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Wiener Cäcilien-Verein
Wiener Kirchenmusikverein. Ging 1871 aus dem Verein zur Beförderung echter Kirchenmusik hervor, dessen Vereinsmusikschule er weiterführte. Auch er schrieb die Förderung „echte[r] Kirchenmusik“ in seinen Statuten fest und orientierte sich an der 1875 entstandenen Schrift Zur Reform oder Regenerierung der Kirchenmusik von A. W. Ambros, die er 1878 in den ersten Nummern seines Vereinsorgans abdruckte. 1879 hieß es diesbezüglich, der Verein strebe die Reorganisation der Kirchenmusik im Geiste der Kunst und Liturgie auf Grundlage des Gregorianischen Chorals mit besonderer Würdigung der Kirchenmusik des 15. und 16. Jh.s und der mustergültigen neuen Kompositionen auf diesem Gebiet an (Wr. Bll. f. Kirchenmusik 10.1.1879, Beilage). Seine Mitglieder wurden zunächst in Gründer, Beförderer (mindestens 4 fl jährlich; ab 1877 2 fl für in Kronland-Hauptstädten Ansässige, 1 fl für Mitglieder vom Land), ausübende Mitglieder und Ehrenmitglieder eingeteilt. Nach den geänderten Statuten von 1883 unterschied man nur mehr in Gründer (mindestens 50 fl jährlich; F. Liszt spendete dem Verein 1879 100 fl), unterstützende Mitglieder (mindestens 2 fl jährlich) und Ehrenmitglieder. Die Vereinsgeschäfte führte eine siebenköpfige Direktion, der auch der Direktor der Schule angehörte. 1873 gehörten dem Verein 113 Mitglieder an (19 Gründer, 46 Beförderer, 38 ausübende Mitglieder, 10 Ehrenmitglieder), 1882 waren es 80 (70 Unterstützer, 10 Ehrenmitglieder) und 1898 nur mehr 46 (36 Unterstützer, 10 Ehrenmitglieder).

In der Vereinsschule (Organisten- und Chorregentenschule, zunächst in der Salvatorgasse 12, Wien I, ab 1894 in der Ferstelgasse 4, Wien IX) stand der Unterricht im Orgelspiel, in Musiktheorie und „den übrigen kirchenmusikalischen Fächern“ neben dem Gesangunterricht am Lehrplan. Für die Aufnahme waren musikalische Grundkenntnisse Voraussetzung, Anfänger hatten in der Regel drei Jahre die Schule zu besuchen. Als erste Lehrer fungierten E. Stoiber und Jos. Böhm. 1875 zählte die Orgelschule 20 und die Mädchengesang- sowie Männergesangschule jeweils zehn Schüler. 1879/80 besuchten 23 Schüler die Schule, 1881/82 waren es 50 Gesang- und 30 Orgelschüler. Bis 1881 war die Schule die einzige Lehranstalt für kirchliche Tonkunst in Österreich. Stoiber stand 1871/72 als artistischer Leiter auch dem Vereinschor vor, danach übernahm Böhm diese Funktion, der zunehmend zur treibenden Kraft des Vereins wurde. Während man bei der Orgelmusik ein durchaus breites Repertoire pflegte (J. S. Bach, Johann Philipp Kirnberger, A. F. Hesse, Felix Mendelssohn Bartholdy, Johann Gustav Eduard Stehle), war die vom Vereinschor unter Böhm gepflegte Vokalmusik fast ausschließlich cäcilianistisch geprägt (klassische Vokalpolyphonie, Carl Proske, F. X. Witt etc.). Im Rahmen eines im Herbst 1881 ausgeschriebenen Kompositionswettbewerbs für eine Messe für vierstimmigen gemischten Chor, Orgel und kleines Orchester ad libitum (Jury: Moritz Brosig, K. Seyler, Jan Nepomuk Škroup) wurde keinem der zwölf eingelangten Werke der Preis in der Höhe von 50 fl zuerkannt.

