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Humor
Ein Lachen in heiterer Gelassenheit über die Unzulänglichkeiten des Lebens. Seine ästhetische Gestalt findet H. im Komischen. Auch ein musikalischer H. funktioniert als ein Phänomen der Wahrnehmung und Kommunikation; er lässt sich daher in seiner Kontextualität nur bedingt in einem Partiturbefund fixieren. Allgemein schwierig ist es außerdem, regionale Spezifika zu benennen. Ein österreichischer H. ist kein so geläufiger Begriff wie der des WienerH.s. Zum Klischee vom Wienerischen (s. Abb.) gehört der H. jedoch ebenso wie das Musikalische. Als Tradition fassbar ist dies seit dem 18. Jh. Ähnlich wie in der Literatur (von A. Blumauer bis Thomas Bernhard) fällt in der Geschichte des musikalischen H.s von J. Haydn bis K. Schwertsik, O. M. Zykan und H. K. Gruber eine Dominanz von abgründiger Ironie, sarkastischem Witz und Satire über „harmlosere“ Formen des Komischen auf.

Dies gilt bereits für die sog. Überraschungseffekte v. a. in Schlusssätzen von Sinfonien und Kammermusikwerken J. Haydns. Haydn hat die Mittel, die Erwartungshaltung auf einen fröhlichen Ausklang zu irritieren, nicht erfunden, aber offensichtlich mit Erfolg bei seinem Publikum intensiviert. Die Auflösung des Orchesterklangs in einen abbrechenden, offenen Schluss in der sog. Abschiedssinfonie ist nur solange ein harmloser Scherz, als man die Anekdote vom musikalisch angedeuteten Wunsch der Musiker, heimreisen zu wollen, als Erklärung nimmt; ohne sie haben wir die absichtsvolle Fragmentarisierung einer Formgestalt vor uns, die erst in Romantik und Moderne zu einem Thema der Kunst werden sollte.

W. A. Mozarts oft gerühmter geradezu nihilistischer Sprachwitz radikalisiert die damalige Gesellschaftsform eines humorigen Briefstils. Als Komponist greift er den zu Parodie und Satire neigenden H. der Altwiener Volkskomödie (Volkstheater; im Prinzip Ähnliches gab es in Vorstadttheatern von Paris und London) sogar in der Zauberflöte und nicht nur in der Papageno-Sphäre auf. Die (in der Partitur stilisierte) Karikatur eines pfäffischen Geschwätzes im Priesterduett „Bewahret Euch vor Weibertücken“ wurde damals offensichtlich akzeptiert, während sie heutzutage von Dirigenten, Opernregisseuren und Publikum meist gar nicht als solche erkannt wird. Ein Verstehensproblem besonderer Art stellt der Musikalische Spaß KV 522 dar. Sehr wahrscheinlich hat sein Entstehen mit jener Wiener Geselligkeitskultur zu tun, für die Mozart auch literarische Groteskszenen (Groteske) konzipierte. Die gemeinte Pointe des „Spasses“ ist uns aber unbekannt. Abgesehen von den komponierten Verspielern der Musiker rätselt eine erstaunlich reiche wissenschaftliche Literatur herum, wer hier aufgespießt wurde: die Dutzendware an zeitgenössischen Sinfonien, ein veralteter „vorklassischer“ Stil, das „Regelwerk der klassischen musikalischen Logik“ (Marina Lubanova) oder gar die Musik seines Vaters L. Mozart (der als Komponist freilich selber humoristische Effekte setzte), die Musik eines beim Fest anwesenden Komponistenfreundes oder seine eigenen Sinfonienanfänge? Aber auch der aktuell gerne als „Todesmusiker“ apostrophierte Fr. Schubert konnte einen makabren H. entwickeln. Sein Bläser-Nonett D 79 betitelt er Franz Schuberts Begräbniß-Feier (Grave con espressione in es-Moll). Diese larmoyante Parodie auf eine Equalkomposition (Aequale) dürfte sich selbstironisch auf Schuberts wenig rühmlichen Abgang aus dem Konvikt 1813 beziehen.

H. und Satire in den Theaterstücken J. Nestroys sind nur bei den Opernparodien mit einem musikalischen Raffinement verbunden. „Parodie-Operetten“ schrieben zuvor und gleichzeitig C. Ditters v. Dittersdorf (Il Democrito cornetto, Orpheus der Zweite), F. Kauer (Der travestierte Telemach) oder W. Müller (Die Entführung der Prinzessin Europa).

