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Verzierung
Bezeichnung für verschiedene, von Epoche, Land, Komponisten oder auch Instrument abhängige Formen von melodischem und/oder rhythmischem Ausschmücken („Verzieren“) der melodischen Linie (auch Auszierung, Manieren, Ornamente; frz. agréments, broderies, ornements; engl. graces, ornaments, embellishment; ital. fioretti, fioriture, abbellimenti). V.en sind entweder mittels eigener Zeichen oder kleinerer Noten direkt im Notentext angedeutet oder ihre Ausführung wurde nach bestimmten stilistischen Kriterien stillschweigend vom Interpreten erwartet.

Der Ursprung der V. liegt in der Improvisation. Die frühesten Belege für schriftlich fixierte Zeichen entstammen dem Mittelalter aus dem Bereich des gregorianischen Chorals, der Notre-Dame-Schule oder der Trobadors sowie Trouvères; die ersten theoretischen Reflexionen der V. sind nach Hieronymus de Moravia (Musica, um 1300) oder Giovanni Luca Conforti (Breve et facile maniera d’essercitarsi, Rom 1593) v. a. bei Giulio Caccini (Le nuove musiche, Florenz 1601, Venedig 1602) zu finden. In der Barockzeit gewann die V.s-Kunst zunehmend an Bedeutung, v. a. in England und Frankreich im Bereich des Lauten-, Gamben- und Cembalospiels. Charakteristisch sind dabei neben der Verbindung zum Affekt sowohl die stets wachsende, beinahe unübersichtliche Anzahl der verschiedenen V.en (mit uneinheitlicher, z. T. gar widersprüchlicher Terminologie) als auch das stets latent vorhandene improvisatorische Moment, das dem Interpreten eine gewisse Ausführungsfreiheit überlässt. Die wichtige Stellung der V. im 17. und 18. Jh. spiegeln zahlreiche Lehrwerke wider, wobei die Kapitel über V. kontinuierlich an Länge gewinnen (Francesco Geminiani, The Art of Playing on the Violin, London 1751; Johann Joachim Quantz, Versuch einer Anweisung, die Flöte traversière zu spielen, Berlin 1752; C. Ph. E. Bach, Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen, Berlin 1753; L. Mozart, Versuch einer gründlichen Violinschule, Augsburg 1756, D. G. Türk, Clavierschule oder Anweisung zum Clavierspielen für Lehrer und Lernende, Leipzig und Halle 1789, u. a.). Darüber hinaus finden sich Informationen über die V. in Musikdrucken, wie etwa bei Ge. Muffat (Florilegium secundum, Passau 1698) oder Go. Muffat (72 Versetl Sammt 12 Toccaten f. Org., Wien 1726 [DTÖ 58, 1922]; Componimenti musicali per il Cembalo, Augsburg zw. 1735/39, [DTÖ 7, 1896]).

