Sein Bruder
Franz (Ferencz) (sen.): * 31.1.1838 in Schönwald/Mähren (Šumvald/CZ), † 7.2.1898 Budapest. Militärkapellmeister und Komponist. Aus kleinbürgerlichen Verhältnissen stammend, scheint F. L. nach Jahren als Wandermusiker durch Mähren und Niederösterreich 1855 als Hornist im Theater an der Wien auf. 1857 Eintritt in die Kapelle des IR.s Nr. 5, mit dem Regiment Teilnahme am Krieg in Oberitalien 1859. Erste Bearbeitungen und Kompositionen für Militärmusik unter der Anleitung von Alois Gielg, 1863 Bestellung zum Militärkapellmeister beim IR 50 „Großherzog von Baden“. F. L. blieb insgesamt 24 Jahre als Kapellmeister bei diesem Regiment (1863–80 und erneut 1888–95, dazwischen kurz beim IR 33 in Budapest, dem IR 19 in Komorn [Komárom/H], dem IR 102 in Prag und dem IR 89 in Wien). 1866 wieder Kriegsteilnahme in Italien (Komposition des Oliosi-Sturm-Marschs). 1868 nach Komorn verlegt, heiratete dort 1869 Christine, geb. Neubrandt (1849–1906). In der Folge zahlreiche Ortswechsel bedingt durch Regimentsverlegungen, u. a. nach Pressburg, Ödenburg und Klausenburg (Cluj/RO). Von insgesamt sechs Kindern überlebten nur drei die ersten Kindheitsjahre. Beträchtlicher Wohlstand, u. a. Besitz von Häusern in Pressburg, Wien und Abbazia (Opatija/HR). Werke F. L.s wurden u. a. bei Hoffmann und Weiner (Prag), Carl Hofbauer und Vincenz Kratochwill (Wien), Haslinger (Wien) und Carlo Schmidl (Triest) verlegt. Die letzten Lebensjahre verbrachte F. L. in Budapest als Kapellmeister im bosnisch-herzegowinischen IR Nr. 3.
Oliosi-Sturm-Marsch, Königin-Christine-Marsch, Catty-Marsch, La Fiumana (Walzer), Jubel-Festmarsch, Liebe und Wein (Polka), Lieder-Marsch.
J. Damański, Die Militärkapellmeister Österreich-Ungarns 1904; A. Lehár, Unsere Mutter 1930; A. Lehár, Erinnerungen , hg. v. P. Broucek 1973; E. Rameis, Die österr. Militärmusik von ihren Anfängen bis zum Jahre 1918, erg. u. bearb. v. E. Brixel 1976; Brixel/Martin/Pils 1982.
Dessen Sohn
Franz Christian: * 30.4.1870 Komorn, † 24.10.1948 Bad Ischl/OÖ. Komponist und Dirigent. Als Sohn eines k.u.k. Militärkapellmeisters, ein Beruf, der mit zahlreichen Garnisons- und somit Wohnsitzwechseln verbunden war, wurde L. bereits in seiner Kindheit und Jugend mit sehr verschiedenen kulturellen und musikalischen Traditionen konfrontiert. Seine Muttersprache war Ungarisch, früh sorgten die Eltern jedoch auch für den Erwerb der deutschen Sprache. Erster Musikunterricht erfolgte durch den Vater, bereits mit sechs Jahren erste Kompositionsversuche. Schulunterricht in Budapest und Sternberg, mit zwölf Jahren Schüler des Prager Konservatoriums (Hauptfach Violine bei A. Bennewitz). Während der Konservatoriums-Zeit erregen Kompositionen L.s u. a. die wohlwollende Aufmerksamkeit von A. Dvořák und J. Brahms. 1888 Abgang mit Diplom, darauffolgend erste Anstellung an den Vereinigten Stadttheatern in Barmen-Elberfeld/D, dort bald Konzertmeister. Bereits nach einem Jahr beendete L. vertragswidrig dieses Engagement und wechselte zur Militärkapelle des IR.s 50, die gerade von seinem Vater geleitet wurde, nach Wien. Kompositionen entstanden in der Folge v. a. für das Repertoire der Militärmusik und fanden positives Echo. 1890 wurde L. erst 20-jährig jüngster Kapellmeister der k. u. k. Armee, mit Unterbrechungen und den üblichen Garnisonswechseln verblieb er bis 1902 im militärmusikalischen Dienst, was Richtung und Stil seiner Kompositionen maßgeblich bestimmte. Daneben galt sein Streben aber der Oper, wobei ihm der aktuelle Verismo vorbildlich war: 1896 wurde in Leipzig/D Kukuschka durchaus erfolgreich uraufgeführt, die erhoffte Karriere als Bühnenkomponist blieb ihm dennoch zunächst verwehrt. Seit 1899 in Wien stationiert (IR 26), fand L. 1902 zum Theater an der Wien, zunächst als Vertragskomponist, platzierte im selben Jahr mit Wiener Frauen erfolgreich seine erste Operette, die kurz