Anders geartet ist der H. bei der späteren Wiener Operette. Musikalische Anspielungen auf (echte und künstlich erzeugte) Idiome der diversen Völker der Habsburgermonarchie haben oft einen parodierenden Unterhaltungswert. In „häufig cynischer Art“ (H. Bahr) untergräbt der Operettenhumor die Autorität von Standespersonen, Institutionen und besonders das Institut der Ehe. Freilich ist die Gegenständlichkeit der Kritik in eine stillschweigende kommunikative Übereinkunft der Theaterbesucher aufgehoben, das gar nicht Harmlose als harmlose Fiktion und als Spaß zu genießen. Und dabei spielt die Musik eine auch dramaturgisch wichtige Rolle. Die haarsträubendsten Handlungskonstellationen werden so „gelöst“, dass sie gleichsam in Musik, in einem unvermutet auftretenden Walzer, einer Polka oder einem anderen Tanz als Ensemblestück hängen bleiben und der frivole Spaß sich zu einem Bühne und Publikum verbindende „Glücklich ist, wer vergißt“ verwandelt. Will man dies hinterfragen, liegt die bösartige Pointe des Witzes nicht in Überdrehung oder heterogener Irritation, sondern im Eintritt der beliebten Unterhaltungsmusik im unerwarteten Moment. Als Prinzip ist dieser Vorgang keine Wiener Erfindung, er findet sich schon ganz selbstverständlich in J. Offenbachs Opéra-bouffe. Was hierzulande an Spezifik hinzukommt, sind, selbst im Habitus der Frivolität, identifikationsstiftende Faktoren und ab einem gewissen Zeitpunkt auch ein kulturelles Gedächtnis. Ad. Müllers d. J. Pasticcio von J. Strauß-Musik in Wiener Blut (1899) ist die erste Operette, die diese Art H. mit einer Verklärung der „guten alten Zeit“, konkret des historischen Umkreises des Wiener Kongresses, verbindet und eine Flut einschlägiger Operetten auslöste. All dies läuft nicht darauf hinaus, dass es in Ernster Musik nichts zu Lachen gab. Seinen Spaß auf zwölftontechnischer Grundlage treibt A. Schönberg in denDrei Satiren für gemischten Chor op. 28 (1925) mit jenen Komponistenkollegen, die nach dem Ersten Weltkrieg als Reaktion auf den Avantgardismus „ihr persönliches Heil auf einem Mittelweg suchen“ (Vorwort zur Partitur).

H. als Mittel, um einen tristen Alltag zu ertragen und auch um erlebte Schrecken zu verdrängen, war nach dem Zweiten Weltkrieg überaus beliebt. In den 1950er Jahren prägte sich eine Kabarettkultur heraus, bei der humorige, mehr oder minder bissige Gesellschaftskritik mit einem hohen und sehr wienerischen Musikanteil verknüpft wurde. Eine andere Facette brachte das humorvolle Lied der Oberkrainer, und wieder eine andere der Austropop mit zum Teil ausgesprochen makabrem H. (Da Hofa von W. Ambros) oder die Collagen des Tirolers W. Pirchner (2. Streichquartett für Bläserquintett mit Variations on a Tyrolian Slave Song 1974). In gezielter Bezugnahme auf Wiener Komödien- und Salonmusik-Traditionen stehen Produktionen von Schwertsik, Zykan und Gruber (Ensemble MOB art & ton ART 1968). Zum Welterfolg eines makabren Wiener Musik-H.s wurde H. K. Grubers Frankenstein!!, ein Pandämonium für Chansonnier & Orchester nach Kinderreimen von H. C. Artmann.


Literatur
W. Preisendanz in J. Ritter et al. (Hg.), Histor. Wörterbuch der Philosophie 3 (1974); MGG 6 (1997) [Musiksatire]; MGÖ 2–3 (1995); W. A. Mozart, Aus dem poetischen Hirnkasten, hg. v. G. Gruber 1989 (erw. NA 2003); M. Lobanova in Hamburger Jb. der Musikwissenschaft 13 (1995); L.-L. Lister, Humor as a Concept in Music 1995; M. Csáky, Ideologie der Operette und Wiener Moderne 1996.

Autor*innen
Gernot Gruber
Letzte inhaltliche Änderung
8.11.2022
Empfohlene Zitierweise
Gernot Gruber, Art. „Humor‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 8.11.2022, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001d26b
Dieser Text wird unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.

MEDIEN
„Das lustige Wien“ (Wiener Bilder, 16.2.1896, 8)© ANNO/ÖNB
„Das lustige Wien“ (Wiener Bilder, 16.2.1896, 9)© ANNO/ÖNB

DOI
10.1553/0x0001d26b
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