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Unterhaltungsmusik, symphonische
Überschaubares, ein- oder mehrsätziges Orchesterwerk mit eingängigem Material in effektvoller Gestaltung unter Verwendung symphonischer Techniken und mit programmatischem bzw. auf traditionelle Gattungen rekurrierendem Titel. Ziel war gehobene Unterhaltung (Unterhaltungsmusik) im Stil des ausgehenden 19. Jh.s. Ihrer Funktion nach ersetzte S. U. in ihren Anfängen Salonmusik und diente allein den Erfordernissen des Rundfunks sowie dem privaten Hören von Tonträgern. Ihr Beginn datiert mit der Verbreitung des Rundfunks Ende der 1920er Jahre, ihr Ende ist in Österreich 1967 mit der Sender-Reform des ORF anzusetzen, als sich der Klassiksender Ö 1 auf „authentische“ Musik, Ö 3 auf internationale Popularmusik spezialisierte und Regionalsender spezielle Länderprogramme auszustrahlen begannen.

S. U. entwickelte sich aus dem immensen Musikbedarf des pro Tag immer länger sendenden Rundfunks. Da originale Kunstmusik für die Konzertsituation konzipiert war, eignete sie sich zur Verbreitung permanenter Unbeschwertheit und zum Nebenbeihören nur partiell. Zwangsläufig ergab sich der erste Schritt hin zur S. U. in selektiver Darbietung berühmter Werke, die Rundfunk-gemäß arrangiert und je nach Sendezeit gekürzt oder erweitert wurden. Findige Kapellmeister und Komponisten reduzierten den Anteil der Kunstmusik auf Zitate und kompilierten daraus neue Stücke (Potpourri), etwa Unser Strauß, große Phantasie über Melodien von Johann Strauß (anonym) oder die Phantasie Aus Schuberts Skizzenbuch von Ernst Urbach (1872–1927). Somit konnten sie am Erfolg namhafter Vorgänger partizipieren, ohne des Plagiats bezichtigt zu werden, da sie bloß dem Usus im musikalischen Alltagsleben der jüngeren Vergangenheit folgten und ihre Quellen schon der Popularität wegen nannten. Allmählich integrierten einige Kapellmeister der vom Rundfunk engagierten Ensembles eigene Stücke in das Programm, wobei man sich an der Erwartungshaltung des Musik liebenden Publikums orientierte. Diese Erwartungshaltung beruhte auf dem musikalischen Kanon des 19. Jh.s, weshalb sich S. U. aus dem Fundus dieser Ära konstituierte, bereichert um Modetrends, etwa aus dem sog. Jazz der Zwischenkriegszeit und ab 1930 der Filmmusik. Dem Publikum konnte solcherart aktuelle musikalische Unterhaltung in der ihm vertrauten Tonsprache geboten werden. Formal begegnen kleine Symphonische Dichtungen mit kurzen, durchführungsähnlichen Partien, mehrsätzige Suiten über außermusikalische Themen und einem Titel zu jedem Satz, kleine Konzerte, Phantasien, Potpourris von gefälligen Melodien, Ouvertüren, Rhapsodien, Serenaden, Charakterbilder u. ä. Strukturell finden sich simplifizierte Sonatensatz-, Rondo-, Reihungs-, Lied- und Tanzformen. Als Vorbild sind Symphonien der Klassik, orchestrierte Salonmusik, konzertante Ballett- und Bühnenmusiken sowie Konzertwalzer der Strauß-Dynastie verifizierbar. Mitunter verwendete man barocke Satztechniken, um ein gewisses Maß an Kunstsinnigkeit zu suggerieren. Als einigende Elemente lassen sich Wahrung der melodischen und rhythmischen Kontinuität, dynamische Homogenität sowie nachvollziehbare Kontrastbildungen zum Zweck dramaturgisch notwendiger Steigerungen feststellen. Letztere verschwinden am Ende der Ära der S.n U.

Bis zur Gründung rundfunkeigener Orchester blieb S. U. einer von vielen Programmpunkten in den damals üblichen Mischprogrammen, die von mehreren Kapellen mit unterschiedlichem Repertoire gestaltet wurden. Zur Profilierung des eigenen Orchesters benötigte man erneut Symphonik; folglich nahm die Produktion an S.r U. zu. Als nach Hitlers Machtergreifung (Nationalsozialismus) der beliebte Jazz aus den Rundfunkprogrammen verschwand, galt das Primat der S.n U. Ihr Prinzip, Traditionelles mit gefällig Neuem zu verbinden und durch Titelgebung abseits wirklicher Programmatik Aktualität zu signalisieren, koinzidierte mit der Musik-Ideologie des Dritten Reichs, die u. a. Musik für die Massen forderte. In dieser Phase dominierten größere Formen, Verarbeitungstechniken der historischen Symphonik, starke Kontrastbildung, Pathos und Heroismus (z. B. F. J. Reinls Aus deutschen Kolonien, 1943). Die Kriegsverluste des Dritten Reichs spiegelten sich in der S.n U. durch allgemeine Zurücknahme in Form und Aussage sowie in der Konzentration auf Unterhaltung jenseits jeglichen Heldentums; am Ende des Zweiten Weltkriegs entstanden wenige, kürzere Werke, vergleichbar den instrumentierten Stücken historischer Salonmusik.

