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Gitarre
Populäres Zupfinstrument. Die Rezeption der G. erfolgte nördlich der Alpen zunächst in kleinen Schritten. Als ihr ältestes schriftliches Zeugnis, bezogen auf das heutige österreichische Staatsgebiet, gilt eine G.-Tabulatur von 1648, die in Innsbruck archiviert ist. Auf ein erwachendes Interesse an der G. weisen auch einige Exemplare der Ferdinandeischen Instrumentensammlung hin, die sich heute in Wien (KHM-SAM) befindet. Von besonderem kulturhistorischem Interesse ist die in Aussee aufgefundene Tabulaturhandschrift (A-Wn S. m. 9659), die 94 Stücke umfasst und aus der Zeit vor 1750 stammt. Im 18. Jh. lässt sich in Wien anhand von G.n und Tabulatursammlungen eine Pflege der G. in Musik liebenden aristokratischen Kreisen nachweisen (Adel). Insbesondere trugen die Lautenisten A. Bohr von Bohrenfels, J. A. Losy von Losinthal und J. de Saint Luc mit ihren Kompositionen für G. zu einer Entwicklung bei, die durch den Zuzug des portugiesischen Komponisten und Gitarristen Abbé Antonio de Costa neue Impulse erhielt und eine hochstehende Kultur des G.-Spiels auf Wiener Boden um 1800 vorbereitete.

Während die große Zeit der Laute sich ihrem Ende zuneigte, setzte gegen Ende des 18. Jh.s eine wahre Blütezeit der G. ein. Mehrere Gründe waren hiefür ausschlaggebend. Zum einen erleichterte die Ausstattung der G. mit sechs Einzelsaiten wesentlich die Spielbarkeit, zum anderen wurde die Notation in Grifftabulatur durch eine im herkömmlichen Notensystem abgelöst. Als Instrument der bürgerlichen Gesellschaft wurde die G. außerdem zum Symbol für Fortschritt und ein neues Selbstbewusstsein.

Um die Wende vom 18. zum 19. Jh. wirken in Wien bereits einige bodenständige Gitarristen wie Alois Wolf, W. Klingenbrunner und F. Tandler. Die Bedeutung Wiens als Musikzentrum bedingt außerdem, dass hervorragende Gitarristen, die auch als Komponisten Respektables leisten, sich in der Kaiserstadt niederlassen: S. Molitor kommt aus Württemberg, W. Matiegka aus Böhmen, A. Diabelli aus Salzburg, L. v. Call aus Südtirol und M. Giuliani aus Italien. Seine Schüler Felix Horetzky und Johann (Jan) Nepomuk Bobrowitz stammen aus Prag bzw. Krakau, J. Padowetz aus Kroatien.

Mit ihren Kompositionen – nicht wenige von ihnen entsprechen hohen künstlerischen Ansprüchen, andere folgen dem Geschmack eines immer breiter werdenden Publikums – tragen sie zur Bildung eines in dieser Fülle und Qualität völlig neuen Repertoires der G. bei. Besonderes Kennzeichen dieses genuinen Prozesses ist der hohe Anteil an Kammermusik, in der die Formationen G. mit Violine, Flöte, Klavier oder Singstimme und die Triobesetzung Flöte, Viola, G. als geradezu stilbildend bezeichnet werden können. Mit dieser Kammermusik wird auch dem Bedürfnis bürgerlicher Musikliebhaber Rechnung getragen, für die gemeinsames Musizieren ein wichtiger Teil gesellschaftlichen Lebens ist.

Die einzigartige Stellung, die M. Giuliani v. a. als gefeierter Virtuose einnimmt, findet in der Komposition zahlreicher Solowerke und dreier Konzerte für G. und Orchester sichtbaren Ausdruck. Mit seinem Wirken in Wien von 1806–19 trägt er nachhaltig zur Integration der G. in das rege Musikleben dieser Stadt bei. Seine Subskriptionskonzerte („Dukatenkonzerte“), die er zusammen mit dem Geiger J. Mayseder und dem Pianisten J. N. Hummel veranstaltet, zeugen gleichfalls von einem aktiven selbstbewussten Bürgertum.

Wiener Musikverlage wie Artaria, Cappi et Diabelli, Diabelli, Chemische Druckerey, Mechetti, T. Mollo, Riedl, S. A. Steiner, Weigl u. a. m. sorgen für die Befriedigung einer enormen Nachfrage (s. Abb.). T. F. Heck spricht in diesem Zusammenhang von einer „North-South axis connecting Vienna with Italy [...] just after 1800“.

Auch der G.-Bau steht zunächst noch unter italienischem Einfluss (Modelle nach G. B. Fab[b]ricatore), ehe er unter (J.) G. und J. A. Stauf(f)er, Johann Gottfried Scherzer, Nikolaus Georg Riess, Johann Rudert u. a. schließlich zu Weltgeltung gelangt.

