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Ästhetik
Lehre von der sinnlichen Erkenntnis, von Alexander Gottlieb Baumgarten um 1750 als eigenständiger Zweig der Philosophie eingeführt, in der Kunstphilosophie wissenschaftliche Untersuchung des Schönen; Gegenstand der Musikästhetik ist die Musik im Kontext philosophischer Theorien des Schönen und der Kunst.

Von einer österreichischen Tradition in der Ä. zu sprechen, setzt – da die Ä. traditionell als Teildisziplin der Philosophie verstanden wurde – die Anerkennung einer eigenständigen österreichischen Philosophietradition voraus, was in der Tat durch neuere Forschungsergebnisse nahegelegt wird (Rudolf Haller, János C. Nyiri, Barry Smith). Diese spezifisch österreichisch-zentraleuropäische Tradition ist durch das Festhalten an einem grundlegend modifizierten Leibnizianismus, die Betonung eines erkenntnistheoretischen Objektivismus, die Vorliebe für formale Methoden und eine strikte Opposition zu Kant und dem deutschen Idealismus gekennzeichnet.

Als Stammvater dieser österreichischen Philosophietradition wird der Prager Philosoph, Theologe und Mathematiker B. Bolzano angesehen, der eine kommunikationstheoretisch untermauerte Formalästhetik vertrat, die zahlreiche Parallelen zu den Auffassungen Johann Friedrich Herbarts aufweist, sich jedoch dahingehend von einer rein formalen Ä. unterscheidet, als Bolzano von einer kommunikativen Wechselwirkung zwischen Betrachter und Objekt ausgeht. Bolzanos Auffassung von der ästhetischen Wahrnehmung als einem objektiven, vom individuellen Rezipienten prinzipiell unabhängigen, rationalen Erkenntnisprozess übte großen Einfluss v. a. auf seinen Privatschüler R. Zimmermann aus, der sich – anfangs gänzlich Bolzano folgend – später zum führenden Vertreter einer rein formalen Ä. im Sinne Herbarts wandelte, der zufolge „Schönheit“ als mathematisch berechenbare, dem schönen Objekt direkt anhaftende formale Eigenschaft ohne Bezug auf inhaltliche Aussagen definiert wird. Mit dieser Auffassung, die ähnlich auch von den Anhängern des Prager Formalismus (Josef Durdek, O. Hostinsky) vertreten wurde, steht Zimmermann beispielhaft für die theoretische Ä. in der Donaumonarchie gegen Ende des 19. Jh.s; die Vorliebe der sich als eigenständige Disziplinen in Österreich gerade formierenden Kunstwissenschaften für analytisch-formalästhetische Ansätze (in der Musikwissenschaft G. Adler, in der Kunstgeschichte Franz Wickhoff, Alois Riegl) beruht wesentlich auf diesem Einfluss. Aufbauend auf diesen fachspezifischen Ansätzen formulierte F. Brentano seine philosophische Theorie einer spekulativ-normativen Ä. als einer Teildisziplin der empirischen Psychologie.

Kaum hoch genug einzuschätzen ist Bolzanos, hauptsächlich über Zimmermann vermittelter Einfluss auf E. Hanslicks Vom Musikalisch-Schönen (1854), in dem musikalische Rezeption gleichfalls als objektive, subjektunabhängige Erkenntnis geistiger „tönend bewegter Formen“ aufgefasst wird. Hanslick wurde damit zum Begründer eines„eigenen Denkansatzes, der wissenschaftsgeschichtlich in einer autonomen österreichischen Tradition steht und von Guido Adler später fortgesetzt werden konnte“ (D. Strauß).


Schriften
Untersuchungen zur Grundlegung der Ä., hg. v. D. Gerhardus 1972.
Literatur
A. G. Baumgarten, Aesthetica 1750–58; K. Blaukopf, Die Ä. Bernard Bolzanos 1996; B. Bolzano, Untersuchungen zur Grundlegung der Ä., hg. v. D. Gerhardus 1972; R. Haller, Studien zur Österreichischen Philosophie 1979; E. Hanslick, Vom Musikalisch-Schönen 1854; R. Hofmann, Der Begriff des Schönen und der Kunst bei Bernard Bolzano, Diss. Wien 1953; G. Jäger in H. Zeman (Hg.), Die österreichische Literatur 1982; C. Landerer in Kriterion 3,5 u. 3,6 (1993); C. Landerer in ÖMZ 54/9 (1999); J. C. Nyiri,Von Bolzano zu Wittgenstein 1986; J. C. Nyiri, Am Rande Europas. Studien zur österreichisch-ungarischen Philosophiegeschichte 1988; B. Smith, Austrian Philosophy 1994; D. Strauß, Einleitung in E. Hanslick, Aufsätze und Rezensionen 1849–1854, 1994; J. Stritecky in I. Bontinck (Hg.), Wege zu einer Wiener Schule der Musiksoziologie 1996; R. Zimmermann, Österreichische Blätter für Literatur und Kunst 47 (20.11.1854); R. Zimmermann, Geschichte der Ä. als philosophische Wissenschaft 1858–65; R. Zimmermann, Studien und Kritiken zur Philosophie und Aesthetik 2 (1870); R. Zimmermann in Sitzungsberichte der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften Phil.-hist. Cl. 73 (1873).

Autor*innen
Peter Stachel
Letzte inhaltliche Änderung
18.2.2002
Empfohlene Zitierweise
Peter Stachel, Art. „Ästhetik“, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 18.2.2002, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001f66c
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