Logo ACDH-CH
OeML Schriftzug
Logo OeML
Logo Verlag

St. Lambrecht
Benediktinerstift und Marktgemeinde in der Obersteiermark. Um 1066 wird erstmals eine Kirche des hl. Lambert im Walde erwähnt. Noch vor 1076 begann die Errichtung eines Klosters durch Markgraf Markward von Eppenstein. 1096 erfolgte die kaiserliche Bestätigung des Klosters, 1103 unterzeichnete Hzg. Heinrich III. von Kärnten die Stiftungsurkunde (betreffend Schenkungen an die Abtei). Die päpstliche Bestätigung erfolgte 1109. Bereits 1144 wurde die Abtei Altenburg von Mönchen aus St. L. besiedelt. Mitte des 12. Jh.s wurden vom Mutterkloster abhängige Priorate errichtet (in Mariahof/St, Aflenz/St, Lind bei Zeltweg/St), 1157 wurde von Stift St. L. das Marienheiligtum Mariazell gegründet. Ab 1327 begann der gotische Neubau der Abteikirche, ab 1639 der barocke Neubau der Stiftsgebäude durch Domenico Sciassia († 1679) und die barocke Ausstattung der Kirche. 1786 wurde das Kloster durch K. Joseph II. aufgehoben, 1802 aber durch K. Franz II. (I.) wieder errichtet. 1938 wurde das Kloster von den Nationalsozialisten beschlagnahmt (1942–45 gab es hier ein Außenlager des Konzentrationslagers Mauthausen/OÖ). 1938–46 war der Sitz der Abtei in Mariazell, 1946 kehrten die Mönche nach St. L. zurück.

Erste Nachrichten von der Pflege des gregorianischen Chorals geben Bibliothekskataloge aus dem 12. und 13. Jh., die Matutinalien, Antiphonarien, Psalterien, Hymnarien, Gradualien, Sequentiare und einen Tonarius verzeichnen. Ein Brevier aus dem 13. Jh. (A-Gu 134) enthält nach Anton Kern die älteste Überlieferung des Fronleichnamoffiziums (inkl. des Fronleichnamhymnus Pange lingua, diesen allerdings ohne Neumen) des Thomas von Aquin mit Neumen und Tonarbuchstaben. Zwei weitere Handschriften (A-Gu 29 [s. Tbsp.] u. 30 [Antiphonar, ca. 1345]) zählen zu den ältesten Quellen schriftlicher Mehrstimmigkeit in der Steiermark. Um 1270 bezeugt der Prediger von St. L. den Leis Nu biten wir den heiligen geist als Predigtlied. Breviere verzeichnen die vom Volk zur Osterfeier gesungenen deutschen Osterlieder Giengen dreie vrouen und Christ ist erstanden mit Anfangsworten (ohne Neumen in A-Gu 798, Ende 12. Jh. [zählt zu den ältesten Quellen dieser Lieder überhaupt], mit linienlosen Neumen in A-Gu 134, Anfang 13. Jh.). Ms. 29 enthält für die Trauermette auch die möglicherweise von Gundaker von Judenburg (Ende 13. Jh.) stammende Übertragung des Hymnus Rex Christe, factor omnium als Christ schepfer alles des da ist, die vom Volk im strophenweisen Wechsel mit dem vom Klerikerchor gesungenen lateinischen Hymnus vorgetragen wurde. Dazu treten noch zwei Knabenstimmen mit einer refrainartigen Antiphon („Laus tibi christe“). Die St. L.er Osterfeier überliefern mehrere Handschriften vom 12. bis zum 16. Jh. in zwei Fassungen, die beide eine Mischform der in Salzburg und Passau gebräuchlichen darstellen. Die erste Nachricht über ein regelrechtes Passionsspiel stammt aus 1584. 1606 verfasste P. Johannes Geiger hier die Passio Domini nostri Jesu Christi accomodata in versiculos germanicos (ohne Noten überliefert), ein Zeugnis humanistisch geprägter Klosterkultur. Noch im 14. Jh. wurde hier eine eigene Schreibschule (Skriptorium) geführt. Für die Translatio Lamberti entstand in diesem Jh. eine eigene historia (Reimoffizium).

