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Satire/satirisch
In der Musik fehlt eine genaue gattungsmäßige Bestimmung der S. zugunsten der durch besondere Kompositionsweisen erzielten s.en Prägung oder Färbung unterschiedlicher Gattungen; eine strenge Trennung von der Parodie ist nicht immer möglich. Die s.e Darstellung des Klerus ist in den mittelalterlichen „Tiermessen“ und „Eselkondukten“ deutlich bezweckt. In den sog. Narrenfesten (Eselsfest), welche auch im kirchlichen Raum stattfanden, bot die karnevaleske Verkehrung aller Hierarchie (Fasching) die Gelegenheit zu s.en Angriffen auf höhere Funktionsträger. Unter diesem Aspekt, und nicht unter dem des Antisemitismus, hat man z. B. auch Stücke wie Der Juden Tantz aus H. Neusiedlers Ein new künstlich Lautten Buch (1544) zu verstehen. Auf die Tradition des Tierkonzerts griff H. I. F. v. Biber mit seiner Sonata violino solo rappresentativa (1669) zurück. Im zweiten Satz seiner Battalia (1673) lieferte er mit der klanglichen Darstellung des Lärms in einer Trinkstube eine S. des Studentenlebens. Von der Narrenliteratur zehrte auch die zwischen dem 16. und 18. Jh. lebendige Produktion der literarischen Musik-S., in der einzelne Musikertypologien Gegenstand der s.en Behandlung werden. Der Opernbetrieb und v. a. das Verhalten von Sängern und Sängerinnen wurde bald zu einem beliebten Thema solcher S.n, wie B. Marcellos Il teatro alla moda (1720) paradigmatisch zeigt. Eine auskomponierte S. lieferte 1769 F. L. Gaßmann mit seiner Buffo-Oper L’opera seria (Libretto von R. Calzabigi). In den Opern Lo speziale (1768) und Il mondo della luna (1777) unterstützte J. Haydn musikalisch die in den Libretti C. Goldonis wirksame moralische und gesellschaftliche S. Wiederum durch die Libretti, diesmal von L. Da Ponte aus Stücken Pierre-Augustin Beaumarchais erarbeitet oder von ihm selbst verfasst, flossen s.e Momente in W. A. Mozarts Le nozze di Figaro (1786) und in A. Salieris für Paris komponierte Tarare (1787) ein. Letzterer komponierte auch die einaktige S. auf die Opernproduktion Prima la musica e poi le parole (1786, Libretto von G. B. Casti). Die Familie Mozart zeigt einen deutlichen Hang zur S., wie Leopolds Divertimento Bauernhochzeit (1755) und Wolfgangs Ein musikalischer Spaß KV 522 (1787) beweisen. Im Letzteren wird der unfähige Komponist geistreich parodiert. Im 19. Jh. steht die S. in Österreich unter dem Stern J. N. Nestroys. Der zunächst als Sänger tätige Nestroy schloss in seinen Theaterstücken, unter denen auch Parodien auf G. Meyerbeer und Rich. Wagner zu finden sind, stets Gesangeinlagen unterschiedlicher Art ein. Die Pariser Operette J. Offenbachs, bei der die gesellschaftliche und politische S. eine große Rolle spielt, regte Nestroy zu seinem letzten Stück an, Häuptling Abendwind (1862), einer kolonialen S. auf die Habsburgermonarchie mit Musik von Offenbach selbst. Die s.e Operette Offenbachs wurde in Österreich mit Begeisterung aufgenommen. Aus dieser entwickelte sich rasch die sog. Wiener Operette. Dabei wird oft das s.e Moment in eine eher sarkastische Ironie umgedeutet oder in der späteren Produktion gar ausgelöscht. Eine Umgewichtung zuungunsten des aggressiv s.en Moments ist auch in der Rezeption des französischen Kabaretts im Wien des frühen 20. Jh.s zu vermerken. Die Klage über einen Verlust des S.en in der Wiener Operette brachte K. Kraus in seinen Vorlesungszyklen, die er 1926–36 in Wien zur Würdigung Offenbachs hielt, immer wieder zum Ausdruck. Das politisch-s.e Kabarett gewann schließlich in Österreich in den 1930er Jahren immer mehr an Bedeutung, wurde jedoch – wie bereits in Deutschland die urbane Kabarettkultur und das sozialpolitisch engagierte Musiktheater K. Weills und H. Eislers – von den Nationalsozialisten in kürzester Zeit vollkommen ausgelöscht.

Die Spannung zwischen Musikproduktion und -kritik kommt in Wagners Meistersinger (1868) durch die Partie des Beckmesser, einer S. auf die Person des Wiener Musikkritikers und -ästhetikers E. Hanslick, deutlich zum Ausdruck. S. im Sinne der Kulturkritik spielt in G. Mahlers symphonischem Schaffen und Liedgut eine wichtige Rolle. Dabei werden die Mittel des Grotesken auf beeindruckende Weise eingesetzt. A. Schönberg, der am Beginn des 20. Jh.s Brettl-Lieder für das Berliner Bunte Theater komponiert und Operetten u. a. für seinen Freund Bogumil Zepler orchestriert hatte, lieferte mit den Drei S.n für gemischten Chor op. 28 (1925) Karikaturen zeitgenössischer Komponisten-Typen. Eine „extonale Selbstsatire“ nannte F. H. Klein 1921 seine Komposition Die Maschine unter dem Pseud. Heautontimorumenus (= Selbsthasser, nach Charles Baudelaire’s Fleurs du Mal). S.e Momente sind auch in vielen der zahlreichen Bühnenwerken E. Kreneks zu vernehmen. In dem 1930 komponierten und erst 1990 uraufgeführten Stück Kehraus um St. Stephan steht die S. auf die Wiener Gesellschaft der 1920er Jahre deutlich im Mittelpunkt. Mit der bedeutenden Ausnahme Mauricio Kagels, der, wie bereits Erik Satie am Beginn des Jh.s, mit seinem Werk immer neue Wege der S. zu erschließen vermag, scheinen nach dem Krieg s.e Momente für das Musiktheater etwas an Attraktivität verloren zu haben. Umso stärker ist deren Präsenz auf der Kabarettbühne. S. eprägt sind u. a. die musikbezogenen Romane Thomas Bernhards Der Untergeher (1983) und Elfriede Jelineks Die Klavierspielerin (1983).


Literatur
MGG 6 (1997) [Musiksatire]; P. Debly in J. C. Kassler/M. Kartomi (Hg.), Metaphor. A Musical Dimension 1991; Ch. Glanz in C. Szabó-Knotik (Hg.), Wien – Triest um 1900: Zwei Städte – Eine Kultur? 1993; W. Rogge in ÖMZ 35/9 (1980).

Autor*innen
FC
Letzte inhaltliche Änderung
15.5.2005
Empfohlene Zitierweise
Federico Celestini, Art. „Satire/satirisch‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 15.5.2005, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001e059
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