Logo ACDH-CH
OeML Schriftzug
Logo OeML
Logo Verlag

Drehleier
Streichinstrument, auch Radleier, Bauernleier; früher in der Volkssprache fast ausschließlich als „Leier“ bezeichnet, meist in gitarre- oder lautenähnlicher Form mit in der Regel drei bis sechs Saiten, die gleichzeitig von einem mit einer Kurbel versehenen Scheibenrad angestrichen werden. Ein bis zwei Saiten sind mittels Tangententasten verkürzbar und dienen dem Melodiespiel, die übrigen klingen als unveränderbarer Dauerton (Bordun) mit, wobei ein dem Dudelsack ähnlicher Klangeindruck entsteht. Eine der Bordunsaiten ist meist mit einem besonderen Steg ausgerüstet, der bei erhöhter Drehgeschwindigkeit ein Schnarrgeräusch von sich gibt, wodurch das Spiel zusätzlich rhythmisch akzentuiert werden kann.

In Österreich lässt sich die D. erst für das 16. Jh. durch Bildzeugnisse belegen. Vermutlich dürfte sie im Laufe des 15. Jh.s von Westeuropa zu uns gelangt sein, weshalb auch die ersten gesicherten Zeugnisse aus dem 12. Jh. entlang der Pilgerrouten nach Santiago de Compostela/E stammen. Nach einer kurzen Blüte als sakrales sowie als höfisches Instrument der Troubadours und Trouvères im 13. Jh. breitete sie sich über einen Großteil Europas aus und bildete über mehrere Jh.e einen festen Bestandteil in der bäuerlichen Tanzmusik. In Österreich leitete sie als Borduninstrument gemeinsam mit dem Dudelsack die Entwicklung zur typisch alpenländischen Klangbrechungsmelodik (Ländler) ein. Im Gegensatz zu Ungarn und Zentralfrankreich, wo eine durchgängige D.tradition vorhanden ist, wurde sie in Österreich schon Anfang des 19. Jh.s ebenso wie der Dudelsack von der Geige weitgehend aus der bäuerlichen Tanzmusik verdrängt. Als späte Ausnahme gilt eine Photographie vom Ende des 19. Jh.s eines Spielers namens Ignaz Pfandl, genannt „Nazbauer“, aus der Mariazeller Gegend. Nach Augenzeugenberichten war die D. jedoch als Bettler- und Invalideninstrument sogar noch bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg in Österreich anzutreffen. In Wien hatte sie bis Mitte des 19. Jh.s noch eine gewisse Bedeutung und lässt sich hier z. B. durch zwei Melodien in der Sammlung Wiener Lieder und Tänze von E. Kremser nachweisen. U. a. spielte auch der bekannte Theaterdirektor und Librettist E. Schikaneder die D.

Abbildungen sowie in Museen und Privatbesitz erhaltene Instrumente in Österreich zeigen uns einen Grundtypus mit 11 bis 12 Tasten, was einer diatonischen Skala von anderthalb Oktaven entspricht. Größeren Tonumfang und chromatische Zusatztasten gab es im Gegensatz zu Frankreich nur selten. Zuletzt waren D.n in Gitarrenform üblich, wie wir sie heute noch in Ungarn finden, bis Anfang des 19. Jh.s vielfach auch ältere Typen mit cisterähnlichem und trapezförmigem Korpus.

In der Wiener Klassik finden wir vereinzelt Kompositionen, die die D. zur Erzeugung eines pastoralen Klanges verwenden (G. Druschetzky, Parthia für Bauerninstrumente; L. Mozart, Sinfonia in D, Die Bauernhochzeit; W. A. Mozart, Vier Menuette KV 601, Vier Deutsche Tänze KV 606; P. Wranitzky, 12 Deutsche), außerdem Kompositionen für die „lira organizzata“ (eine in Frankreich für die Kunstmusik entwickelte D. mit zusätzlichen Orgelpfeifen), die König Ferdinand IV. von Neapel für sich und seinen Lehrer, den österreichischen kaiserlichen Legationssekretär und D.virtuosen Norbert Hadrawa, bei verschiedenen Komponisten, u. a. J. Haydn, in Auftrag gab (5 Konzerte, Hob. VII:1–5; 8 Notturni, Hob. II:25–32; außerdem Serenaden von A. Gyrowetz und I. J. Pleyel, 3 Konzerte von Franz Xaver Sterkel).

Im Zuge der „Alte-Musik-Bewegung“ und der „Bordunmusikbewegung“ in der traditionellen Musik Mitteleuropas ist die D. seit den 1970er Jahren immer häufiger auch in Österreich wieder anzutreffen, wozu u. a. das alljährlich stattfindende Festival BordunMusikFest in Kremsmünster einen wichtigen Beitrag leistet.


Literatur
MGG 2 (1995); M. Bröcker, Die D. 1973; G. Hankóczi in JbÖVw 34 (1985); A. Paulus, Dudelsack und D. in Österreich, Dipl.arb. Wien 1999.

Autor*innen
Albin Paulus
Letzte inhaltliche Änderung
18.2.2002
Empfohlene Zitierweise
Albin Paulus, Art. „Drehleier‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 18.2.2002, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001cc04
Dieser Text wird unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.

MEDIEN
Drehleierspieler. Porzellanfigur nach Entwurf von Johann Joachim Kaendler (1735–1740). 
					MAK – Museum für Angewandte Kunst, KE 9872© MAK / Tamara Pichler
© MAK / Tamara Pichler

DOI
10.1553/0x0001cc04
ORTE
Orte
LINKS
ACDH-CH, Abteilung Musikwissenschaft

Publikationen zur Musikwissenschaft im Verlag