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Montenegro (deutsch für serbisch Crna Gora)
Staat auf der Balkanhalbinsel, 2003–2006 Teil der Republik „Serbien und M.“; ist von der Gebirgslandschaft der Dinarischen Alpen geprägt, die in der Bucht von Cattaro (Kotor) direkt an die Adria heranreichen. Die periphere Lage am Rande der Interessenskreise europäischer Großmächte und die Benachteiligung durch die natürlichen Verhältnisse, die nur Viehwirtschaft, Fischfang sowie etwas Handwerk und Handel zuließen, begünstigten andererseits die Entwicklung von Stammesgesellschaften mit eigenständiger Kultur und der Betonung militärischer Traditionen – Charakteristika, die sich hartnäckig bis in die Gegenwart halten. 1991 bezeichneten sich von den 616.000 Einwohnern 61 % als Montenegriner, 17 % als (südslawische) Muslime, 9 % als Serben, 8 % als Albaner, 4 % als Jugoslawen und 1 % als Kroaten. Das Mehrheitsvolk der M.iner ist serbischer Abstammung und bekennt sich zur Orthodoxie, allerdings verwendet es die ijekavische (anstelle der in Serbien üblichen ekavischen) Variante der štokavischen Sprachen.

(I) Auf dem Gebiet des heutigen M. entwickelte sich im Hochmittelalter das erste Kerngebiet einer serbischen Herrschaft, die Dioclea oder Zeta. 1499 wurde M. osmanische Provinz, im selben Jahr übernahm Venedig einen Teil der montenegrinischen Adriaküste mit Kotor als geschütztem Naturhafen. Im Verlauf des Mittelalters und der frühen Neuzeit vergrößerten die orthodoxen Klöster ihre Pfründe, und die Bischöfe von Cetinje übernahmen die Rolle als Einiger der montenegrinischen Stämme, wobei die Erbfolge jeweils vom Onkel auf den Neffen weiterging. Bereits 1697 kündigte der „Vladika“ (Fürstbischof) aus der Dynastie der Njegoši die bisherige Abhängigkeit vom Osmanischen Reich auf und erreichte die Anerkennung durch Zar Peter I. Im 18. Jh. musste die Hohe Pforte bereits eine zunehmende Unabhängigkeit M.s anerkennen, Fürst Petar I. ließ ein Gesetzbuch verfassen und die ersten Schulen einrichten. Fürst Petar II. Petrović Njegoš verfasste in der ersten Hälfte des 19. Jh.s die berühmte Nationaldichtung Gorski vijenac [Bergkranz], dessen Original 1925 aus der Handschriftensammlung der ÖNB der jugoslawischen Regierung verkauft wurde. Seine Erzählungen und die aus dem Mittelalter und der frühen Neuzeit meist mündlich überlieferten Mythen stellten im 19. u. 20. Jh. wesentliche Elemente der nationalen Ideologie (Identität) dar.

Bereits Fürst Danilo Petrović Njegoš erreichte nach der Mitte des 19. Jh.s die de facto-Anerkennung durch Wien und St. Petersburg/RUS, die Fürst Nikola ab 1875 auch militärisch erkämpfte. Daher erhielt M. auf dem Berliner Kongress 1878 die offizielle völkerrechtliche Anerkennung und erwarb die Küstenstädte Bar und Ulcinj. Der autokratisch regierende Fürst, bald als „Schwiegervater Europas“ bezeichnet, da er seine Töchter an eine Reihe von europäischen Herrscherhäusern verheiratet hatte, nahm zu seinem fünfzigjährigen Thronjubiläum 1910 sogar den Königstitel an, musste allerdings einer demokratisch gesinnten Opposition eine Verfassung und die Einberufung eines Parlaments gewähren. Im ersten Balkankrieg 1912/13 eroberten montenegrinische Truppen sogar die Stadt Shkoder (Skutari), und M. teilte sich den bisher osmanischen Sandžak mit Serbien. Anfang August 1914 wagte M. als Alliierter Serbiens und Russlands sogar die Kriegserklärung an Österreich-Ungarn, musste aber im Winter 1915/16 unter schweren Verlusten die Eroberung des gesamten Landes hinnehmen. Kg. Nikola floh nach Frankreich, Wien richtete ein Militärgeneralgouvernement ein. Nach dem Zerfall der Habsburgermonarchie sprach sich am 26.11.1918 eine montenegrinische Nationalversammlung in Podgorica für die Absetzung der Dynastie der Njegoši und für den Anschluss an das Königreich Serbien aus, so daß M. mit etwa 160.000 Montenegrinern am 1.12.1918 Teil des neuen Königreiches der Serben, Kroaten und Slowenen wurde. Die serbische Verwaltung bis 1941 bedeutete einerseits Zentralisierung, andererseits doch eine gewisse Modernisierung des Landesausbaues. M. blieb immerhin eine eigene Verwaltungseinheit, ab 1931 sogar Teil einer größeren Zeta-Banschaft.

