M. ist im kollektiven Gedächtnis als eine der größten Herrschergestalten aus dem Hause Habsburg und als ein den Künsten besonders zugetaner Fürst an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit verankert. M.s zentrale politische Vorstellung, die Idee einer christlichen Universalmonarchie unter einem Kaiser als weltlichem wie geistlichem Oberhaupt, war angesichts der Tendenzen zur nationalstaatlichen und konfessionellen Partikularisierung Europas nicht mehr zu realisieren. M. hat aber v. a. durch administrative Reformen die staatliche Integration der österreichischen Länder befördert und durch die Sicherung der habsburgischen Herrschaft in Burgund und Spanien und die Vorbereitung des dauerhaften Erwerbs von Böhmen und Ungarn den Aufstieg Österreichs zur „Großmacht“ eingeleitet.
Neben der intensiven Förderung des Humanismus und literarischen bzw. künstlerischen Großprojekten (von der „auto“-biographischen Trilogie aus Freydal, Theuerdank und Weißkunig über die Monumentalgraphiken des Triumphzugs und der Ehrenpforte bis hin zum posthum fertiggestellten Innsbrucker Grabmal) hat nicht zuletzt M.s musikalisches Mäzenatentum zu seinem Nachruhm beigetragen. Das Bild einer kulturellen Blütezeit unter M. wurde in der populären Wahrnehmung teilweise extrem übersteigert; besonders der Mythos von der Gründung der „Wiener Hofmusikkapelle“ bzw. der Wiener Sängerknaben 1498 ließ M. geradezu als einen Ahnvater des „Musiklands Österreich“ erscheinen.
In M.s sog. Kulturoffensive kamen verschiedenartige Voraussetzungen zum Tragen: eine von der spätmittelalterlichen Memorialkultur beeinflusste Mentalität, ein schon im Zeichen der Renaissance stehender Entwurf des künstlerisch ambitionierten Fürsten, dessen politische Macht angemessener kultureller Repräsentation bedarf, die durchaus neuzeitliche Intention einer öffentlichkeitswirksamen Propagierung dieses Herrscherbilds, schließlich das M. in jeder Hinsicht wesentlich prägende Vorbild der Herzöge von Burgund, an das er gerade auch in seinem Selbstverständnis als christlicher Ritter und in der Stilisierung als Musikliebhaber anschloss.
Kernstück der musikalischen Patronage M.s war eine zur Ausführung komplexer, d. h. franko-flämischer Polyphonie befähigte Kapelle bzw. Kantorei (ein solches Ensemble zu unterhalten, war für Fürsten des deutschen Reichs um 1500 noch keineswegs selbstverständlich). M.s Hofmusik steht in einem im Detail schwer auszuleuchtenden Zusammenhang mit drei älteren Hofhaltungen. Seit 1477 verfügte M. zunächst über die burgundische Kapelle und damit über eine der bedeutendsten musikalischen Institutionen in Europa. Prominenteste Mitglieder waren damals Anthoine Busnoys und der 1492 von M. angeworbene Pierre de la Rue. Von den Musikern Siegmunds des Münzreichen, dem M. 1490 als Regent von Tirol und der Vorlande nachfolgte, wurde nachweislich P. Hofhaimer übernommen. Dokumentarisch nicht zu belegen, aber auch nicht auszuschließen ist die Weiterverwendung von Sängern Siegmunds. Weiterhin liegt die Annahme nahe, dass M. zumindest die fähigeren Kräfte aus der Kapelle seines 1493 verstorbenen Vaters Friedrichs III. weiterbeschäftigt hat. Wie sich allenfalls die Verbindung oder die Zusammenarbeit der Musiker aus diesen drei Einrichtungen gestaltet hat, entzieht sich näherer Kenntnis. Die in der Literatur des Öfteren aufgestellte Behauptung, es hätten eine „burgundische“ und eine „deutsche“ Kapelle nebeneinander existiert, findet jedenfalls keine Deckung in den Quellen. 1494 wurde Burgund samt dessen Hofkapelle Philipp dem Schönen überlassen. Die lückenhaften Informationen über M.s eigene, nach diesem Zeitpunkt wohl z. T. neuaufgebaute Kapelle lassen immerhin auf eine Präferenz für Sänger aus dem deutschsprachigen Raum schließen (1496 ist mit H. Kerner erstmals ein „obrister Kaplan und Cantor“ nachweisbar). Weiterhin ist das Bemühen deutlich, trotz kriegsbedingter bzw. finanzieller Restriktionen für eine entsprechende personelle Ausstattung zu sorgen (bei ihrer Auflösung 1519 umfasste die Kapelle 21 Knaben- und 19 erwachsene Sänger) und einen qualitativen Standard auf der Höhe der aktuellen franko-flämischen Produktion zu gewährleisten: U. a. wird 1496 H. Isaac berufen und enthalten mehrere mit M.s Hof in Verbindung zu bringende Handschriften Werke bedeutender Komponisten aus der Zeit um 1500 (darunter Loyset Compère, Josquin Desprez, Jacob Obrecht, Pierre de la Rue).
Zahlreiche Hinweise, v. a. die Beschäftigung so renommierter Virtuosen wie P. Hofhaimer und Augustin Schubinger, deuten auf eine ebenso reiche wie niveauvolle Pflege von Instrumentalmusik hin. Dem burgundischen Modell entsprechend und analog zu vielen damaligen Hofhaltungen standen dafür mehrere Ensembles zur Verfügung: das (bis zu 12 Musiker umfassende) Trompeterkorps (Hoftrompeter, Heertrompeter), die ebenfalls Repräsentationswecken dienende, aber auch den Tanz begleitende Bläser-Alta und eine Gruppe aus Spielern von ‚leisen‘ (vorwiegend Saiten-)Instrumenten. Hinzu tritt als Spezifikum die am Hof M.s offenbar besonders beliebte Kombination aus Schwegel bzw. Einhandflöte und Trommel.
Einiges spricht dafür, dass die Hofmusik M.s schon um 1500 Anteil an den damals neuesten Entwicklungen der Ensemblepraxis hatte, wie der Bildung eines homogenes Streicherensembles, der Erweiterung der Alta um neue Instrumente wie insbesondere den Zink und v. a. dem Zusammenwirken eines Zink-Posaunen-Ensembles mit der Vokalkapelle.
W. Senn in [Kat.] M. I., Innsbruck 1969; H. Wiesflecker, Kaiser M. I., 5 Bde. 1971–86; L. Cuyler, The Emperor M. I. and Music 1973; W. Salmen (Hg.), Musik und Tanz zur Zeit Kaiser M. I. 1992; W. Salmen/R. Gstrein (Hg.), Heinrich Isaac und Paul Hofhaimer im Umfeld von Kaiser M. I. 1997; Th. Antonicek et al. (Hg.), Die Wr. Hofmusikkapelle I. Georg Slatkonia und die Wr. Hofmusikkapelle 1999.