Idealismus
In der Philosophie jene Richtung der Metaphysik, die der „Idee“ sowohl seins- als auch erkenntnismäßig den Vorrang vor den wirklichen „Dingen“ einräumt. Die Unterscheidung zwischen realen Dingen
(mundus sensibilis) und übersinnlichen Ideen
(mundus intelligibilis) geht auf Platon zurück. In der Neuzeit wird die Idee als „Vorstellung“ in das Bewusstwein, d. h. in das Subjekt verlegt. Bei Immanuel Kant wird sie als apriorische Funktion der Vernunft, als Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis verstanden. Der „absolute“ (auch „deutsche“)
I. (Johann Gottlieb Fichte, Friedrich Wilhelm Schelling, Georg Wilhelm Friedrich Hegel) unterliegt als Systemphilosophie der Versuchung, allumfassende Ordnungs- und Sinnentwürfe zu konstruieren, ohne ein Korrektiv durch die für ihn nur zweitrangige Wirklichkeit anzuerkennen. Auch an der idealistischen
Ästhetik (Hegel, Friedrich Theodor Vischer) wurden mangelnde Berücksichtigung der empirischen Grundlage (der Kunstpraxis) sowie spekulative Systembildung kritisiert. Demgegenüber wurde für Philosophie und (Musik-)Ästhetik in
Österreich eine empiristische Grundhaltung namhaft gemacht und bis in die Zeit des Spätjosephinismus (
Josephinismus) zurückverfolgt. So wird der Vorrang der Erfahrung vor der Spekulation und die
I.-Kritik etwa in Ignaz Jeitteles’
Ästhetischem Lexikon (1835/37) ganz deutlich, dessen Musikartikel
E. v. Lannoy verfasst hatte. Den Systemcharakter und die Vorstellung der idealistischen Ästhetik von der Einheit der Künste kritisierten
F. Grillparzer und
E. Hanslick:
„Das ‚System‘ macht allmählich der ‚Forschung‘ Platz und diese hält fest an dem Grundsatz, daß die Schönheitsgesetze jeder Kunst untrennbar sind von den Eigenthümlichkeiten ihres Materials, ihrer Technik“ (
Vom Musikalisch-Schönen 1854). Was Hanslick jedoch mit der
Romantik und der idealistischen Ästhetik verbindet, ist die Betrachtung der
Instrumentalmusik als Paradigma der Musik schlechthin, während bis zum 18. Jh. die Vokalmusik diese Rolle innehatte. Im Unterschied zum
I. und der sich auf ihn berufenden Inhaltsästhetik (
A. W. Ambros,
F. v. Hausegger) lehnte Hanslick jeglichen Verweischarakter der Musik ab bzw. erklärte ihn als ästhetisch irrelevant
(„Tönend bewegte Formen sind einzig und allein Inhalt und Gegenstand der Musik“). Metaphysische Reste in Gestalt sphärenharmonischer Vorstellungen tilgte er in den folgenden Auflagen seiner Schrift unter dem Eindruck des mit ihm befreundeten Philosophen
R. Zimmermann. In der Forschung nach Hanslick blieb die Konzentration auf das Werk und dessen
Form Zentrum musikwissenschaftlicher Arbeit. So erklärte
G. Adler Inhaltsdeutungen abwertend zum
„metaphysische[n]
Teil der Stilkritik“ (
Methode der Musikgeschichte 1919).
Während Musikästhetik und -forschung in Österreich überwiegend eine antiidealistische Richtung vertraten, spielte eine „Metaphysik der Tonkunst“ bei den Komponisten eine überaus große Rolle. Anknüpfungspunkt dafür war die herausragende Stellung, die die deutschen Romantiker wie Ludwig Tieck, Wilhelm Heinrich Wackenroder und E. T. A. Hoffmann der Musik innerhalb der Künste einräumten („Die Musik schließt dem Menschen ein unbekanntes Reich auf; eine Welt, die nichts gemein hat mit der äußern Sinnenwelt, die ihn umgibt, und in der er alle durch Begriffe bestimmbaren Gefühle zurückläßt, um sich dem Unaussprechlichen hinzugeben“) (Hoffmann, Besprechung der 5. Symphonie c von Ludwig van Beethoven 1810). Noch weiter ging der Philosoph A. Schopenhauer, wenn er einzig die Musik als Abbild des von ihm als Urgrund alles Seienden aufgefassten Willens versteht, während die übrigen Künste nur ein Abbild der Ideen repräsentierten, die ihrerseits bereits Objektivationen des Willens seien. Daher offenbare nur die Musik „das innerste Wesen der Welt“ (Die Welt als Wille und Vorstellung 1819). Solche Vorstellungen übertrug G. Mahler auf die Symphonie: Sie solle „etwas Kosmisches an sich haben, muß unerschöpflich wie die Welt und das Leben sein, wenn sie ihres Namens nicht spotten soll“ (Bauer-Lechner, Erinnerungen an Gustav Mahler 1923). Über seine Achte Symphonie schrieb er, dabei alte sphärenharmonische Vorstellungen (Harmonikale Forschung) aufgreifend, dass in ihr „das Universum zu tönen und zu klingen beginnt. Es sind nicht mehr menschli[che] Stimmen, sondern Planeten und Sonnen, welche kreisen“ (Brief an Willem Mengelberg 1906). Ähnlich erkennt auch A. Schönberg in der Musik ein Mittel, sich „mit dem Weltall in Verbindung zu setzen“ (Harmonielehre 1911). Bei A. Webern (Man „hat zuletzt den Eindruck, keinem Menschenwerk gegenüberzustehen, sondern der Natur“; Der Weg zur Neuen Musik 1960) und J. M. Hauer („Die absolute, kosmische Musik gestattet den tiefsten Einblick in das Weltgeschehen“; W. Szmolyan, Joseph Matthias Hauer 1965) tendieren solche Vorstellungen bereits zu Mystik.
G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik 1835–38; N. Hartmann, Die Philosophie des dt. I. 1 (1923) u. 2 (1929); R. Haller, Studien zur österr. Philosophie 1979; B. Smith, Austrian Philosophy 1994; R. Haller, Skizzen zur österr. Philosophie 2000; I. Jeitteles, Ästhetisches Lex.Ignaz Jeitteles, Ästhetisches Lexikon. Ein alphabetisches Handbuch zur Theorie der Philosophie des Schönen und der Schönen Künste. Wien 1837. 1835/37; E. Hanslick, Vom Musikalisch-Schönen. Ein Beitrag zur Revision der Ästhetik der Tonkunst 1854 (viele Auflagen u. Übersetzungen, hist.-krit. Ausgabe hg. v. D. Strauss 1990); A. W. Ambros,Grenzen der Musik und Poesie 1856; F. v. Hausegger, Die Musik als Ausdruck 1885; R. Wallaschek, Ästhetik der Tonkunst 1986; K. Blaukopf, Pioniere empiristischer MusikforschungKurt Blaukopf, Pioniere empiristischer Musikforschung. Österreich und Böhmen als Wiege der modernen Kunstsoziologie (Wissenschaftliche Weltauffassung und Kunst 1). Wien 1995. 1995; MGG 4 (1996).
25.4.2003
Barbara Boisits,
Art. „Idealismus“,
in:
Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung:
25.4.2003, abgerufen am
),
https://dx.doi.org/10.1553/0x0001d27f
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