Als Musiker werden genannt: Friedrich Rosula († 1347; auch Schreiber von Chorbüchern), die Kantoren Heinrich Pfaffendorfer von Judenburg († 1385) und als dessen Nachfolger ein gewisser Kaspar. Als Organisten und Schulmeister sind Ekhard († 1345), ein Otto (bezeugt 1345, s. Abb.), Johann von Polen († 1358) und Georg († 1372 urkundlich erwähnt) bekannt, der Schuster Konrad († 1442) wird als „cantor rusticorum“ bezeichnet. Seit dem 14. Jh. sind auch Stiftungen für die festliche Begehung bestimmter Festtage nachweisbar. Die dem Meister des Londoner Gnadenstuhles zugeschriebene aus St. L. stammende Tafel einer Thronenden Maria im Strahlenkranz (ca. 1420/25, Joanneum Graz) bildet u. a. auch musizierende Engel mit Portativ, Psalterium, Laute, Fidel, Harfe und einer Art Cysterob, Instrumenten also, die z. T. bei kirchlichen Umzügen und religiösen Andachten, nicht allerdings innerhalb der Liturgie selbst Verwendung gefunden haben dürften. Vor 1584 wurde auch ein Hornwerk errichtet, das sich allerdings nicht erhalten hat.

Prachtvolle Chorbücher, Stiftungen und Orgelrechnungen bezeugen das reiche Musikleben im 15. Jh. Im 16. Jh. gewann der Figuralgesang neben dem Choral an Bedeutung. 1574 widmete Johann Hauswirth, der Hofrichter des Stiftes, Abt Johann Trattner eine Handschrift mit Kompositionen des Grazer Hofkapellmeisters J. de Cleve. Von A. Fabritius, dem Sekretär des Klosters, erschien 1595 bei Widmanstetter in Graz die Motettensammlung Cantiones sacrae. Ab 1600 hielt sich S. Erthel mehrfach in St. L. auf. V. Fux war vermutlich hier Sängerknabe. Als Organisten waren hier J. Casselius und 1651–53 A. Hofer tätig, als Regentes chori ab 1641 P. S. Engellieb, P. M. Freitl und V. Feyertag. Als Stiftsmusiker sind zu nennen Aemilian Pettschacher († 1704 St. L.?); im 18. Jh. F. Wrastil, P. V. Scheibl, Franz Simbinelli († 1746 St. L.?), Valentin Weidachbauer († 1795 St. L.?) und Blasius Rembold (?–?). Ein Musikalienkatalog (verschollen) gab Auskunft über das Repertoire um 1740, darunter Giovanni Pierluigi da Palestrina, P. D. G. Corner, A. Caldara, A. Lotti, F. Conti, Giovanni Battista Bassani, A. Vivaldi, J. J. Fux, J. E. Eberlin, G. B. Sammartini, N. Porpora, Johann Friedrich Doles, Ge. Reutter d. J. und Valentin Rathgeber. Anlässe für musikalische Produktion boten auch Theateraufführungen der Lateinschüler (Schuldrama; Nachrichten ab 1639). Zu Neujahr 1660 musizierten Spielleute im Stift. 1756 wurde sogar eine Oper aufgeführt. Von den Instrumenten sind noch zwei krumme Zinken aus dem 16. oder 17. Jh. erhalten, einer davon aus Buchsbaum mit Ziegenlederüberzug, der andere aus Elfenbein (Joanneum Graz, KGW *1.411 und *1.580). Nicht in Zusammenhang mit dem Repertoire von St. L. zu bringen sind drei Klavierbücher aus dem Besitz der Anna Franziska Zessner von Spitzenberg (Grazer Diözesanarchiv, Bestand St. L., Hss. 24–26), die neben barocker Cembalomusik auch eine Arie aus G. F. Händels Oper Rinaldo enthält. Wie diese Noten von Böhmen nach St. L. gelangt sind, ist bis jetzt (2005) ungeklärt.

