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Ausseerland
(I) Region um die Orte Bad Aussee, Altaussee, Grundlsee und Bad Mitterndorf in der Steiermark; zeichnet sich durch eine sehr reiche Volksüberlieferung aus, auf deren Eigenart und Wert zu Beginn des 19. Jh.s zuerst der mit einer Ausseer Bürgerstochter vermählte Erzhzg. Johann aufmerksam machte und die bis heute zur Identität der dort ansässigen Bevölkerung gehört. Im Musikalischen findet man sie v. a. in Jodlern, Liedern, Gstanzln, Tänzen und Brauchmusik, wobei sich bis an die Schwelle der Gegenwart Formen erhalten haben, die anderswo längst in Vergessenheit geraten sind, wie z. B. Almschreie, Holzknechtrufe, Lieder zum Pilotenschlagen, Gasslreime, Pfeifermusik, Geigenmusik oder die ländlerischen Paartänze Steirer (Steirischer) und Landler in der charakteristischen Einheit von Gstanzlsingen, Paschen (rhythmisiertes Klatschen), Tanzen (mit Armfiguren) und lebendiger Tracht. Historische Nachrichten über Musikanten im A. gibt es seit dem 13. Jh.; archaische Klangäußerungen, die heute noch in Verbindung mit Brauch oder Almwirtschaft auftreten (Glockengeläute der Glöckelkinder und Perigln am 5.1.; Peitschenknallen der Strohschab beim Mitterndorfer Nikolospiel; Herdengeläute, Almschreie u. a.), haben ihre Wurzeln wohl in prähistorischer Zeit. Die angebliche, steinzeitliche Knochenflöte aus der Salzofenhöhle haben neuere Forschungen als Nicht-Artefakt erwiesen. Auf die Anfänge des organisierten Hüttenwesens im Salzbergbau (Bergmannslied) gehen vermutlich die Verständigungsrufe bei den Holzriesen und die älteren Arbeitslieder zum Pilotenschlagen zurück. Mittelalterliche Reimkunst hat sich in den Gaßlreimen und im Schwerttanz erhalten, den Erzhzg. Johann aufzeichnen ließ. Die Mitwirkung von Pfeifern und Trommlern bei der Fronleichnamsprozession wird 1687 zuerst aktenkundig; 1735 gibt es in Aussee eine Schützenmusik mit 12 Mitgliedern (Bläser und Trommler), von denen im Lauf der Zeit nur einige Pfeifer und Trommler übrigblieben; sonst gab es bäuerliche und bürgerliche Musikanten für Hochzeiten und andere Festivitäten sowie für die Kirchenmusik. Die Gitarretabulatur von Kaspar Fellner um 1800 enthält Tanzkompositionen jener Zeit. Auf die Zeit der Gegenreformation geht ein handschriftlich erhaltenes Passionsspiel (Geistliches Spiel) mit zahlreichen Liedtexten zurück, desgleichen Passionslieder und Lieder des Weihnachtsfestkreises, die noch in rezenter Tradition vorhanden sind, sowie die Jedermann-Szene im Mitterndorfer Nikolospiel, die dort in älteres Brauchgeschehen eingebunden ist. In Altaussee wurde ein Dreikönigsspiel aufgeführt, das aber verschollen ist (Andrian). In der Biedermeierzeit wurde das A. von zahlreichen Wiener Adeligen und von Literaten, Malern und Musikern „entdeckt“, was auch auf dem Gebiet der Volksmusik zu fruchtbarem Austausch führte. Mehrere Adelige wandten sich Volksmusikinstrumenten zu; durch die von Erzhzg. Johann veranstalteten Wettbewerbe wurde der Ausseer Tanzgeiger German Roittner (1811–70) über die Grenzen seiner Heimat bekannt; die Brüder Joseph (1819–97) und Franz (1823–82) Steinegger, vulgo „Wilhelmer“ aus Grundlsee, wurden als „Seitelpfeifer“ (Schwegel) insbesondere von Graf Hans Wilczek gefördert und in den Wiener Salons herumgereicht. Der Wiener Literat A. Baumann hinterließ mehrere Lieder, die in den Volksgesang eingingen (z. B. I bin da Altausseer Postillion). Der Dichter Nikolaus Lenau (1802–50) verarbeitete in seinen Werken mehrfach Eindrücke aus dem Ausseer Volksmusikleben. Der „Bachwirt“ in Lupitsch, Johann Kain (1820–94), verfasste Lieder im Stil der Wiener Volkssänger, die er seinen Gästen zur Gitarre vortrug. Mehrere Musikanten sind als Komponisten volkstümlicher Weisen oder Aufzeichner aus der Überlieferung namentlich bekannt geworden, wie der Bräuknecht („Bräu-Michel“) Michael Fischer (1843–68), der Lederer Johann Walcher (1833–99), die Bergmeister Leopold Khals (1883–1965) und Hans Stöckl; viele Sängerinnen und Sänger legten handschriftliche Liederbücher an.

