Der in Österreich vorrangig politisch motivierte Rückzug der Bürger in die Privatsphäre und die Entstehung einer standesbezogenen, breitflächigen Musikpraxis, die bestimmte Formen des Musizierens (Gattungen, Besetzungen), aber ebenso entsprechende Institutionen forcierte (Vereine), beeinflussten deutlich das Werk der nun weitgehend frei schaffenden Komponisten. Es ergab sich in gewisser Weise eine „Übereinstimmung der Werke mit dem Musikleben“ (Gruber). Die Bevorzugung kleinerer Besetzungen und Gattungen (wesentlich das Lied, aber ebenso die Kombination Kirchenmusik und Kammermusik), eine vielfältige Arrangementpraxis oder die Fülle von Tanzmusik sind hiefür Beispiele. Häufig war auch eine Verschränkung von Komponist und Interpret (Interpretation) gegeben, die Rücksichtnahmen auf das Zielpublikum erforderte. Natürlich erwies sich auch die an J. und M. Haydn sowie W. A. Mozart orientierte Kirchenmusik als praxisgebunden, was an Anlässen, Besetzungen und Stilistik erkennbar ist (I. Assmayr, A. Diabelli, J. Eybler usw.); zugleich sorgten Kirchenmusikvereine für die Bewahrung und Verbreitung geistlicher Musik.
Das gesellige Moment machte zweifellos ein zentrales Charakteristikum im B. aus; oft bot gerade dieses Miteinander die künstlerische Inspirationsquelle für eine breit gefächerte Gesellschaftsmusik (siehe etwa den Freundeskreis um Fr. Schubert). Die große Anzahl der Tanzmusik (J. Lanner, J. Strauss Vater) war deshalb nur der unmittelbarste künstlerische Ausdruck; ebenso gehören die vielen Beiträge zum musikalischen Unterhaltungstheater in Form von Wiener Singspielen und Volksstücken – abgesetzt von der teils heftig geführten Diskussion um italienische und deutsche Oper – in den mentalitätsgeschichtlichen Rahmen des B. Neben den Hoftheatern waren v. a. das Theater an der Wien sowie die Theater in der Josefstadt und Leopoldstadt bedeutsame Institutionen, im Weiteren die Theater in Graz und Linz.
Der Argwohn gegenüber philosophischen Konzepten sowie eine das (zeitlich später aufkommende) Postulat nach Originalität weitgehend ignorierende Beharrungstendenz, die nicht nur klassische Vorbilder und Gattungen favorisierte, sondern ebenso die enge Orientierung an Zeitgenossen (L. v. Beethoven, Schubert) miteinschloss, können als weitere Charakteristika gelten. Vom musikalischen „Ton“ her trat das Lyrische, Idyllische deutlich hervor. Der musikalische Ausdruck war – so im Lied – häufig durch eine „Rhetorik der Töne“ bestimmt (F. Hand). In Liedern von J. Vesque v. Püttlingen oder B. Randhartinger ist diese Auffassung, z. T. verbunden mit einer stilistischen Orientierung an Schubert und Kunstgriffen der komponierenden Interpreten, nachweisbar. Nicht zu unterschätzen für die Praxis ist schließlich die Bedeutung des aufstrebenden Verlagswesens, durch das die Musikproduktion in verstärkt marktwirtschaftliche Prozesse geriet. Hieher gehört auch die rasche Aufwärtsentwicklung im Instrumentenbau; so arbeiteten um 1830 allein in Wien fast 600 Hersteller.
Als gegenwärtige Forschungsdesiderate müssen Vergleiche mit außerösterreichischen biedermeierlichen Erscheinungsformen (z. B. Berlin, Kopenhagen) sowie umfangreiche Kenntnisse des zeitgenössischen kompositorischen Schaffens angesehen werden, die einen differenzierteren musikwissenschaftlichen Diskurs über die 1. Hälfte des 19. Jh.s ermöglichen würden.
MGÖ 2 (1995); ÖL 1995; G. Knepler, Musikgeschichte des 19. Jh.s 2 (1961); F. Hand, Ästhetik der Tonkunst 1837; K. Adel, Vom Wesen der österreichischen Dichtung 1964; K. v. Fischer in E. Schenk (Hg.), [Kgr.-Ber.] Beethoven Wien 1970, 1971; M. Bernhard, Das B. 1983; H. Heussner in Mf 12 (1959); C. Dahlhaus in AfMw 31 (1974); L. M. Kantner in MusAu 2 (1979); E. Lichtenhahn in J. Stenzl (Hg.), Studien zur Musik des 19. und 20. Jh.s, 1980; G. Gruber in [Kat.] Biedermeier 1988; W. Dürr in G. Himmelheber (Hg.), Kunst des B. 1988; A. Harrandt/E. W. Partsch (Hg.), Vergessene Komponisten des B. 2000.
Rudolf Flotzinger