darauf vom wesentlich erfolgreicheren Rastelbinder gefolgt wurde und L. in der Operettenszene etablierte. Die lustige Witwe bedeutete 1905 nicht nur den Durchbruch an die Spitze der Wiener Operettenszene und anhaltendes materielles Wohlergehen (mit umfangreichem Immobilienbesitz u. a. in Wien und Bad Ischl), sondern auch die Wende zum neuen Typus der „Tanzoperette“. Im Gegensatz zu branchenüblichen Verfahrensweisen versuchte L. in der Folge immer wieder, neue und im Operettenbereich wenig bis kaum erprobte Varianten, was zu einer durchaus unterschiedlichen Erfolgsbilanz führte: Der Mann mit den drei Frauen, Die ideale Gattin oder Der Göttergatte wären als diesbezügliche Fehlschläge zu verbuchen, während besonders Der Graf von Luxemburg reüssierte. Experimente betrafen u. a. Dramaturgie (z. B. ein zweiter Akt als großangelegtes Duett in Endlich allein 1914), Stoff (moderne couleur locale der Fabriksarbeit in Eva 1911) und Konfliktlösung (Traumhandlung in Zigeunerliebe 1910). Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs veranlasste auch L. zur Komposition patriotisch motivierter Konjunkturwerke, darunter die Tondichtung Fieber (Teil des Zyklus Aus eiserner Zeit). L., dessen Bruder Anton einen hohen militärischen Rang bekleidete, trat als populärer Vertreter österreichischer Kultur während des Krieges wiederholt in propagandistisch motivierten Kontexten auf. Nach Kriegsende versuchte L. zunächst mit begrenztem Erfolg die Integration modischer Tänze amerikanischer Provenienz, ehe er ab 1925 unter weitestgehendem Verzicht auf traditionelle Genreelemente „ernste“ Stoffe bevorzugte: u. a. ohne Happy End („Verzichtsoperetten“) und mit Betonung „tragischer“ Elemente, besonders aber durch maßgeschneiderte Tenorlieder für R. Tauber („Tauberlied“) entwickelte L. in der Folge die „lyrische“ Operette. Paganini wurde 1925 noch in Wien uraufgeführt, die weiteren Operetten wurden jedoch in Berlin aus der Taufe gehoben, bildeten dort einen stilistischen Gegenpol zur boomenden Revueoperette und fanden rasch ihren Weg in die neuen Medien Rundfunk und Film: Der Zarewitsch (1927), Friederike (1928, das Goethe – Sujet führte dabei zu mannigfach artikulierten Protesten), Das Land des Lächelns (1929) und Schön ist die Welt (1930). In gewisser Weise ist die UA der „musikalischen Komödie“ Giuditta 1934 in der Wiener Staatsoper (von 120 Rundfunksendern live übertragen!) nicht nur als Imagehöhepunkt in der Karriere L.s zu werten, sondern auch als zumindest teilweise Erfüllung seiner nie unterbrochenen Orientierung an der veristischen Oper. Nach dem geschäftlichen Zusammenbruch des Karczag-Marischka-Unternehmens gründete L. 1935 mit dem Glocken-Verlag ein eigenes Unternehmen. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland hatte auch für L. einschneidende Folgen: zunächst infolge seiner Zusammenarbeit mit „nichtarischen“ Librettisten (die, falls sie nicht rechtzeitig flüchten konnten, wie F. Löhner-Beda in Nazilagern ermordet wurden), Interpreten (Tauber) und Theaterunternehmern kurz sogar boykottiert, wurden seine Erfolgsoperetten zwar durch Intervention von Joseph Goebbels schnell wieder auf die Spielpläne gesetzt. L. war jedoch nicht zuletzt wegen seiner nichtarischen Gattin Sophie (Heirat 1924) weiterhin angreifbar. Vielleicht auch deshalb ließ er sich nicht nur als Aushängeschild der NS-Kulturpropaganda feiern, sondern stellte sich u. a. während des Zweiten Weltkriegs auch für Propagandakonzerte zur Verfügung. Auf der stofflichen Basis der Zigeunerliebe stehend, jedoch inhaltlich deutlich verändert und v. a. musikalisch fast gänzlich neugestaltet, brachte L. 1943 mit Garabonciás sein letztes Werk, als „romantisches Singspiel“ bezeichnet, in Budapest zur UA. Die letzten Lebensjahre, seit 1940 fast ausschließlich in Bad Ischl („L.-Villa“) verbracht, waren von gesundheitlichem Verfall gekennzeichnet.