Wissenschaftliche Aufzeichnungen von Volkslied, Volksmusik und Volkstanz im A. wurden zunächst von Erzhzg. Johann veranlasst, dann im Rahmen der Sonnleithner-Sammlung der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien 1819 eingeschickt. Spätere Sammlungen wurden u. a. publiziert von dem Germanisten Anton Schlossar, von Erzhzg. Johanns Schwager Anton Werle, von Karl Reiterer, von den Anthropologen und Kulturhistorikern Ferdinand von Andrian, E. K. Blümml und F. S. Krauss und v. a. von dem Wiener Industriellen und Wahl-Gößler K. Mautner, der mit der ersten volksmusikalischen Dorfmonographie Österreichs, dem Steyerischen Rasplwerk, eigenhändig illustriert, das prächtigste Kleinod der österreichischen Volksmusikforschung schuf. Ebenso sammelten dort die Begründer der systematischen österreichischen Volksmusik- bzw. Volkstanzforschung, J. Pommer und R. Zoder, der mit tatkräftiger Unterstützung von Leopold Khals 1925 den „Pfeifertag“, ein bis heute (2000) übliches jährliches Treffen der Seitelpfeifer des Salzkammergutes, zum erstenmal auf der Blaa-Alm bei Altaussee durchführte. Ein wichtiger Aufzeichner von Liedern und Jodlern war der auch in der Pflege überaus aktive Lehrer H. Gielge, der auch zahlreiche eigene volkstümliche Lieder verfasst hat, und in der Tanzforschung I. Peter und Herbert Lager (1907–92). M. Haager widmete 1932 seine Dissertation der Instrumentalmusik im Salzkammergut.

Volkslied, Volksmusik und Volkstanz sind im A. primärfunktional noch lebendig, insbesondere im Fasching (gesungene „Faschingbriefe“ als Rügegericht, Brauchmusik der „Trommelweiber“ und „Flinserln“, Bälle), beim Altausseer Kirtag (Tanz- und Unterhaltungsmusik), bei den Festen der Schützengesellschaften (Gebrauchsmusik mit Schwegeln und Trommeln), bei Bräuchen der Weihnachtszeit (Mitterndorfer Nikolospiel, Turmblasen u. a.) und in der Karwoche (Kreuzwegandacht in Bad Aussee), bei Hochzeiten und Begräbnissen (z. B. Grablied der Pfarre Kumitz). Sie werden aber auch touristisch genützt und stehen im Dienst der sog. Heimatpflege; einige Gruppen der sog. Neuen Volksmusik greifen auf traditionelle Elemente der Ausseer Volksmusik zurück.


