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Fasching
Liturgische Zeit unmittelbar vor Beginn der Fastenzeit (40 Tage vor Ostern). Bräuche zum F. (Fastnacht, Karneval), zu denen häufig auch eine spezifische Musik gehört, sind erst seit dem Beginn des 13. Jh.s, aber seitdem durchgängig, sicher belegt, doch gehört die später so bezeichnete Zeit schon zur Kalenderstruktur Gregors d. Gr. († 604), in die sie durch Übernahme von Vorgaben aus dem Werk De civitate Dei des hl. Augustinus von Hippo gelangte: An sechs Tagen quasi einer „Anti-Schöpfung“ (von Donnerstag bis Dienstag vor Aschermittwoch) wird spielerisch eine irdisch gesinnte (oder auch Teufels-) Welt (civitas terrena vel diaboli) imaginiert, die in allen ihren Äußerungen den Kontrast zur darauf folgenden Fastenzeit der Heilsgemeinschaft (civitas Dei) bildet; die Zählung erfolgt seit dem Konzil von Benevent (1091) in der Regel unter Auslassung der Sonntage, doch ist die ältere Gepflogenheit, die vierzig Fasttage durchzuzählen, vereinzelt noch an dem Termin der „alten“ oder Bauernfastnacht, im Unterschied zur „neuen“ oder „Herrenfastnacht“, erkennbar: so in Basel („Morgenstraich“ am Montag nach Aschermittwoch) und in einzelnen Orten, u. a. des Markgräflerlandes. Die Herkunft der liturgischen Zeit des F.s aus dem augustinischen Zwei-Staaten-Modell von „Babylon-“ und „Jerusalem“-Gemeinschaft blieb für dessen inhaltliche Ausgestaltung entscheidend. Bevorzugt verwendet wurde bei der Brauchgestaltung die Figur des Narren, die auf der Grundlage der Schriftstelle Ps 52,1 (Vulg.) „Dixit insipiens in corde suo: non est Deus“ als charakteristisches Sinnbild des Gottesleugners verstanden wurde, beispielsweise bei dem einflussreichen Sebastian Brant (Narrenschiff, Basel 1494), der auch als Augustinus-Herausgeber hervorgetreten ist; sein positives Gegenbild auf den entsprechenden Psalterillustrationen ist König David, meist mit der Harfe als Attribut. Aus der Funktion des Narren als Gottesleugner resultierte seine Gleichsetzung mit dem Teufel. Für die Musik bedeutete dies, dass Narren- und Teufelsmusik weithin gleichgesetzt wurden. Entsprechend der Prämisse, dass Babylon ein Sinnbild der „verkehrten Welt“ darstelle („Babylonem mundi perversi typum esse scimus“, Matthias Faber SJ 1654), konnte und kann bis heute im F. prinzipiell all das Verwendung finden, was zu einer „regulierten“ und ordnungsgemäßen „richtigen“ Musik im Gegensatz steht, etwa die Katzenmusik (Charivari), zu der deshalb auf entsprechenden bildlichen Darstellungen regelmäßig, und in zeichenhafter Funktion, der Narr tritt. Sein klingendes Hauptattribut ist die klingende Schelle („cymbalum tinniens“ [nicht: „campana“ = Glocke], gemäß der für den Fastnachtssonntag [Quinquagesima] seit altersher vorgeschriebenen Epistel 1 Cor 13,1 Vulg.). Im Zeitalter der christlichen Allegorese setzten sich auch spezifische Narreninstrumente durch, etwa als Sinnbild der „Weltlichkeit“ die Laute, die von dem Jesuiten Jacob Balde bei dessen „conversio“ und Eintritt in den Orden beispielhaft zerbrochen wurde: „cithara fracta est“, die aber auch als „Zeichen“ der „luxuria“ oder Geschlechtslust verstanden wurde, als häufiges Narrenattribut nachgewiesen z. B. bei Hieronymus Bosch [Pieter Brueghel d. Ä.?] auf einer Federzeichnung in Wien (Albertina, Inv.-Nr. 7798) oder bei [Pseudo-] Abraham a Sancta Clara (Centi-Folium Stultorum, Wien 1709, „Faßnachts-Narr“). Häufiger belegte weitere Narreninstrumente sind der Dudelsack oder die „sackpfiff“ (Narrenfigur als Gewölbekonsole im Heiligkreuzmünster zu Rottweil, 15. Jh.; S. Brant: Narrenschiff, Nr. 54 und 89; hier als geringwertiges Instrument herausgestellt), die Schalmei (Narrenfigur auf dem Ambraser Narrenteller, 1528, neben der „Narrenmutter“, Innsbruck: Schloss Ambras, Inv.-Nr. P 4955), auch die Drehleier, Einhandflöte und Trommel u. a.