Denkmäler (Wien I, Stadtpark u. Bad Ischl, Kurpark [s. Abb.]); F.-L.-G. in Mörbisch/Bl, Parndorf/Bl, Perchtoldsdorf/NÖ, Wieselburg/NÖ, Würnitz/NÖ; F.-L.-Straße in Breitenfurt bei Wien/NÖ, Ebreichsdorf/NÖ, Leobersdorf/NÖ; L.gasse in Felixdorf/NÖ, Graz III, Hörsching/OÖ, Weiz/St, Wien VI; E.weg (Seewalchen am Attersee/OÖ); F.-L.-Kai in Bad Ischl; Lehar Filmtheater in Bad Ischl mit Gedenktafel (s. Abb.).
Ehrenmitglied der AKM 1920; Ehrenmitglied der Gesellschaft zur Hebung und Förderung der Wiener Volkskunst AKM 1928; Großes Ehrenzeichen der Republik Österreich 1930; Ehrenring der Stadt Wien 1940; Goethe-Medaille für Kunst und Wissenschaft 1940; Ehrenbürger von Bad Ischl 1948.
Vom Schreibtisch und aus dem Atelier. Bis zur „Lustigen Witwe“ in Velhagen & Klasings Monatshefte 26/6 (1912).
Kukuska (Oper, 1896, Neufassung als Tatjana 1905), Wiener Frauen 1902, Der Rastelbinder 1902, Der Göttergatte 1904, Die lustige Witwe 1905, Mitislaw der Moderne 1907, Das Fürstenkind 1908 (umgearbeitet 1932 als Der Fürst der Berge), Der Graf von Luxemburg 1909, Zigeunerliebe 1910, Eva 1911, Endlich allein 1914 (umgearbeitet 1930 als Schön ist die Welt), Der Sterngucker 1916, Wo die Lerche singt 1918, Die blaue Mazur 1920, Frasquita 1922, La Danza delle Libellule 1922, Die gelbe Jacke 1923 (umgearbeitet 1929 als Das Land des Lächelns), Cloclo 1924, Paganini 1925, Der Zarewitsch 1927, Friederike 1928, Giuditta 1933, Garabonciás 1943 (weitestgehende Neufassung von Zigeunerliebe); Fieber (Tondichtung, 1915), Vásárhelyi induló (Marsch, 1893), Gruß an Losoncz (Marsch, 1894), Jetzt geht’s los (Marsch, 1894), Gold und Silber (Walzer, 1902).
E. Decsey, F. L. 1924; M. v. Peteani, F. L. 1950; St. Czech, Schön ist die Welt. F. L.s Leben und Werk 1957; B. Grun, Gold und Silber, F. L. und seine Welt 1970; M. Schönherr, F. L. Bibliographie zu Leben und Werk 1970; M. Schönherr, Die Instrumentation bei L. 1978; O. Schneidereit, F. L., Eine Biographie in Zitaten 1984; St. Frey, F. L. oder das schlechte Gewissen der leichten Musik 1995; N. Linke, F. L. 2001; G. E. Schmidt, Ehrenzeichen und Orden im Österreich der Zwischenkriegszeit 1918–1938, 1994; O. Rathkolb in P. Autengruber et al., Forschungsprojektendbericht Straßennamen Wiens seit 1860 als „Politische Erinnerungsorte“ 2013 (https://wien.gv.at/kultur/abteilung/pdf/strassennamenbericht.pdf); MGG 10 (2003); www.bad-ischl.ooe.gv.at (1/2015); www.akm.at (2/2015).