Im Vereinsjahr 1875/76 plante der Verein einen Vortragszyklus zu den Themen Orgelbaukunst, Akustik, Geschichte der Kirchenmusik und Reform der Kirchenmusik, bei dem A. W. Ambros und F. X. Witt als Vortragende auftreten sollten. Dieser Zyklus dürfte jedoch nicht stattgefunden haben.

Ein voller Erfolg war der 1878 in Wien durchgeführte erste unentgeltliche Instruktionskurs in Österreich für Chorregenten, Organisten und Gesanglehrer. Die 72 Teilnehmer (40 Lehrer, 2 Musiklehrer, 2 Domkapellmeister, 6 Priester, 22 Chorregenten und Organisten) kamen aus acht Kronländern (26 aus Niederösterreich, 24 Mähren, 8 Oberösterreich, 5 Böhmen, 4 Österreichisch-Schlesien, 2 Krain, je einer aus Salzburg und Kärnten) und Ungarn (1). Ein weiterer Kurs ein Jahr später fand trotz 44 Anmeldungen nicht statt. Grund dafür dürften die gegen Ende der 1870er Jahre aufgetretenen massiven Spannungen innerhalb des Vereins gewesen sein, infolge derer Jos. Böhm am 14.5.1880 von allen Vereinsfunktionen (Leiter und Prof. der Schule, Direktionsmitglied, artistischer Vereinsleiter) zurücktrat und in weiterer Folge den Wiener St. Ambrosius-Verein ins Leben rief. Auslöser für die Konflikte war ein Richtungsstreit zwischen den Vertretern einer gemäßigten und einer radikalen Richtung des Cäcilianismus gewesen. Letztere wurde von Jos. Böhm vertreten, erstere vom Juristen und Organisten an der Votivkirche (Wien IX) K. Hausleithner, der für eine Ignorierung des Vereinskatalogs des Allgemeinen Cäcilien-Verbandes eintrat und von L. Eder, O. Bach und C. Wolf unterstützt wurde. Wolf folgte Böhm zunächst als künstlerischer Leiter nach. Die Vereinsdirektion berief in der Nachfolge Böhms J. E. Habert zur Leitung der Schule, der jedoch ablehnte. Schließlich stand K. Hausleithner der Schule bis zu seinem Ableben am 12.11.1905 vor.

In der Vereinsschule wurde in den 1890er Jahren nur mehr Orgel- und Gesangunterricht erteilt. Während die Orgelschüler kontinuierlich zurückgingen (1893/94: 28, 1899/1900: 15), schwankte die Zahl der Gesangschüler zwischen 26 und 48 (z. B. 1892/93: 36, 1894/95: 26, 1897/98: 48). Das Repertoire der Schülerkonzerte war relativ breit gefächert (u. a. Orgelwerke von Girolamo Frescobaldi, J. S. Bach, F. Mendelssohn Bartholdy, Charles-Marie Widor; Chorwerke von I. Mitterer, Joseph Gabriel Rheinberger, G. F. Händel, M. Brosig, F. X. Witt, P. A. Niedrist, R. Schumann, Max Filke, W. A. Mozart). In dieser Zeit erhielt der Verein finanzielle Unterstützung vom Land Niederösterreich. 1894 gehörten ihm fünf Gründer, 21 unterstützende Mitglieder und drei weitere Mitglieder (die weniger als 2 fl jährlich zahlten) an. Ende der 1880er Jahre fanden die Aufführungen des Vereins in der Dominikanerkirche, in Maria am Gestade, in der Universitätskirche und in der Minoritenkirche (alle Wien I) statt.

Vereinsfunktionäre (soweit bekannt):

Präses: Josef Bach (1871–74), A. W. Ambros (1875/76), Ignaz Fürst (1877–82?), P. Hermann Schubert OSB (1882–92; Halbbruder der Brüder Schubert), 1892–98 unbesetzt, Laurenz Mayer (1898– mind. 1900).

Präses-Stellvertreter: Alois Wessely (1871–73?), K. Hausleithner (1873– nach 1901).

Administrator: K. Hausleithner (1871–73), Johann Lenoch (1873–75), Franz Umlauf v. Biberfort (1875–77), Johann Georg Wörz (1877–?), C. Wolf (1880), Franz Quapill (1882–83), F. Rebay (1883–nach 1884).

