C.s frühe kompositorische Versuche sind noch postromantisch geprägt, nach Ende des Zweiten Weltkriegs beschäftigte er sich zunächst mit neoklassizistischen Techniken (anlehnend insbesondere an Igor Strawinsky und Paul Hindemith, z. B. in Divertimento, 1947–54), orientierte sich jedoch später vornehmlich an den Werken A. Weberns. Durch die Eindrücke der Darmstädter Ferienkurse befasste er sich ab 1956 verstärkt mit dem Serialismus der Avantgarde, der den Ausgangspunkt seiner eigenen kompositorischen Entwicklung darstellte, jedoch stets von C. kritisch hinterfragt wurde. In seinen eigenen seriellen Organisationsformen vermied er daher die allzu starke Variation der Grundtypen und versuchte insbesondere die rhythmischen Elemente nicht zur Gänze aufzubrechen, um gewisse Orientierungspunkte beibehalten zu können (Deux éclats en reflexion [1956], Formation et solution [1956/57], Espressioni fondamentali [1956/57], Relazioni fragili [1956–75], Intersecazioni [1959]). In der Folge entwickelte C. eine individuelle Klangsprache, in der er erstmals auch breit angelegte Klangflächen einsetzte. Diese finden sich bereits in den Mouvements I–III (1959), werden hier jedoch nur punktuell eingesetzt und sind eher statisch konzipiert. Um der bloßen Aneinanderreihung zu entgehen, legte C. in Fasce (1959) daher innerhalb der Klangflächenstrukturen den Fokus auf die Ausgestaltung musikalischer Entwicklungen. Dieses Konzept gipfelte in seinem Zyklus Spiegel I–VII (1960/61), in dem er mit ausladenden, in sich stark verwobenen und überlappenden Massenstrukturen arbeitete, die sich in linearen Prozessen fortbewegen. C. konzipierte den Zyklus darüber hinaus auch als Bühnenwerk, für das er ein Libretto schrieb und sowohl Licht als auch Bewegungsabläufe integrierte. Anstatt die postseriellen Techniken weiterzuentwickeln, fing C. ab Ende der 1960er Jahre an, wieder vereinzelt traditionelle Elemente, wie melodische Linien, Reprisen, Akkordstrukturen oder auch Zitate aufzugreifen (z. B. in Catalogue des objets trouvés [1969] oder Curriculum [1971/72]). Seine Bühnenwerke wie u. a. Baal (1974–80), Der Rattenfänger (1984–86) oder Der Riese vom Steinfeld (1997–99) sind durch breite Klangflächen und polyrhythmische Strukturen geprägt, zeigen jedoch z. B. in den Vokalpartien bei Baal, die vom Sprechgesang bis zu kantablen Passagen alle Möglichkeiten ergründen, oder durch Zitate im Rattenfänger teilweise wieder ‚traditionellere‘ Anklänge. Die 1962–67 entstandenen Exercises für Bariton, Sprecher und Ensemble arbeitete er 1978–80 zum Bühnenwerk Netzwerk um. In C.s Spätwerk manifestieren sich vermehrt außereuropäische Bezüge, wie Mikrotonalität, Polyrhythmik und -metrik (u. a. in den Streichquartetten) sowie folkloristische Elemente. Bereits früh hatte sich C. mit orientalischen Einflüssen auseinandergesetzt (Zehn Rubaijat des Omar Chajjam [1949], Fünf geistliche Gesänge [1954/88]), und ab 1980 beschäftigte er sich auf Anregung G. Kubiks sowie G. Ligetis wieder verstärkt mit außereuropäischen, v. a. arabischen Kulturen. Darüber hinaus hat C. auch Anklänge an die Wiener Volksmusik in einigen Werken eingearbeitet (Keintaten I–II [1980–83], Eine Art Chansons [1985–87], Eine letzte Art Chansons [1989]). Seine kompositorischen Entwicklungen zeigen, dass er stets – unabhängig von Geschichte und Gegenwart – frei über alle Idiomatiken verfügte und diese zu organischen Verbindungen zusammenführen konnte. C. erhielt zahlreiche Kompositionsaufträge (Wiener Philharmoniker, Wiener Konzerthaus, Wiener Musikverein, ORF, steirischer herbst, Konzerthaus Berlin, Koussevitzky-Foundation New York/USA u. v. m.). 1962–78 arbeitete C. an der Herstellung des unvollendeten 3. Akts von A. Bergs Oper Lulu, die die Instrumentation des Particells sowie zahlreiche weitere dynamische, agogische u. a. Eintragungen umfasst (UA 24.2.1979 Paris unter Pierre Boulez). Als Dirigent leistete er einen entscheidenden Beitrag zum Verständnis zeitgenössischer Musik in Österreich. C. gilt als der bedeutendste zeitgenössische Komponist Österreichs.
Förderungspreis der Stadt Wien 1953; Kulturwochenpreis der Stadt Innsbruck 1955; Förderungspreis der Theodor-Körner-Stiftung 1964; Förderungspreis des Wiener Kunstfonds 1965; Prof.-Titel 1969; Förderungspreis des Bundesministeriums f. Unterricht und Kultur 1971; Preis der Stadt Wien für Musik 1974; Großer Österreichischer Staatspreis 1986; Goldenes Ehrenzeichen des Landes Steiermark 1986; Ehrenmedaille der Stadt Wien in Gold 1986; Ehrenmitglied des Österreichischen Komponistenbundes 1986; Ehrenmitglied der IGNM 1995; Goldener Löwe für das Lebenswerk der Musik-Biennale von Venedig 2006 (erstmals vergeben); Österr. Ehrenzeichen f. Wissenschaft und Kunst 2006; Ehrenmitglied der GdM 2007; Goldenes Ehrenzeichen f. Verdienste um das Land Wien 2008; Silbernes Komturkreuz des Ehrenzeichens f. Verdienste um das Bundesland Niederösterreich 2010; Großer Musikpreis des Landes Salzburg 2011; Ernst v. Siemens Musikpreis 2012; Ehrendoktorwürde der Univ. Siegen/D 2017.