In diese Zeit fällt auch die Rezeption der G. als Instrument der Volksmusik, wie aus der Entstehungsgeschichte des von F. X. Gruber komponierten Weihnachtsliedes Stille Nacht herauszulesen ist.

Auf die Blütezeit des Biedermeier folgt eine Periode, in der das Virtuosentum bestimmendes Element ist. Als ihre interessantesten Vertreter gelten Leonhard Schulz (Vater) und seine Söhne Leonhard und Eduard, die gemeinsam 1825 nach London übersiedeln, sowie v. a. der aus Pressburg stammende J. K. Mertz.

Mit den Veränderungen in der Gesellschaft vollzog sich in der 2. Hälfte des 19. Jh.s auch ein Wandel in der Musizierpraxis. Die Ästhetik des orchestralen Klanges entsprach eher der Grundstimmung der Gründerzeit, dem intimen Klang der G. begann man immer weniger abzugewinnen. In der Volksmusik allerdings hatte ihr die besondere Eignung zum Akkordspiel ein weites Betätigungsfeld erschlossen. In Wien wurde sie sogar um sieben meist freischwebende Basssaiten erweitert (s. Abb.) und übernahm damit in dem nach ihrem Gründer benannten Schrammel-Quartett – zwei Violinen, G-Klarinette („das picksüaße Hölzl“), die später durch die Harmonika ersetzt wurde, und G. – die Rhythmus-, Harmonie- und Bassfunktionen. Diesem Ensemble mit seiner für Wien so charakteristischen gehobenen Unterhaltungsmusik wurde in Hernals (Wien XVII) sogar ein Denkmal gesetzt.

Etwas abseits von diesen Entwicklungen lag Spanien. Dort konnte in aller Ruhe eine Erneuerungsbewegung heranreifen, als deren wichtigste Exponenten der Gitarrist und Komponist Francisco Tárrega und der G.-Bauer Antonio Torres gelten. Durch ihre Schüler wirkt diese Erneuerungsbewegung befruchtend auf das nun in der Alten wie in der Neuen Welt um 1900 wieder erwachende Interesse an der G. Miguel Llobet und Emilio Pujol beeindrucken mit ihrer verfeinerten Interpretationskunst auch das österreichische Publikum. Die internationale, jahrzehntelange Laufbahn des spanischen Gitarristen Andrés Segovia bestimmt weltweit und nachhaltig das Entstehen eines neuen Repertoires der G. und ihre Akzeptanz als Konzertinstrument.

Schon zuvor hat auch in Wien eine Rückbesinnung auf die Tradition des Biedermeier eingesetzt, welche nun eine wahre Renaissance der G. begünstigt. Die von G. Adler begründete moderne Musikwissenschaft erhält mit R. Batka („dem geistigen Wiedererwecker der jungen Wiener Gitarristik“), A. Koczirz, J. Zuth, E. K. Blümml, Karl Koletschka und K. Prusik hervorragende Vertreter dieser Disziplin. Diese wirken auch überaus verdienstvoll als G.-Lehrer und Herausgeber.

1909–14 erteilt Batka in Form von Vorträgen „Unterricht im G.-Spiel“ an der k. k. Akademie für Musik und darstellende Kunst, an ihr hält dann von 1919 an J. Ortner G.n- und Lautenkurse ab. 1922 erfolgt die „Einführung des Unterrichtes in künstlerischem Guitarrespiel“ und die Bestellung Ortners „zum vertragsmässigen Vor- und Ausbildungslehrer“. 1924 wird ihm der Titel „Prof.“ zuerkannt. In der Folge besorgt er auch die „Akademischen Ausgaben“ von Unterrichtsliteratur und ist Herausgeber der angesehenen Österreichischen G.-Zeitschrift. Aus seinem Schülerkreis gehen zwei Persönlichkeiten hervor, die für die österreichische Gitarristik des 20. Jh.s wegweisend sind: L. Walker und K. Scheit. Walker als der spanischen Schule von Llobet verpflichtete Solistin von Weltruf, Scheit als Herausgeber von Konzert- und Unterrichtsliteratur neue Maßstäbe setzend, beide aber die kammermusikalische Tradition der G. hochhaltend, machen sie Wien als Prof.en an der Akad. (seit 1970 HSch.) für Musik und darstellende Kunst für viele Jahre zu einem wichtigen Zentrum der Gitarristik. Hier wirken auch verdienstvoll Carl Dobrauz, Otto Schindler und O. Zykan, später R. Brojer und K. Ragossnig, in Graz Marga Bäuml und in Salzburg B. Kováts.