Nach einem 11-Tage-Krieg der Achsenmächte gegen Jugoslawien im April 1941 fiel M. unter das Protektorat Italiens, das sogar die Selbständigkeit M.s ausrufen lassen wollte. Allerdings entwickelte sich auf seinem Boden ein mörderischer Kleinkrieg, als sich ab Sommer 1941 sowohl die kommunistisch geführten Partisanen unter Josip Broz Tito als auch die Četnici unter Draža Mihailović immer heftigere Kämpfe mit den italienischen Okkupatoren lieferten und bald auch gegeneinander Krieg führten. Ab September 1943 traten die Deutschen als Besatzungsmacht auf, konnten die Partisanenkriege aber ebenfalls nicht unter Kontrolle bringen. Schwere Auseinandersetzungen gab es schließlich auch zwischen den montenegrinischen Kommunisten und Nationalisten, die v. a. nach Abzug der Deutschen im Jänner 1945 zu vielen Racheakten führten.

In der neuen, kommunistisch beherrschten Föderativen Volksrepublik Jugoslawien erhielten nach der Verfassung von 1946 M. den Status einer Republik, die M.iner den Status einer eigenständigen Nation (narod), und aus Podgorica wurde die neue Hauptstadt Titograd. Nicht wenige M.iner stiegen – aus der Partisanenbewegung kommend – im zweiten Jugoslawien zu hohen und höchsten Politikerfunktionen auf (wie Milovan Djilas), andere wurden Generäle und Offiziere in der Jugoslawischen Volksarmee. In den 1960er Jahren entwickelte sich dennoch wieder eine patriotische Strömung, die auf einer eigenständigen montenegrinischen Nationalkultur bestand. Zwar festigte die zur Mitte der 1970er Jahre eröffnete Eisenbahnlinie von Belgrad nach Bar die wirtschaftlichen und touristischen Beziehungen zwischen Serbien und M., aber 1989 wurden die sterblichen Überreste des Kg.s Nikola aus Frankreich überführt und unter großer Beteiligung der Bevölkerung auf dem Lovćen beigesetzt.

Da der serbische Präsident Slobodan Milošević 1990 auch in M. seine Anhänger an die Macht brachte und sich 1991/92 viele montenegrinische Freiwillige und Freibeuter am Krieg gegen Kroatien und Bosnien-Herzegowina beteiligten, stimmte im März 1992 eine Mehrheit der M.iner für einen gemeinsamen serbisch-montenegrinischen Staat, der sich ab April 1992 „Bundesrepublik Jugoslawien“ nannte. Nach dem Vertrag von Dayton begannen aber immer mehr M.iner von der Politik Belgrads abzurücken und gaben in der Wahl von 1998 auch dem nach mehr Selbständigkeit strebenden Milo Djukanović den Vorzug gegenüber dem Milošević-Protegé Momir Bulatović. Diese Verselbständigung galt auch für die orthodoxe Kirche, die nun gegenüber dem serbischen Patriarchen die Autokephalie einforderte. Freilich hatten die Kriegsjahre auch ausgedehnten Schwarzhandel und Schmuggel als hartnäckiges Erbe hinterlassen. Als nach dem Sturz von Milošević 2001 die Staatsfrage neuerlich virulent wurde, verblieb M. nur unter dem Druck der Europäischen Union und der USA im Staatsverband mit Serbien. Nach einer Volksabstimmung über die Unabhängigkeit des Staates im Mai 2006 entschied sich eine knappe Mehrheit der Wahlberechtigten für die Loslösung von Serbien. Die Unabhängigkeitserklärung durch das m.inische Parlament erfolgte am 3. Juni 2006.

(II) Wenige Angaben über die Zeitspanne des Mittelalters lassen auf musikalische Einflüsse auf den Küstenbereich M.s aus Italien und Dubrovnik schließen. Angeblich war im 11. Jh. in Kotor ein benediktinisches Skriptorium tätig. Aus dem späten Mittelalter gibt es Angaben über eine Orgel an diesem Ort (1488) und über die ältesten Kirchenbücher, Oktoih, Psaltir u. a., die in Cetinje oder Obod 1494 und 1496 gedruckt wurden. Von dieser Musikkultur zeugen auch sieben in Venedig gedruckte liturgische Inkunabeln aus dem Kloster der Hl. Klara in Kotor (1499–1507), später mehrere im Küstenbereich gebaute Orgeln. Besonders die neuzeitliche montenegrinische Musik ist gekennzeichnet von den Folgen der langen türkischen Okkupation von der Besetzung 1496 bis zur Befreiung und dem Berliner Kongress 1878, als der Anschluss an die europäische Musikkultur unterbrochen oder noch nicht hergestellt war. Die weltliche Musik beschränkte sich in dieser Zeit auf das Volkslied und die Tätigkeit der Gusla-Spieler.