Das Verbot der Verwendung von Pauken und Trompeten im Gottesdienst durch Maria Theresia führte zu einer Verstimmung zwischen Abt und Kaiserin. Zu einem gänzlichen Erliegen des reichen Musiklebens führte naturgemäß die Aufhebung des Stiftes 1786 durch Joseph II. Nach seiner Wiedererrichtung im Jahre 1802 bemühte sich P. Blasius Rembold, letzter Regens chori vor der Aufhebung, um eine Wiederbelebung der musikalischen Tradition. 1835 wurde auch das Sängerknabenkonvikt wieder errichtet. Das Musikalieninventar von 1838 enthält überwiegend Werke von J. Haydn, W. A. Mozart und L. v. Beethoven neben solchen von M. Haydn, J. Eybler, J. Preindl, J. B. Schiedermayr, J. N. Hummel, L. Cherubini, R. Führer, A. Diabelli und M. Stadler. Unter dem Regens chori P. Lambert Diethart wurden um diese Zeit auch Haydns Oratorien Die Jahreszeiten und Die Schöpfung aufgeführt. Als großer Musikförderer galt Abt Joachim Suppan (1794–1864).

In den letzten Jahrzehnten des 19. Jh.s beeinflusste der Cäcilianismus in St. L. die Musik des Gottesdienstes. Bei der ersten öffentlichen Veranstaltung der Cäcilianer der Diözese 1874 (1875 folgte die Gründung des Diözesan-Cäcilienvereins) in Murau wirkte auch der Stiftschor von St. L. mit, desgleichen bei der 6. Generalversammlung des Allgemeinen deutschen Cäcilien-Vereins 1876 in Graz. Der St. L.er P. Josef Reichsthaler, Regens chori in St. Georgen ob Murau/St, besuchte 1874/75 den 1. Jahrgang der Kirchenmusikschule in Regensburg/D, P. Karl Gritz den 3. Kurs. 1883 und 1914 fanden hier auch Tagungen des Diözesan-Cäcilienvereines statt. Ab 1922 wirkte P. M. Horn hier als Chordirektor und Organist. Im bis 1932 bestehenden Sängerknabenkonvikt, aus dem die Komponisten Jo. Gauby, Jo. Ipavec und F. Fuchs d. J. sowie der Chorleiter R. Köle hervorgegangen sind, unterrichtete u. a. Thomas Wurzer (* 14.10.1882 Innsbruck, † ?; ab 1951 Regens chori).

Den ersten Nachweis für eine Orgel finden wir 1366. 1481 errichtete W. Rudorf hier eine Orgel, 1505 Ch. Taler (bei der Kollaudierung war P. Hofhaimer anwesend). 1602 erfolgte ein größerer Umbau, aber 1647 wurde von P. Rottenburger eine neue Orgel aufgestellt, die 1731 und 1737 vom Klagenfurter Orgelbauer Peter Jaas repariert wurde. 1870 wurde unter Verwendung einzelner Register der Vorgängerorgel von Maximilian Geiger eine neue Orgel (mit neugotischem Gehäuse) gebaut, die bereits 1877 vom Laibacher Orgelbauer Franz Gorsic umgebaut wurde. 1903 folgte ein neues dreimanualiges Werk mit 46 Registern und pneumatischer Traktur der Firma K. Hopferwieser, dessen Gehäuse vom Grazer Tischler Jakob Mayer angefertigt wurde. Diese wurde 1976 vom Grazer Leo Werbanschitz umgebaut, wies jedoch auch in der Folge irreparable Mängel auf, sodass 1996 provisorisch eine Chororgel (mit mechanischer Schleiflade) der Brüder Krenn aufgestellt wurde. 2003 wurde schließlich vom Luxemburger Orgelbauer Georges Westenfelder eine neue Orgel errichtet.

Auf die – von klerikaler Seite wenig geschätzte – weltliche Musik der Hirten und Bauern spielt eine Abbildung in einem Missale aus der 1. Hälfte des 15. Jh.s an (A-Gu 299), die ein Wildschwein zeigt, das einen Dudelsack bläst. Eine weitere Handschrift aus dem 15. Jh. (A-Gu I/1405) überliefert die beiden Lieder Ich trag ein Hercz und Das wetter hat verkeret sich, Beispiele von aus dem Minnesang abgeleiteter „bürgerlicher“ Poesie. Geistliche Volkslieder aus der Umgebung von St. L., die bei Gottesdiensten, Andachten, Prozessionen, aber auch bei der Totenwacht gesungen wurden, wurden von sog. „Kirchensingern“ ausgeübt, und zwar meist als dreistimmiger Gesang (zwei Frauenstimmen und eine Männerstimme als „Funktionsbass“, mitunter von der Orgel begleitet). Diese Art des Singens, die sowohl von den Befürwortern der Aufklärung als auch später vom Cäcilianismus abgelehnt wurde, wurde hier – wie sonst nur noch in Südtirol – bis zur Mitte des 20. Jh.s mündlich tradiert. Texte dieser Lieder sammelte P. Romuald Pramberger (1877–1967), um die Aufzeichnung der Melodien bemühten sich V. Zack und v. a. der aus der Gegend stammende Lehrer und Chormeister Lois Steiner (1907–1989).