Tondokumente
TD: H. Gielge/W. Deutsch, Almerisch 1967.
Literatur
A. Schlossar, Deutsche Volkslieder aus Steiermark 1881; F. Ilwof, Aus Erzhzg. Johanns Tagebuch 1882; A. Werle, Almrausch. Almliada aus Steiermark 1884; F. v. Andrian, Die Altausseer 1905; E. K. Blümml/F. S. Krauss, Ausseer und Ischler Schnaderhüpfel 1906; K. Mautner, Das steyerische Rasplwerk 1910; K. Mautner, Alte Lieder und Weisen aus dem steyermärkischen Salzkammergute 1918; H. Gielge, Rund um Aussee 1935; H. Gielge, Klingende Berge 1937; K. M. Klier, Volkstümliche Musikinstrumente in den Alpen 1956; F. Hollwöger, Das Ausseer Land 1956; W. Suppan in Bll. für Heimatkunde 35 (1961); F. Stadler, Brauchtum im Salzkammergut 1971; G. Haid in Musikethnologische Sammelbände 1 (1977); M. Haager, Die instrumentale Volksmusik im Salzkammergut 1979; E. Novotny, Die Erlebnisse der Ausseer Pfeiferlbuben in der Kaiserstadt Wien 1853, 1978; F. Hofer in Da schau her 3 (1982); W. Suppan, Volksmusik im Bezirk Liezen 1984; G. Haid in Klingende Berge 1992; G. Haid in MusAu 17 (1998); B. Käfer, Knochenklang, Dipl.arb. Wien 1998; L. Bolterauer/M. Haager, Fest- und Tanzmusik aus Österreich 1928; M. Haager, Volksmusik aus dem Salzkammergut o. J.; A. Ruttner, Pfeifermusik aus dem Salzkammergut o. J.; F. Hofer, Hundert Steirer aus dem A. 1984; J. Preßl, Musikstückln aus dem Steirischen Salzkammergut für Saiteninstrumente 1986.


(II) Im Vormärz besuchten bereits Wiener Dichter (u. a. Adalbert Stifter) das A., ab Mitte des 19. Jh.s wurde das Salzkammergut zu einer beliebten Sommerfrische der Wiener und damit zu einem Treffpunkt von Künstlern aller Sparten, Kunstliebhabern und großbürgerlichen Familien. Kaiser Franz Joseph I. verbrachte 65 Sommer in Bad Ischl, infolgedessen lebten auch viele Künstler in ihren Ferien im Salzkammergut. Nach den Malern (u. a. Jakob Alt, Friedrich Gauermann) und Literaten siedelten sich auch die Musiker und Komponisten an. J. Brahms besuchte mit seinem Vater erstmals 1867 das A., später verbrachte er seine Ferien in Ischl, 1882 wurden schließlich in der Villa des Musikliebhabers Lászlo Wágner (heute Hotel Seevilla) in Altaussee das Frühlingsquintett op. 88 und das Klaviertrio op. 87 uraufgeführt. Zur selben Zeit siedelte sich Frh. Karl von Franckenstein an, dessen Sohn Clemens (1875–1942) schon um die Jh.wende Gedichte von H. v. Hofmannsthal vertonte. W. Kienzl verbrachte die Sommer der Jahre 1894–1941, die Hauptzeit seines musikalischen Schaffens, in Bad Aussee, ebenso wie Hofmannsthal 1892–1928 und N. Dostal; E. Wellesz nutzte 1919–38 seine Sommerferien in Altaussee, wo ihn u. a. Paul Hindemith besuchte, zum Komponieren. Aufenthalte sind weiters belegt von G. Mahler und R. Strauss, der seinen Librettisten Hofmannsthal besuchte (die Handlung seiner Oper Intermezzo spielt teilweise am Grundlsee). H. v. Karajan verbrachte die Ferien seiner Jugend am Grundlsee. 1920 eröffnete die Pädagogin E. Schwarzwald in ihrem Haus Seeblick einen Künstlertreffpunkt. 1937–65 wohnten viele Künstler der Salzburger Festspiele im Ausseer Ortsteil Eselsbach. Viele von ihnen (u. a. M. Lorenz, W. Berry, Leonie Rysanek) traten auch in Konzerten und konzertanten Opernaufführungen im Kurhaus auf.

Zahlreiche Künstler von Bühne, Film und Fernsehen siedelten sich im A. an. Das vom Schauspieler Ludwig Gabillon (1828–96) erbaute sog. Gabillon-Haus ist heute (2000) noch Zentrum des 1987 von Romuald Pekny und Adelheid Picha gegründeten Ausseer Kultursommers. 1989 wurde erstmals ein Orgelkonzert von Andrea Pach in das Programm aufgenommen, seit 1996 finden die Orgelfestwochen mit Orgelakademie jährlich statt.