Unter der Voraussetzung, dass die Gotteswelt durch „Ruhe“ gekennzeichnet sei („Tu es quies“, Ruhe in Gott), die sich gegebenenfalls in „Sphärenklängen“ fassen lasse, musste zu der inszenierten Gegenwelt der „Höllenlärm“ gehören, wie ihn etwa in jüngerer Zeit im F. allerorten die aus der Schweiz importierten, lärmenden „Guggenmusiken“ mit ihren gewaltigen Tuben und Basstuben sowie den schrillen Querpfeifen und Flöten produzieren, wie man ihn aber auch früher schon mit Blechbüchsen, Metallrosten, knallenden Peitschen und anderen Lärminstrumenten wie Trommeln („Trommelweiber“ von Bad Aussee/St [s. Ausseerland] oder von Alberndorf im Pulkautal/NÖ), Pfeifen oder Ratschen (als Hexenattributen) zu erzeugen pflegte. Im Unterschied zu einer – im Wortsinn – „himmlischen“ Musik, die Ausdruck reiner Harmonie wäre, hat die Narrenmusik mehr oder minder disharmonisch zu sein, wobei ihr, was die Wahl der Instrumente und Ausdrucksweisen betrifft, weite Grenzen gesteckt sind. Die für F.s-Umzüge typische, aber nicht auf den F. beschränkte allgemeine Mitwirkung von Musikkapellen (Blechmusik, Damenkapellen), beispielsweise mit Trachten- oder Marschmusik im Tiroler F. (Telfs, Imst), Nassereith oder die Tanzmusik bei den traditionellen F.s-Bällen (Schürzerlball in Lichtenwörth/NÖ; Ball) und Redouten, tritt ergänzend hinzu. Die konfessionell übergreifende Vorstellung, dass „böse Menschen keine Lieder“ hätten (Luther), schränkt entsprechend die Verwendung von Liedern beim „Teufelsfest“ des F.s auf Spottgesänge, zumal gegen die Himmlischen, ein: Auf einer Illustration von Philipp Sadeler zum Infernus Damnatorum des Jesuiten Jeremias Drexel (um 1630) sieht man einen gehörnten Teufel, der ein aufgeschlagenes Notenbuch mit einem Spottlied gegen das ewige Leben („Vae vae vae Ah ah ah ah / Heu eheu Aeternitas“) in Händen hält. Persiflierende oder parodierende Grabgesänge sind (etwa beim F.s-Begraben) ebenso verbreitet wie Gesänge, die auf andere Weise gegen die nicht selten bürgerliche Norm verstoßen oder die Ausdruck einer närrischen Lebensfreude sind, wie der mit Noten versehene Liedanfang „Gaudeamus omnes“ auf dem Holzschnitt der Reise „ad Narragoniam“ in Sebastian Brants Narrenschiff (zu Nr. 108). Lokales Liedgut, das den jeweiligen F.s-Brauch verherrlicht, der Vortrag von Gstanzln und das gemeinsame Absingen von Schlagern spielt ebenfalls eine gewisse Rolle.


Literatur
D.-R. Moser, Fastnacht – F. – Karneval 1986; W. Mezger, Narrenidee und Fastnachtsbrauch 1991; W. Pfaundler, Telfer Schleicherlaufen. Fasnacht in Tirol 1981, 154–159; W. Pfaundler, Nassereither Schellerlaufen 1998, 331; W. Galler, F. in Niederösterreich 1982.

Autor*innen
Dietz-Rüdiger Moser
Letzte inhaltliche Änderung
18.2.2002
Empfohlene Zitierweise
Dietz-Rüdiger Moser, Art. „Fasching‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 18.2.2002, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001cd1d
Dieser Text wird unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.


DOI
10.1553/0x0001cd1d
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