Im Ort wurde 1891 der MGV in St. L., Steiermark gegründet. Der Komponist F. L. Rubisch vertonte das Vereinsmotto („Von den Alpenhöhn bis ins tiefe Tal, klinge deutsches Lied, kling überall“). 1949 erfolgte die Umwandlung in einen gemischten Chor, der sich später Gemischter Chor St. L. nannte (derzeitige [2019] Chorleiterin: Anna Ofner). 1902 erfolgte die Gründung des Musikvereins St. L. (seit 1983 mit Karl Rappold als Kapellmeister). Die styriarte veranstaltet seit 1999 in St. L. die sog. „Landpartie“.


Literatur
(Chronologisch:) V. Zack, Alte Krippen- u. Hirtenlieder, 2 H.e 1918/19; O. Wonisch in Aus dem Musikleben des Steirerlandes 1924; O. Wonisch, Osterfeiern und dramatische Zeremonien der Palmweihe 1927; H. Sowinski in Musik im Ostalpenraum 1940; A. Kern, Die Hss. der Univ.sbibliothek Graz, 3 Bde. 1942–67; H. Federhofer in Anzeiger der ÖAW, phil.-hist. Klasse 84 (1947) u. 85 (1948) (ND in Musik u. Gesch. 1996); O. Wonisch in Aus Archiv und Chronik 1 (1948); H. Federhofer in Aus Archiv u. Chronik 4 (1951) (ND in Musik u. Gesch. 1996); O. Wonisch, Die Kunstdenkmäler des Benediktinerstiftes St. L. 1951; A. Kern in Revue Bénédictine 64 (1954); O. Wonisch, Neuer Führer durch das Benediktinerstift St. L. 1954; Eberstaller 1955; O. Wonisch, Die Theaterkultur des Stiftes St. L. 1957; O. Wonisch, Das St. L.er Passionsspiel von 1606, 1957; StMl 1962–66; W. Lipphardt in Grazer Univ.sreden 13 (1974); B. Plank, Gesch. der Abtei St. L. 1976; R. Federhofer-Königs in KmJb 41 (1957); G. Stradner in Veröff. des Landeszeughauses Graz 6 (1976); G. Stradner, Musikinstrumente in Grazer Slgn. 1986; [Kat.] Musik i. d. St. 1980; R. Flotzinger in Händel-Jb. 34 (1988); R. Flotzinger in I. Fuchs (Hg.), [Kgr.-Ber.] Johann Sebastian Bach. Beiträge zu seiner Wirkungsgesch. Wien 1985, 1992; E. M. Hois/W. Deutsch (Hg.), Volksmusik in der Steiermark. Slg. Lois Steiner. Lieder des Weihnachtsfestkreises 1995 (= COMPA 4/1); MGÖ 1 u. 2 (1995); P. Blank, Benediktinerabtei St. L. 2002; Ch. H. Pecolt, Orgelbau im Benediktinerstift St. L. und in der Wallfahrtsbasilika Mariazell samt einem Exkurs zur Stellung der Orgel in der Liturgie, Dipl.arb. Heiligenkreuz 2003; www.stift-stlambrecht.at (6/2005); http://st-lambrecht.steiermark.at (6/2005).

Autor*innen
Barbara Boisits
Letzte inhaltliche Änderung
15.7.2005
Empfohlene Zitierweise
Barbara Boisits, Art. „St. Lambrecht‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 15.7.2005, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001e3eb
Dieser Text wird unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.

MEDIEN
HÖRBEISPIELE

Antiphona Media vita cum versibus Ach homo, perpende fragilis (A-Gu 29, St. Lambrecht)

DOI
10.1553/0x0001e3eb
ORTE
Orte
LINKS
Österreichische Akademie der Wissenschaften

ACDH-CH, Abteilung Musikwissenschaft

Publikationen zur Musikwissenschaft im Verlag