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Spittelberg-Lieder
Bezeichnung für eine Sammlung von derb-erotischen Vierzeilern, wie sie in der Vorstadtgemeinde Sp. (ursprünglich Spitalberg, ab 1850 Teil des 7. Wiener Gemeindebezirks Neubau), aber auch an anderen Orten Wiens und seiner Umgebung gesungen wurden. Der Sp. mit seinen zahlreichen Gastlokalen und Winkelbordellen hatte ab dem 18. Jh. als Vergnügungsviertel einen zweifelhaften Ruf. In den meisten Wirts- und Bierhäusern unterhielten Anfang des 19. Jh.s kleine Musikantengruppen mit zwei Violinen und Bassgeige („Linzer Geiger“), später auch mit Zither oder Gitarre die Gäste, während Tänzerinnen und Kellnerinnen die alten und jungen Wiener Lebemänner zur Konsumation animierten und versuchten, ihre Kavaliere zu Rendezvous zu verführen. In diesem Umfeld entstanden viele Lieder und Gstanzln, die die Atmosphäre des Milieus widerspiegeln. Eine Auswahl davon war Teil einer Sammlung des Margaretener Gastwirts und bedeutenden Bibliophilen Franz Haydinger (1797–1876). Insgesamt fünf Bände mit Liedhandschriften wurden 1876 mit seinem gesamten Nachlass versteigert und sind seither verschollen. 181 Spitelberger-Lieder, 4zeilige usw. Gesammelt in [sic] Jahr 1812.“ aus einem dieser Bände sind durch die Abschrift des Schriftstellers Friedrich Schlögl (1821–92) erhalten geblieben. Nicht alle diese frivolen Gstanzln sind am Sp. entstanden, manche davon stammen aus anderen Stadtteilen oder auch aus der ländlichen Liedtradition. Zu den Texten sind keine Melodien überliefert, doch können die einzelnen Strophen auf Grund ihrer Rhythmik drei verschiedenen gängigen Melodietypen zugeordnet werden. Im Lauf des 19. Jh.s verlor der Sp. seine Bedeutung als Vergnügungsort und wurde erst wieder durch die 1975 begonnene Revitalisierung des Viertels zu einem Treffpunkt der Wiener. Die Sp.-L. gewannen durch den Privatdruck der beiden Wiener Lokalhistoriker E. K. Blümml und Gustav Gugitz Der Sp. und seine Lieder von 1924 die Aufmerksamkeit der Volksmusikforschung. Etliche der Gstanzln wurden in letzter Zeit vom Schauspieler Stephan Paryla in seinem Programm Hur & Moll wieder zu musikalischem Leben erweckt (2005).
Literatur
J. Schrank, Die Prostitution in Wien in historischer, administrativer und hygienischer Beziehung, 1: Die Gesch. der Prostitution in Wien 1886; F. Schlögl, Aus Alt- und Neu-Wien (Nebst einem Stück Autobiografie.) 1882; F. Schlögl in Ders., „Wr. Luft!“ Kleine Culturbilder aus dem Volksleben der alten Kaiserstadt an der Donau 1876; K. Giglleithner/G. Litschauer [E. K. Blümml/G. Gugitz], Der Sp. u. seine Lieder 1924; G. Grassl, zum schwarzen mohren. Sp. L. 1 (1994); S. Mauthner-Weber, Venuswege. Ein erotischer Führer durch das alte Wien 1995; Czeike 5 (1997); St. Paryla, Hur & Moll – Lieder nach der Sperrstund’ 2000 [Begleitheft zur CD Extraplatte EX-425-2]; E. Weber, 1500 Gstanzln aus Wien u. Umgebung 2003.

Autor*innen
Ernst Weber
Letzte inhaltliche Änderung
15.5.2006
Empfohlene Zitierweise
Ernst Weber, Art. „Spittelberg-Lieder‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 15.5.2006, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001e2fa
Dieser Text wird unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.