Das allmähliche Aufleben der Musik in M. begann Mitte des 19. Jh.s als Widerhall des Völkerfrühlings der europäischen Nationen. Der serbische Gesangsverein Jedinstvo [Einheit] aus Kotor pflegte in seiner Jh.e alten Tätigkeit vorerst nur Kirchenmusik; später wurde der Frauenchor (1865) und ein Jahr danach das Orchester, das in der Građanska glazba grada Kotora [Stadtorchester von Kotor] (seit 1842) seinen Vorgänger hatte, gegründet. Einen unmittelbaren Ausdruck der nationalen Bewegung bedeutet der 1868 gegründete Leseverein in Cetinje, auf seine Anregung wurde in Cetinje der erste Gesangsverein gegründet, er diente als Vorbild für die Gründung von Lesevereinen in anderen Städten (Podgorica, Nikšić, Bar Ulcinj, Pljevlja); in dieser Zeit und für eine längere Epoche wurde Cetinje zum politischen und auch kulturellen Zentrum M.s (1878–1947), erst nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm Podgorica diese Rolle (seit 1947, 1946 wurde die Stadt vorübergehend in Titograd umgenannt). In dieser Zeit entstand in Cetinje die erste montenegrinische Musikkapelle und in Podgorica die zweite Musikkapelle (1871 und 1889), die zweite arbeitete später mit dem Lehrergesangsverein Gorski vijenac (gegr. 1894) und dem Kirchengesangsverein Njegoš (1909) zusammen. 1866 gründete Jerolim Fiorelli in Kotor die erste montenegrinische MSch. Nach dem Vorbild russischer Kollegien verlief die Musikerziehung am Djevajački institut [Lehranstalt für Mädchen] in Cetinje (1869–1913). An der Wende zum 20. Jh. wurden weitere Gesangsvereine und Blaskapellen auch in anderen montenegrinischen Städten gegründet, auch von Moslems. Die Vereine, die nach dem Ersten Weltkrieg erneuert wurden, waren in der Zwischenkriegszeit Träger des Musiklebens und auch der Anfänge der systematischen Musikausbildung. Für ihre Bedürfnisse entstanden erste Gelegenheitskompositionen allmählich romantischer Orientierung. Die ersten Beiträge schufen Fremde: Anton Šulc, Dionisio de Sarno-San Giorgio, Franjo Vimer und Robert Tollinger. Der ersten Generation montenegrinischer Komponisten gehörte der erste geschulte Musiker Jovan Ivanišević (1860–89) an, Autor von Chorwerken, Klavierminiaturen, Orchesterkompositionen. Er studierte in Prag sowie besonders die zweite Generation montenegrinischer Musiker, der die Chorleiter und Pädagogen Aleksa Ivanović (1888–1940) und Jovan Milošević (1895–1959) angehörten, der zweite auch als Gründer der MSch. 1932 in Cetinje.

Nach 1945 entwickelte sich in dieser Stadt aus der elementaren MSch. eine Mittelschule, 1980 wurde die MAkad. gegründet. Das reproduktive Musikleben konzentrierte sich nach 1949 stärker um Radio Titograd, hier waren mehrere vokale und instrumentale Gruppen tätig. 1959 wurde das für längere Zeit einzige professionelle Ensemble, das Symphonische Orchester erneuert. Das Schaffen stand und steht noch immer unter dem Einfluss der Musikfolklore, das beweist der bedeutendste montenegrinische zeitgenössische Komponist Borisav Taminđić (* 1933), Autor vokal-instrumentaler und orchestraler Werke, von Chorwerken, Kammer- und Filmmusik. Die Volksmusik ist auch für die Werke anderer Autoren kennzeichnend, so Ilija Lakešić, Branko Zenović, Dragan Rakić u. a. Der verbreiterte Kreis der montenegrinischen Komponisten nach dem Zweiten Weltkrieg veranlasste die Gründung des Montenegrinischen Komponistenvereins (1969). Seit 1972 veranstalten sie im Sv. Stefan und in Budva das Festival Dani muzike [Musiktage]. Das musikalische Archivmaterial ist in der nach dem Krieg eröffneten Zentralbibliothek in der Musiksammlung in Cetinje aufgehoben, Werke montenegrinischer Komponisten werden auch im Staatlichen Museum gesammelt.


Literatur
Sp. Gopčević, Gesch. von M. und Albanien 1914; M. Djilas, Der Krieg der Partisanen. Memoiren 1941–1945, 1977; K. Boeckh in H. Roth (Hg.), Studienhb. Östliches Europa 1: Gesch. Ostmittel- und Südosteuropas 1999; M. Hatschikjan/St. Troebst (Hg.), Südosteuropa. Ges., Politik, Wirtschaft, Kultur 1999; F. Bieber (Hg.), M. in Transition. Problems of Statehood and Identity 2003. – MGG 8 (1998) [Serbien und Montenegro]; Muzička enciklopedija 1 (1971) [Crna Gora]; Leks. Jugoslav. Muzike 1984 [Crna Gora]; A. Pogačar in Deset godina Srednje muzičke škole Njegoš [Zehn Jahre der Mittelmusikschule Njegoš] 1957.

Autor*innen
Arnold Suppan
Ivan Klemenčič
Letzte inhaltliche Änderung
21.5.2024
Empfohlene Zitierweise
Arnold Suppan/Ivan Klemenčič, Art. „Montenegro (deutsch für serbisch Crna Gora)“, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 21.5.2024, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001da00
Dieser Text wird unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.


DOI
10.1553/0x0001da00
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