Nach 1945 beschränkte man sich zunächst auf die Wiederaufnahme von vitalen Stücken der Zwischenkriegszeit, nahm alsbald „unverdächtige“ S. U. er Kriegszeit – allerdings mit neuen Titeln – ins Programm, favorisierte aber rasch neue Stücke mit Bezug zu aktueller Filmmusik. In der Besatzungszeit Österreichs wirkte S. U. durchaus Identität stiftend: Auf beiden Wiener Sendern (Wien I und II) begegnen sprechende Titel wie Alt-Wiener Fiakerhumor (M. Schönherr), Wienerwald-Idyll (W. Andress) oder Alt-Wiener-Serenaden (J. Marx, 1942/43). Neben diesen einsätzigen Stücken entstanden weiterhin größere Werke, z. B. F. Reidingers Eichendorff-Suite op. 18, F. Salmhofers Konzert für Violoncello und kleines Orchester (beide 1949). Komponisten, die sich eigentlich der Kunstmusik zugehörig fühlten, und jene, die bewusst Unterhaltung produzierten, bedienten in der Phase künstlerischer Orientierungslosigkeit der Nachkriegszeit diese Gattung, mitunter aber für unterschiedliche Sendeformate: Artifiziellere Stücke fanden Aufnahme im Repertoire des Großen Orchesters der RAVAG unter M. Schönherr, einfachere Stücke in jenem des Kleinen Orchesters unter Ch. Gaudriot.

Am Beginn der 1960er Jahre zeichnete sich Konkurrenz für S. U. in zweierlei Hinsicht ab: einerseits faszinierte amerikanische Popularmusik die Jugend, andererseits entdeckte man den Reiz des „Authentischen“ in Alter Musik, ausgelöst durch das Bach-Jubiläum 1950 und die Gründung von Spezialistenensembles für historische Musik (Aufführungspraxis), die den durch die Klangästhetik des NS-Regimes verunstalteten Sound nach und nach korrigierten. Zudem erreichten Komponisten und Dirigenten dieser Gattung ihr Pensionsalter, was zu einem Generationswechsel mit der erwähnten Rundfunkreform in Österreich führte, und sich S. U. neben der neuen, internationalen Populärkultur verbraucht ausnahm.

Dass S. U. aus dem Bewusstsein von Musikliebhabern und Musikwissenschaftlern heute (2005) verschwunden ist, bestenfalls als Unterhaltungsmusik ein verborgenes Dasein in lexikalischen Werklisten führt, liegt an der unheilvollen Verbindung mit dem Dritten Reich und der Skepsis gegenüber sog. romantischen Satztechniken im Zeitalter der Avantgarde. Nichtsdestoweniger hatte S. U. über drei bis vier Jahrzehnte ein Millionenpublikum begleitet und dadurch die musikalische Sozialisierung von zumindest zwei Generationen geprägt.

An marktwirtschaftlichen Kriterien gemessen – für S. U. absolut angebracht –, liegt diesem Phänomen ein Bedarf in der Gesellschaft zu Grunde, der, nach einer etwa 20-jährigen Pause, seit den frühen 1990er Jahren durch Soundtrack-Einspielungen von Filmmusik abgedeckt wird. Da dieser seit ihren Anfängen die Geschlossenheit eines Werkes fehlt, muss sie ebenso eingerichtet werden, wie dereinst Kunstmusik und erfüllt mit Ausnahme der hier mitunter extrem ausgeprägten dramaturgischen Steigerungen die Kriterien der S.n U. Dafür reserviert der Rundfunk nur in Spezial-Sendungen auf Ö 1 Zeit; der Großteil ist für privates Hören von Tonträgern konzipiert.

Als die wohl wichtigsten österreichischen Komponisten von S.n U. seien genannt: W. Andress, N. Dostal, H. Eichinger, H. Jelinek, Ch. Gaudriot, K. Grell, H. Hauptmann, K. Hawranek, V. Hruby, E. Kaiser, R. Kattnigg, H. Kliment, L. Lehner, G. Macho, J. Mayer-Aichhorn, A. Melichar, E. Nick, R. Österreicher (I), A. Pachernegg, A. Pauscher, R. F. Pehm, A. Pepöck, H. Però, F. J. Reinl, W. Russ-Bovelino, H. Sandauer, S. Schieder, G. Schneider, M. Schönherr, B. Silving, J. Sirowy, R. Stolz, J. Tanterl, F. Theimer, H. Totzauer, O. Wagner, F. Zelwecker, E. Zillner.


Literatur
MGG 9 (1998); Lang 1986 u. 1996; M. Saary, Die Musik der audiovisuellen Medien. Von romantischer Allmacht zu medialer Allgegenwärtigkeit, Hab.schr. Wien 1997; eigene Recherchen.

Autor*innen
Margareta Saary
Letzte inhaltliche Änderung
15.5.2006
Empfohlene Zitierweise
Margareta Saary, Art. „Unterhaltungsmusik, symphonische‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 15.5.2006, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0007bcdd
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