Auch die Komponisten beginnen das Klangkolorit der G. zu entdecken. G. Mahler, A. Zemlinsky, J. Bittner, A. Schönberg, F. Schreker, A. Webern und später A. Uhl übertragen ihr Aufgaben im Ensemble. Uhl trägt auch als Erster zur Sololiteratur bei. Seinem Beispiel folgen viele seiner Zeitgenossen und Jüngere wie K. Ager, P. Angerer, H. E. Apostel, Z. Bargielski, C. Bresgen, M. Buchrainer, F. Burkhart, F. Cerha, F. Cibulka, F. Dallinger, J. N. David, Th. Ch. David, J. Dichler, Ch. Diendorfer, R. Dünser, G. v. Einem, Karl Frießnegg, P. W. Fürst, K. H. Füssl, H. Gál, H. Gattermeyer, E. Hartzell, R. Haubenstock-Ramati, A. Heiller, H. Jelinek, A. Kaufmann, P. Kont, E. Kölz, H. Kratochwil, E. Krenek, A. F. Kropfreiter, A. Kubizek, G. Lampersberg, J. Lechthaler, R. Leukauf, E. Marckhl, G. Mittergradnegger, W. Muthspiel, Fried. Neumann, G. Neuwirth, K. Pilss, W. Pirchner, G. Präsent, Ferdinand Rebay, M. Rubin, M. Rüdenauer, E. Schaller, G. Schedl, K. Schwertsik, W. Seierl, O. Siegl, N. Sprongl, J. Takács, E. Urbanner, W. Wagner, F. Weiss, E. Wellesz, Z. Wysocki u. v. a.

Einen wichtigen Beitrag zur Verbreitung der neu entstehenden G.-Literatur leisten insbesondere die Wiener Musikverlage Doblinger und Universal Edition sowie V. Hladky (jetzt Heinrichshofen & Noetzel) und H. Schneider (jetzt Gloria).

Die rasanten Fortschritte der Technik haben in der 2. Hälfte des 20. Jh.s auch zur Entwicklung eines variantenreichen Erscheinungsbildes elektrisch verstärkter G.n und daraus folgend auch zu einer differenzierten eigenständigen Spieltechnik mit Plektrum geführt. Diese Anschlagstechnik wird insbesondere im Jazz neben jener in der klassischen G.-Tradition wurzelnden Spielweise verschiedener populärer Stile – „Fingerstyle“ – als Gestaltungsmittel eingesetzt. Ebenso hat die voranschreitende Globalisierung auch des Musiklebens gerade der G. völlig neue, breitenwirksame Aufgabenbereiche auf dem Gebiet europäischer und außereuropäischer, insbesondere lateinamerikanischer Popularmusik eröffnet und Entgrenzungen zwischen E- und U-Musik initiiert.

G.-Bau im 20. Jh.: Hans Jirowsky, Josef Wessely, F. Nowy, Anton Guggenberger, Raimund Lendler, Lukas Giefing (alle Wien), Wolfgang Brückner (Graz), Bernd Holzgruber (Velden a. W./K), Tobias Braun (Gaaden/NÖ), Heinrich Nusko (Stadl-Paura/OÖ), Johannes Hofer (Saalfelden/S), Hans Peter Bamberger (St. Johann im Pongau/S) u. a.


Literatur
J. Schlosser, Unsere Musikinstrumente 1922, 5, 52f.; J. Zuth, Simon Molitor und die Wiener Gitarristik um 1800, 1920; P. Päffgen, Die G. 1988; Th. F. Heck, The Birth of the Classic Guitar and its Cultivation in Vienna, Diss. New Haven 1970; NGroveD 10 (2001); MGG 3 (1995); MGÖ 2 (1979); K. Ragossnig, Hb. der G. und Laute 32003; Zuth 1926; R. Kreuzberger, Jakob Ortner und die Anfänge des G.-Unterrichts an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst Wien, Dipl.arb. Wien 1996; M. Langer in Guitar Graffiti, Three Fingerstyle Guitar Solos 1994; A. Koczirz in Mélanges de musicologie offerts à M. Lionel de la Laurencie 1933; E. Maier, Die Lautentabulaturhandschriften der ÖNB 1974; J. Klima (Hg.), Ausgewählte Werke aus der Ausseer Gitarretabulatur des 18. Jh.s 1958. – NA: A. K. Scheit (Hg.), Gitarre-Kammermusik 1957ff.

Autor*innen
Leo Witoszynszkyj
Konrad Ragossnig
Inge Scholl
Walter Würdinger
Letzte inhaltliche Änderung
8.11.2022
Empfohlene Zitierweise
Leo Witoszynszkyj/Konrad Ragossnig/Inge Scholl/Walter Würdinger, Art. „Gitarre‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 8.11.2022, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001cf22
Dieser Text wird unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.

MEDIEN
© Regenterei Kremsmünster
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Kontragitarre im Gedenkmosaik auf H. Frankowski (bezeichnet „OR“). Neulerchenfelderstraße 39, Wien XVI (Wohnhaus-Wiederaufbaufonds, 1960)© Björn R. Tammen
© Björn R. Tammen

DOI
10.1553/0x0001cf22
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