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Stainer, Stainer, true Jacob
* --vor 1617 Absam/T, † --Spätherbst 1683 Absam. Geigenbauer. Über seine Ausbildung ist kaum etwas bekannt. Sein dokumentiertes Bildungsniveau legt den Schluss nahe, dass er – vermutlich in Hall in Tirol – zunächst eine Lateinschule besuchte. Über seinen Werdegang zum Geigenbauer berichten lediglich mehr oder minder plausible Legenden und Geigenzettel mit verschiedenen Ortsangaben von zweifelhaftem Quellenwert. Mit einiger Wahrscheinlichkeit könnte er das Gewerbe in den Werkstätten der Familie Seelos in Innsbruck und Venedig erlernt haben, was auch seine Italienischkenntnisse begründen könnte. Spätestens 1638 ließ sich St. in Absam nieder und heiratete dort 1645 Margareta Holzhammer, Tochter eines Haller Bergmeisters. In den ersten Jahren seiner Tätigkeit reiste er jeweils für mehrere Monate zu größeren Reparatur- und Neubauaufträgen (Salzburg 1644, München 1645). Von 1646 an ist er für annähernd anderthalb Jahre in Venedig, danach in Kirchdorf an der Krems/OÖ, schließlich im Sommer 1649 in Meran nachweisbar. Weitere temporäre Aufenthalte in Marienberg, Brixen und Bozen dürften ebenfalls in diesen Zeitraum fallen. Wie aber aus diversen Einträgen in den Absamer Pfarrmatrikeln über Kindstaufen, Beerdigungen und Patenschaften zu entnehmen ist, lebte und arbeitete er vor 1650 zwischen seinen Reisen jeweils über längere Zeiträume, danach aber praktisch ausschließlich in Absam.

Für die nachfolgenden beiden Jahrzehnte fehlen archivalische Belege seiner Arbeit weitgehend; 1668/69 wurde er erneut, diesmal im Zusammenhang mit einer Anklage wegen Lektüre und Besitz „ketzerischer“ Schriften aktenkundig und in der Folge dieses Verfahrens für mehrere Monate inhaftiert, durfte jedoch in der Haft weiterarbeiten; die Erledigung von Aufträgen für das Kloster Rottenbuch/D sowie für die bischöfliche Hofkapelle zu Olmütz fallen in diese Zeit. Eine zeitweilige Bewusstseinsstörung 1675–80 und das Nachlassen seiner Produktivität im Alter führten zu einer materiellen Notlage in seinen letzten Lebensjahren.

Nach den erhaltenen Belegen zu urteilen, hat J. St. hauptsächlich Violinen (Geigen- und Lautenbau), Bratschen, Viole da gamba sowie kleinere (Bassette) und größere Kontrabässe gebaut; Violoncelli scheinen überwiegend im 18. und 19. Jh. aus Bassetten oder Gamben umgearbeitet worden zu sein. Sein Gambenmodell kombiniert englische Proportionierungen mit süddeutschen Corpora, die einige typische Elemente der da-braccio-Familie aufweisen. Sein typisches Geigenmodell zeichnet sich durch auffallend hohe Wölbungen mit ausgeprägter Hohlkehle und wenig hervortretenden Ecken aus und beeinflusste den gesamten Geigenbau im deutschsprachigen Raum und darüber hinaus. Der hierfür eingeführte Begriff „Tiroler Schule“ ist in diesem Sinne primär nicht als Herkunftsbezeichnung, sondern als Hinweis auf St.s Vorbildwirkung zu verstehen. Das Klangspektrum der Violinen St.s ist von „silbrig-flötenartigen“ Timbres mit hohem Verschmelzungsgrad geprägt und repräsentiert paradigmatisch die Klangästhetik der Violine des 17. und 18. Jh.s. Bis um die Mitte des 19. Jh.s überragte die materielle und ideelle Bewertung seiner Instrumente diejenige Cremoneser Herkunft um ein Vielfaches. Dies führte zu dem etwas zwiespältigen Nachruhm St.s als wohl meistgefälschter Geigenbauer der Geschichte. Die Produktion derartiger Nachahmungen oder Falsifikate mit Zettelimitaten setzte im 18. Jh. ein und führte zudem zur Erfindung fiktiver Schüler und Verwandter wie etwa des Geigenbauers „Markus Stainer in Kufstein.“ Die Wirkung und Verbreitung der St.-Imitationen reichen soweit, dass Zettelimitate noch in älteren Nachschlagewerken als echt abgebildet wurden. Eine Klärung dieser Sachverhalte zu echten und falsifizierten St.-Zetteln haben W. Senn und Karl Roy 1986 publiziert.


Literatur
W. Salmen (Hg.), [Kgr.-Ber.] J. St. und seine Zeit. Innsbruck 1983, 1984; W. Senn/K. Roy, J. St. 1986; NGroveD 24 (2001); Lütgendorff 1990; E. Tremmel in K. Drexel/M. Fink (Hg.), Musikgesch. Tirols 2 (2004).

Autor*innen
Erich Tremmel
Letzte inhaltliche Änderung
5.4.2023
Empfohlene Zitierweise
Erich Tremmel, Art. „Stainer, Jacob‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 5.4.2023, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001e329
Dieser Text wird unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.

MEDIEN
Gedenktafel am Gasthof Ebner in Absam/T. (Wiener Bilder, 30.7.1933, 11)© ANNO/ÖNB
Violine, Absam 1682, die „letzte Geige“ (A-Imf M/I 320)© Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum
© Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum
HÖRBEISPIELE

J. S. Bach, Adagio aus der Sonate für Violine solo in C-Dur, BWV 1005, gespielt auf einer Violine von J. Stainer, Absam um 1676

DOI
10.1553/0x0001e329
GND
Stainer, Jacob: 118752596
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