Musikarchiv Lambach) v. a. ein 1724 erschienener Messendruck (Octiduum sacrum), dem als zweiter Teil noch Offertorien angehängt sind. Von einer Reihe weiterer Werke Ganspeckhs, die in Musikinventaren aus Lambach, Mattighofen und Meran und in der Totenrotel angeführt werden, ist das meiste verschollen.

Aus der Zeit, in der er die Stiftsmusik leitete, stammen die ältesten in R. selbst erhaltenen Musikalien: fragmentarische Stimmensätze von Drucken mit Werken von Valentin Rathgeber und Joseph Joachim Münster. Eine Reihe von zeitgenössischen Stimmenkopien aus der Zeit um 1770 schließt sich an. Der um 1800 noch vorhandene Notenbestand scheint die Auflösung zunächst überstanden zu haben. Mit Ausnahme geringfügiger Reste ist er allerdings inzwischen verschollen. Zum erhalten Gebliebenen zählen vorwiegend Werke von Kleinmeistern mit rein lokaler Bedeutung, aber auch eine frühe Messkomposition von J. M. Haydn (Missa S. Francisci Seraphici). Das späteste erhaltene Zeugnis der Musikpflege im Kloster ist eine anlässlich der Sekundiz des letzten Propstes Johann Nepomuk Kierl 1805 aufgeführte Kantate.


Literatur
R. W. Schmidt in Jb. des oberösterr. Musealvereins 120 (1975) und 121 (1976); H.-W. Schmitz, Passauer MusikGesch. 1999; F. K. Praßl in St. Engels/G. Walterskirchen (Hg.), [Kgr.-Ber.] Musica Sacra Mediaevalis. Geistliche Musik Salzburgs im Mittelalter. Salzburg 1996, 1998.

Autor*innen
Rudolf W. Schmidt
Letzte inhaltliche Änderung
15.5.2005
Empfohlene Zitierweise
Rudolf W. Schmidt, Art. „Ranshofen‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 15.5.2005, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001de70
Dieser Text wird unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.


DOI
10.1553/0x0001de70
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