Je nach der Art der V. wurde in der Barockzeit unterschieden nach sog. „wesentlichen Manieren“, deren Aufgabe in der Hervorhebung bzw. Umspielung einzelner ausgewählter Töne bzw. in der Erzeugung von Dissonanzen auf den Hauptschlägen liegt, und nach sog. „willkürlichen Manieren“, dem Ausfüllen (Diminution, Division) größerer Intervalle. Zu den wichtigsten „wesentlichen Manieren“ zählen neben Vorschlägen (ital. appoggiature, portamento, frz. appoggiature, port de voix, appuy, comté, im 17. Jh. als accenti bezeichnet), also kleinen (meist Viertel-, Achtel-, Sechzehntel-)Noten mit oder ohne durchgestrichenen Hals vor der Hauptnote, die entweder von oben oder von unten ausgeführt werden konnten, mehrtönige Vorschläge (Anschlag und Schleifer), Nachschläge, Vibrato oder Tremolo und auch verschiedene Formen des Trillers mit seinen zahlreichen Ausführungsmöglichkeiten (Beginn mit der Haupt- oder Nebennote, Triller mit oder ohne Nachschlag, unterschiedliche Dauer und Geschwindigkeit, kurzer Triller wie Mordent oder Vibrato, Doppelschlag). Von den sog. „willkürlichen Veränderungen“ zählen schnelle, auf- oder absteigende Läufe (Tirata, Passagi) oder halbkreisartige Formen (Zirkel, circolo mezzo, grupetto) zu den am meisten auftretenden V.en. Eine zusätzliche Bereicherung erfuhren die verschiedenen V.en durch die stets diffiziler werdende Bogentechnik der Streichinstrumente (gebundene, ungebundene oder kombinierte Stricharten, Artikulationsarten wie staccato, spiccato, Zeichen wie Punkt, Keil, vertikaler Strich u. ä.). War die V. in erster Linie dem Solospiel vorbehalten, lässt sich mit Aufkommen des sog. galanten Stils in der Zeit nach 1700 auch in den Orchesterstimmen der Wiener Hofoper eine kontinuierliche Zunahme von verschiedenen V.en beobachten. Abgesehen davon, dass die vorherrschende Form der italienischen Oper, die Da capo-Arie, bei der Wiederholung des ersten Teiles die V.s-Kunst des Gesangssolisten direkt herausforderte, finden sich in den Instrumentalstimmen der Wiener Opernpartituren, bei Komponisten wie G. Bononcini und danach v. a. A. Caldara, diverse Triller mit oder ohne Vor- und Nachschläge, schnelle Tiraten, verschiedene Formen des Streichertremolos oder Vibratos (Wellenlinie) usw., kombiniert mit kleingliedriger und auf mannigfaltige Weise artikulierter Melodik. Eine Sonderform der V. bildet hier das aus dem Bereich des Lauten-, Gamben- oder Cembalospiels stammende und in den (Solo- und Tutti-)Instrumentalstimmen der Wiener Hofoper häufig angewandte Arpeggio, mit den typischen variablen (im Notentext meist angedeuteten) Möglichkeiten der Akkordbrechung sowie der verschiedenen Art der Artikulation (gebunden, ungebunden, kombiniert).

Die enorme Zunahme der V.en bzw. ihr Missbrauch führten dazu, dass Komponisten (schon etwa J. S. Bach, Sonaten und Partiten f. V. solo, BWV 1001–1006, später W. A. Mozart, L. v. Beethoven) ihre V.s-Vorschläge in zunehmendem Maße selbst fixierten, wodurch die improvisierte V. schon gegen 1800 an Wichtigkeit verlor.


Literatur
A. Dolmetsch, The Interpretation of the Music of the XVIIth and XVIIIth Centuries 1915; E. Badura-Skoda/P. Badura-Skoda, Mozart-Interpretation 1957; W. Kolneder, Georg Muffat zur Aufführungspraxis 1970; H. Krones/R. Schollum, Vokale u. allgemeine Aufführungspraxis 1983; J. Spitzer/N. Zaslaw in JAMS 39 (1986); E. Kubitschek in E. Thom (Hg.), [Kgr.-Ber.] Zur vokalen u. instrumentalen Ornamentik des 18. Jh.s. Blankenburg 1986, 1987; G. Moens-Haenen, Das Vibrato in der Musik des Barock 1988; L. Lohmann, Die Artikulation auf den Tasteninstrumenten des 16.–18. Jh.s 1990; H. Krones in J. Trummer (Hg.), [Kgr.-Ber.] Alte Musik – Lehren, Forschen, Hören. Graz 1992, 1994; D. Glüxam, Instrumentarium u. Instrumentalstil in der Wr. Hofoper zw. 1705 u. 1740, Hab.schr. Wien 2005.

Autor*innen
Dagmar Glüxam
Letzte inhaltliche Änderung
15.5.2006
Empfohlene Zitierweise
Dagmar Glüxam, Art. „Verzierung‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 15.5.2006, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001e58f
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