1848–52 wurden drei Musikkapellen gegründet, so die Altausseer Salinenkapelle und die Bürgermusikkapelle Bad Aussee (1851). Ebenfalls aktiv sind heute noch die 1857 gegründete Liedertafel Aussee (bürgerlicher Männergesangverein) und der seit 1924 bestehende Frauenchor Bad Aussee. 1922 gründete H. Gielge den Arbeitergesangverein „Alpenklang“. Das Musikleben war immer wesentlich vom Kurbetrieb (Kurmusik) bestimmt. 1866 musizierten erstmals 11 Mann der Altausseer Kapelle im Kurpark von Bad Aussee, ab 1874 spielte den Sommer über ein aus Berufsmusikern bestehendes Salonorchester. Seit 1950 besteht eine MSch.

Von einheimischen Künstlern sind zu nennen der in Altaussee geborene Komponist H. M. Pressl sowie H. Raich d. Ä., der rund 460 Militärmusikkompositionen schrieb, die Ausseer Musikanten leitete und den Adler-Musikverlag gründete. Otto Chmel (1885–1964) und Max Haager verlebten ihre Jugendjahre in Altaussee, das einheimische Musikleben bereicherten A. C. Hochstetter, Hugo Cordignano (1882–1959) und Ernst Perfahl (* 1890) sowie der in Altaussee geborene Dirigent Karolus Trikolidis (* 1947).

1947 wurden vom damaligen Kurdirektor Emil Oesterley die Musikfestwochen der österreichischen Jugend gegründet (heute Ausseer Musikfestwochen), die bis 1956 jährlich stattfanden. Ab 1979 wurden sie in Zusammenarbeit mit der MHsch. Graz fortgesetzt, 1989 übernahm B. Klebel alternierend mit Adolf Hennig die Leitung. Von Beginn an wirkte der Kirchenchor mit, verstärkt wurden auch Ausseer Künstler eingesetzt.

1979 wurde eine Hofmannsthal-Ausstellung in Bad Aussee gezeigt, 1982–84 gab es Brahms-Vorträge in der Seevilla in Altaussee.

Seit 1997 finden im Rahmen von Musik Zentral unter der Leitung von Martyn van den Hoek Instrumental- und Kompositionskurse mit Konzerten statt.

Das seit 1995 bestehende Gastspiel des Wiener Staatsopernballetts bringt unter Mitwirkung von einheimischen Ensembles teils auch für Altaussee kreierte Choreographien (1996 Johann und Anna von M.-L. Jaska, 2000 Via salis von R. Zanella).

Die vom Verein zur Förderung der Heimatkunde, Heimat- und Denkmalpflege im A. geschaffene Via Artis führt auf Künstlerwege im Ausseerland.


Literatur
StMl 1962–66; W. Herrmann, Musik ist eine heilige Kunst. Komponisten, Dirigenten und Sänger im A. 1999; W. Herrmann, 75 Jahre Salzburger Festspiele 1995; W. Ebert, Brahms in Aussee 1997; R. Lamer, Das A. Geschichte und Kultur einer Landschaft 1998; Via Artis. Künstlerwege im A. 1992; A. Mayrhuber, H. v. Hofmannsthal und die Kultur im steirischen Salzkammergut 1979; H. Zwölfer, H. v. Hofmannsthal in Bad Aussee [o. J.]; M. Seifert, Wer war das eigentlich? Berühmte Persönlichkeiten im A. 1996; E. W. Partsch in Nachrichten zur Mahler-Forschung 42 (2000); Mitt. Stadtgemeinde Bad Aussee.

Autor*innen
Gerlinde Haid
Andrea Harrandt
Letzte inhaltliche Änderung
18.2.2002
Empfohlene Zitierweise
Gerlinde Haid/Andrea Harrandt, Art. „Ausseerland“, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 18.2.2002, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001f782
Dieser Text wird unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.

MEDIEN
Orgel der Pfarrkirche Bad Aussee, Rieger Orgelbau (Glatter Götz), II/25© Christian Fastl
© Christian Fastl
Musikpavillon in Altaussee© Christian Fastl
© Christian Fastl

DOI
10.1553/0x0001f782
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