Logo ACDH-CH
OeML Schriftzug
Logo OeML
Logo Verlag

Kapelle
Entweder ein kleiner Sakralraum (selbständig oder einer größeren Kirche angebaut) oder eine bestimmte Musikergruppe. Die beiden Wortbedeutungen hängen – nur auf den ersten Blick überraschend – eng miteinander zusammen: Ausgangspunkt ist die capella (mittel-lat. = kleiner Mantel) des Hl. Martin von Tours († 400), die von den fränkischen Königen besonders verehrt wurde. Davon leitet sich die entsprechende Bezeichnung von deren Aufbewahrungsort in der Königspfalz zu Tours her, der zum Ansatzpunkt für K. als allgemeine Bezeichnung für kleine Sakralräume wurde. Solche wiesen (unabhängig davon, ob ständig oder nur fallweise als solche benützt) alle mittelalterlichen Herrschaftssitze auf für die Gottesdienste (insbesondere Messe, Vesper), denen die Herren mit ihren Familien beiwohnten. Da für diese selbstverständlich Geistliche aus deren Umgebung zuständig waren, wurde diese Gruppe insgesamt oft als Hof-K. bezeichnet (an der Spitze der Hof-Kaplan; auch diese Bezeichnung abgeleitet aus lat. capellanus). Die Bezeichnung stellt also eine Projektion von einem wesentlichen Tätigkeitsort (capella) auf die tätige Personengruppe dar, während die jüngere Bezeichnung Cantorei eindeutig von der Tätigkeit als Sänger ausgeht und speziell diese im Auge hat.

Die Habsburger behielten die Tradition von Hofkapellen, die also erst schrittweise zu (nur zuletzt allein) musikalischen Institutionen verengt worden waren, bis zuletzt bei (Hofmusikkapelle). Die hier tätigen Musiker konnten jedoch seit Beginn der Neuzeit zunehmend auch Laien sein. Seit sie das in überwiegendem Maße waren und sie (v. a. in der Barockzeit) neben ihren liturgischen auch repräsentative, jedenfalls weltliche musikalische Aufgaben (z. B. Festgestaltung, Unterhaltung) zu erfüllen hatten, diente die präzisierende Bezeichnung Hofmusik-K. (die also ebenfalls korrekterweise nur den musikalischen Aspekt im Auge hat) auch dieser Unterscheidung. Sie ist schließlich als Muster für andere Adelskapellen anzusehen.

Mit den seit der Aufklärung zunehmenden bürgerlichen Nachahmungen höfischer Vorbilder hängt zusammen, dass von diesem Ausdruck der Bestandteil Musik-K. abgespalten und neben dem (aus dem städtischen Bereich stammenden) Begriff Musikverein außerordentlich stark verbreitet wurde, besonders für in bürgerlichen Vereinen im engeren Sinne (die das Staatsgrundgesetz von 1867 ermöglicht hatte) organisierte Blasmusik-K.n (Blasmusikverband).

Der von daher neuerlich verkürzte Ausdruck K. wird dann umgangssprachlich fallweise sogar als Hinweis auf die Zusammensetzung des betreffenden Ensembles verstanden: nämlich für ausschließlich oder vornehmlich aus Blasinstrumenten bestehenden, im Gegensatz zu einem aus Streichern und Bläsern zusammengesetzten Orchester. Demgemäß beinhaltet die neuere Bezeichnung Blasorchester auch einen entsprechenden Anspruch. Außerdem wird das Wort K. nun auch als Bezeichnung für kleinere Ensembles verallgemeinert (und auch in diesem Sinne „Orchester“ gegenübergestellt): z. B. in der Tanz- und der Klezmer-Musik (Kapelje). Entweder als verkürzte Form von Blasmusik-K. oder als Mischform aus Musikverein und (Blas-)K. ist schließlich der landläufige, fallweise wiederum auch auf andere Ensembleformen übertragene Ausdruck Musik-K. zu verstehen; in ähnlicher Weise z. B. Militär-K. als Kurzform von Militärmusik-K. (im Gegensatz zu zivilen Vereinen). Der Leiter all dieser Formationen wird meist als Kapellmeister bezeichnet (unter Umständen einem Dirigenten gegenübergestellt); das längst vergessene Vorbild für dieses Wort wäre ebenfalls bereits im geistlichen oder weltlichen „maestro di capella“ zu suchen.

Die mundartliche Bezeichnung „terrische Kapelln“ für einen schwerhörigen Menschen bezieht sich bildlich auf die außerhalb von Gottesdienstzeiten in einem Kirchenraum herrschende Stille.


Literatur
F. Kluge/E. Seebold, Etymologisches Wörterbuch der dt. Sprache 231999; U. Hermann, Knaurs Herkunftswörterbuch 1982; P. Wehle, Sprechen Sie Wienerisch? 1980.

Autor*innen
Rudolf Flotzinger
Letzte inhaltliche Änderung
25.4.2003
Empfohlene Zitierweise
Rudolf Flotzinger, Art. „Kapelle‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 25.4.2003, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001d3b8
Dieser Text wird unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.