Der Turandotstoff in der deutschen Literatur, Diss. Wien 1949; Zu meiner Musik und einigen Problemen des Komponierens heute in K. Roschitz (Red.), Beiträge ’68/69, 1969; Zu meinem Musiktheater in ÖMZ 35 (1980); Von Exercises zu Netzwerk in ÖMZ 36 (1981); Zu Karl Amadeus Hartmanns Essay (oder: Ist Neue Musik wirklich so schwer zu hören?) in R. Ulm (Hg.), Eine Sprache der Gegenwart. musica viva 1945–1995, 1995; Schriften: ein Netzwerk 2001; Texte zu Entwicklungsstufen und Werken 1935 bis 2017, 2018.
WV auf https://de.karstenwitt.com (3/2021); u. a. Sinfonie 1975; Requiem für Hollensteiner 1982/83; Baal-Gesänge 1983; Konzert für Sopransaxophon u. Orch. 2003/04; Konzert für V. u. Orch. 2004; Momente 2004/05; Impulse 2006; Konzert für Schlagzeug und Orchester 2007/08 (für M. Grubinger); Bühnenwerke (u. a. Spiegel I–VII 1960–72; Netzwerk 1962–80; Baal 1974–80, Der Rattenfänger 1987, Der Riese vom Steinfeld 2002, Onkel Präsident 2013); Hg. von Werken A. Weberns und von Heften der Reihen Diletto musicale und Wiener Urtext-Ausgabe.
TD: C. Dokumente (ORF 2001); Konzert für Violine und Orchester – Fasce (RSO Wien, Johannes Kalitzke 2006); Baal Gesänge – Requiem für Rikke (RSO Wien, F. C., Th. Adam, Kenneth Riegel 2006); und du … Verzeichnis für K (RSO Wien, 2006, Ensemble die reihe, Kairos 2011); Notturni – „… was sie die Welt nannten …“ (Col-legno 2012); Konzert für Schlagzeug u. Orch. – Impulse für Orchester (M. Grubinger, Wr. Philharmoniker, Peter Eötvös, P. Boulez, Kairos 2012); Spiegel – Monumentum – Momente (SWR-Sinfonieorchester, Sylvain Cambreling, RSO Wien, Dennis Russell Davies, Kairos 2010); F. C. (CAvi 2016).
NGroveD 5 (2001) u. 4 (1980); MaÖ 1997; MGG 15 (1973) u. 4 (2000); Goertz 1979, 1994; Erhart 1998; Personenlex. Öst. 2001; Beiträge zur österreichischen Musik der Gegenwart 1992; [Kat.] Musikalische Dokumentation F. C. 1986; S. Töfferl, F. C. Doyen der österreichischen Musik der Gegenwart 2017; N. Urbanek, Spiegel des Neuen. Musikästhetische Untersuchungen zum Werk F. C.s 2005; L. Haselböck (Hg.), F. C. Analysen, Essays, Reflexionen 2006; G. Wilscher (Hg.), Vernetztes Werk(en). Facetten des künstlerischen Schaffens von F. C. 2018; M. Henke/G. Gensch (Hg.), Mechanismen der Macht. F. C. und sein musikdramatisches Werk 2019; J. Diederichs (Hg.), F. C. Werkeinführungen, Quellen, Dokumente 2018 (DVD); I. Gamperl, Bertold Brecht – F. C. Baal. Ein Vergleich, Dipl.arb. Wien 1990; C. McShane, The music of F. C. and an analysis of his opera Der Rattenfänger, Diss. Texas 1995; www.friedrich-cerha.com (3/2021); www.wikipedia.org (3/2023); Vorlass am Archiv der Zeitgenossen der Donau-Universität Krems (www.archivderzeitgenossen.at, 3/2021).
Gertraud (geb. Möslinger): * 25.7.1928 Markgrafneusiedl/NÖ. Musikerin und Musikpädagogin. Sie stammt aus einer musikalischen Familie und studierte an der Univ. Wien Geschichte sowie ab 1947 Musikerziehung, Klavier, Cembalo (bei Eta Harich-Schneider und Gustav Leonhardt) sowie Gitarre bei K. Scheit an der Wiener MAkad. Hier lernte sie auch ihren Mann kennen (Heirat 15.12.1951 bzw. 17.7.1952 kirchlich), mit dem sie seitdem intensiv zusammenarbeitete (u. a. Organisation und Dramaturgie für das Ensemble die reihe, Vortragstätigkeit, Veranstaltung von Symposien). Daneben lehrte G. C. 1961–87 an der Wiener MHsch. Gemeinsam gründeten sie 2006 u. a. mit K. Schwertsik die Joseph Marx Gesellschaft in Wien. Das Ehepaar hat zwei Töchter, Irina (* 27.9.1956 Wien) und Ruth (* 13.8.1963 Wien).
Österr. Ehrenkreuz f. Wissenschaft und Kunst 2009.
Neue Musik aus Wien 1945–1990 in ÖMZ 45/10 (1990).
MGG 4 (2000); S. Töfferl, F. C. Doyen der österreichischen Musik der Gegenwart 2017; M. Grassl in L. Haselböck (Hg.), F. C. Analysen, Essays, Reflexionen 2006; www.donau-uni.ac.at (5/2021).
Meike Wilfing-Albrecht