Kassier: Alexander Leibenfrost (1871–?), F. Umlauf (–1880), Wenzel Schwarz (1880), Hugo Hauschka (1886–92), F. Umlauf v. Biberfort (mind. 1892–1901).

Lehrer an der Vereinsschule: E. Stoiber (Orgel 1871–75?), Jos. Böhm (Choral- und Figuralgesang 1871–80), K. Hausleithner (Orgel spätestens 1886–1905), A. E. Titl (Harmonielehre ca. 1878–80), Michael Bauer (Gesang ca. 1880–85), C. Wolf (Harmonielehre und Orgelspiel mind. 1880–1901), Moriz Wolf (Gesang mind. 1886–1901), F. Habel (1903–06: Musiktheorie, Instrumentalsatz, Partiturspiel, Choralgesang, Liturgie).

Ehrenmitglieder des Vereins waren u. a. A. W. Ambros, F. P. v. Laurencin d’Armond, F. Krenn, L. Rotter, Vinzenz Müller.

Die Wiener Blätter für katholische Kirchenmusik – bis November 1879 von Jos. Böhm und K. Hausleithner gemeinsam redigiert, dann nur mehr von Böhm – fungierten bis Mai 1880 als offizielles Vereinsorgan. 1906 fusionierte sich der Verein mit dem Wiener St. Ambrosius-Verein zum Allgemeinen Kirchenmusikverein.


Literatur
Wr. Bll. f. katholische Kirchenmusik 1–3 (1878–81); M. Cuderman, Der Cäcilianismus in Wien und sein erster Repräsentant am Dom zu St. Stephan August Weirich, Diss. Wien 1960, 24–46; W. Sauer in Kirchenmusikalisches Jb. 63/64 (1979/80); E. Tittel in Chorbll. 5 (1950); Jahresberichte des Vereins 1893–1900; Fremden-Bl. 10.10.1871, 6, 25.1.1872, 6f; Wr. Abendpost 30.1.1872, 95, 4.12.1873, 2228f, 3.8.1875, 2; Neues Wr. Tagbl. 14.3.1872, 4, 23.2.1873, 2, 25.6.1885, 10, 25.3.1906, 10; Wr. Sonn- u. Montags-Ztg. 1.7.1872, [4], 1.11.1877, [3]; Neues Fremden-Bl. 26.9.1872, [14]; Bll. f. Musik, Theater u. Kunst 2.2.1872, 39f, 20.12.1872, 308, 18.4.1873, 63, 5.12.1873, 172; Wr. Ztg. 25.12.1872, 2471, 29.1.1898, 5; Die Presse 10.4.1873, 10, 9.10.1873, 9, 13.7.1875, 11, 4.11.1881, 13, 25.1.1894, 11; Morgen-Post 4.8.1875, [4]; Das Vaterland 16.9.1875, [3], 9.7.1876, [3], 20.6.1878, [4], 16.5.1880, 7, 20.5.1880, 6, 5.10.1881, 5, 25.4.1883, 6, 19.12.1884, 5, 3.1.1900, 6; Gemeinde-Ztg. 14.8.1877, [11]; NFP 3.11.1877, 6, 2.4.1878, 5, 30.9.1880, 6, 20.7.1881, 7, 5.11.1881, 6, 7.12.1882, 7, 4.4.1885, 7, 10.9.1887, 4, 13.4.1895, 6; St. Pöltner Bote 4.2.1892, 6; Reichspost 20.1.1906, 9; SK 46/1 (1999), 23; Fromme’s musikalische Welt 1 (1876) – 26 (1901); Lehmann-Adressbuch 1873–77 [sub Schulen bzw. Unterrichts-Anstalten]; NÖLA (Vereinsstatuten 1855–1935/40, K 3983).

Autor*innen
Christian Fastl
Letzte inhaltliche Änderung
24.11.2021
Empfohlene Zitierweise
Christian Fastl, Art. „Wiener Cäcilien-Verein‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 24.11.2021, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x003ac72a
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