Katzenmusik
(Charivari, Chalivali, Schaalwari, Scharewari u. ä.; engl. rough music)
Sammelbezeichnung für ungewöhnliche, oft anti-Musik. Im Brauchtum der Naturvölker wie der älteren und jüngeren Hochkulturen kommt der Musik gesellschaftsregulierende Kraft zu. Während bestimmten Formen des
Gesanges und der
Instrumentalmusik, bestimmten Musikinstrumenten und „Tonarten“/Zusammenklängen positive Wirkungen auf die Dynamik gesellschaftlichen Zusammenlebens zugesprochen werden (s. Konfuzius, Platon, Alfarabi, Boethius: W. Suppan,
Der musizierende Mensch), dient die sog.
K. dazu, Ausbrüche aus der Norm öffentlich zu machen und anzuprangern. Im Zentrum solcher
K.en steht demnach die rügegerichtliche Funktion, die durch öffentliches Belärmen des oder der Delinquenten, außerdem durch Belagerung des Hauses, körperliche Züchtigung, Sachbeschädigung bis zur Friedloslegung ausgedrückt wird. Lärmaufzüge und Spottgesänge wurden Ehebrechern/Ehebrecherinnen „dargebracht“, wobei Männern ein Hirschgeweih mit Glöckchen aufgesetzt wurde, Frauen nackt, mit dem Blick zurück, auf einen Esel – in der Volksmeinung das brünstigste aller Tiere – gesetzt und durch den Ort geführt wurden. Aber auch die Häuser verhasster Politiker konnten durch Lärm-Musik „gekennzeichnet“ werden. Schließlich diente Charivari seit der Zeit des
Barock abendländischen Komponisten als Stilmittel, um Unordnung und Schreckliches zu charakterisieren. Hector Berlioz nennt den Opernkomponisten „D“ (vermutlich Gilbert Duprez) einen Realisten, der
„ein Charivari in Chor und Orchester mit fortwährenden Dissonanzen geschrieben“ habe, um
„die Verhöhnung eines Gefangenen durch jüdisches Gesindel“ darzustellen
(MGG). Als „Charivari“ wurden auch Werke von
Avantgarde-Komponisten des 19. und 20. Jh.s beschimpft.
Im alpenländischen Brauchtum erscheinen K.en bis in die Gegenwart herein mit dem Hochzeitsbrauchtum verknüpft („Polterabend“). Viktor v. Geramb zählt aber auch die „winterlichen Lärmumzüge“ dazu: Der Fohnsdorfer Kameralverwalter Johann Felix Knaffl berichtet darüber in seiner Beschreibung des Judenburger Kreises (1813) im Zusammenhang mit dem Krampus-Nikolaus Brauchtum; der Brauch ist u. a. heute noch in Bad Mitterndorf im steirischen Salzkammergut lebendig. V. a. an den Faschingtagen wird mit verschiedenen Trommeln und Pfeifen, Ratschen und Tierhörnern, Glöckchen und Schellen, Peitschen und Dreschflegeln, Blecheimern und Topfdeckeln ein „Höllenlärm“ (Lärminstrumente) erzeugt. Relikte davon haben sich bis heute im Faschingmontag-Umzug der Ausseer Trommelweiber (Ausseerland) erhalten. Die Tiroler „Fasnacht“ wird geprägt von Hexenmusik und Schellerlaufen. In jüngster Zeit entstehen unter dem Einfluss des alemannisch-schweizerischen Raumes auch in Vorarlberg „Gugenmusiken“, die während der „Fasnet“-Zeit einen „Heidenlärm“ bei Umzügen und in Wirtshäusern verursachen.
B. Bachmann-Geiser in Volksmusik in der SchweizBrigitte Bachmann-Geiser, Musik und Lärm als Begleitung zu Arbeiten und Volksbräuchen. Von Glocken, Schellen und Treicheln – Talerschwingen – Peitsche und Dreschflegel – Tierhörner – Alphorn – Pfeifer und Trommler, in: Gesellschaft für die Volksmusik in der Schweiz
(Hg.), Volksmusik in der Schweiz. Zürich 1985, 30–44. 1985; MGG 2 (1995) [Charivari]; V. von Geramb (Hg.), Die Knaffl-HandschriftViktor von Geramb (Hg.), Die Knaffl-Handschrift. Eine obersteirische Volkskunde aus dem Jahre 1813 (Quellen zur Deutschen Volkskunde 2). Berlin 1928. 1928; H. u. R. Kahane in The Jewish Quarterly Review 52 (1961/62); G. Kocher in A. Mauerhofer (Hg.), [Kgr.-Ber.] Historische Volksmusikforschung Medulin 1979, 1981; K. Meuli in H. Kusch (Hg.), [Fs.] F. Dornseiff 1953; W. Pfaundler, Nassereither Schellerlauf. Fasnacht in Tirol 1998; G. Phillips, Über den Ursprung der K.en 1849 (erweitert in Vermischte Schriften 3 [1960]); A. Schneider in A. Mauerhofer (Hg.), [Kgr.-Ber.] Historische Volksmusikforschung Limassol [Zypern] 1982,Albrecht Schneider, Charivari. Ost-westliche Beziehungen untersucht anhand brauchtumsmäßiger Ausdrücke und Sachverhalte. Ein linguistischer Beitrag zur Frühgeschichte der Musik, in: Alois Mauerhofer (Hg.), Historische Volksmusikforschung Limassol 1982. Graz 1985, 121–161. 1985 [mit umfassenden Lit.-Angaben]; W. Suppan, Der musizierende Mensch. Eine Anthropologie der MusikWolfgang Suppan, Der musizierende Mensch. Eine Anthropologie der Musik (Musikpädagogik 10). Mainz et al. 1984. 1984; M. Vogel, Onos Lyrans. Der Esel mit der Leier 1973.
25.4.2003
Wolfgang Suppan,
Art. „Katzenmusik (Charivari, Chalivali, Schaalwari, Scharewari u. ä.; engl. rough music)“,
in:
Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung:
25.4.2003, abgerufen am
),
https://dx.doi.org/10.1553/0x0001d3e8
Dieser Text wird unter der Lizenz
CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.