
Musikerverband, Oesterreichisch-Ungarischer
(ab 1911: Oesterreichischer)
1896 gegründete Berufsorganisation für in Österreich (und teilweise auch in Ungarn) tätige Musiker und Musikerinnen.
Der OeUMV ging aus dem vom Wiener Musikerbund 1895 initiierten Ersten oesterreichischen Musikertag hervor, zu dem Delegierte mehrerer österreichischer Städte und Regionen zusammengekommen waren, um eine inhaltliche Programmatik für eine monarchieweit aktive Berufsorganisation zu beschließen. Nach amtlicher Genehmigung der Statuten konnte der Verband seine Tätigkeit zu Neujahr 1896 aufnehmen. Gründungsvorsitzender war J. Mörth, dessen Stellvertreter F. Frank übernahm den Vorsitz 1899 und übergab ihn 1918 an Karl (Carl) Maria Haslbruner.
Allgemeines Hauptanliegen des Verbands war die Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Lage von (Instrumental-)Musiker:innen. Organisatorisch orientierte er sich dabei an der Arbeiter:innenbewegung, ohne jedoch eine offizielle Anbindung an die sozialdemokratisch orientierten Gewerkschaften zu vollziehen. Zentraler Behelf zur Erreichung seiner Ziele war dem OeUMV die Oesterreichisch-Ungarische Musikerzeitung (OeMZ). Besondere Aufmerksamkeit widmete er dabei Berufsmusiker:innen, jedoch unabhängig von deren beruflichen Engagements: Anliegen von Musiker in Theaterorchestern standen gleichberechtigt neben solchen von Werks- und Bergmusikern oder Musiker:innen in Kur- oder Salonkapellen. Um seine Mitglieder vor Konkurrenz zu schützen, inkludierte der OeUMV allerdings auch die große Gruppe der Nebenberufsmusiker:innen in seine Organisation. Ungleich weniger kooperativ verhielt sich der Verband hingegen gegenüber Arbeitsinteressen von Musikerinnen, auch wenn diese seit der Gründung des Verbands satzungsgemäß ausdrücklich in diesen aufgenommen werden konnten. Doch insbesondere die Organisation von Mitgliedern in den weitverbreiteten Damenkapellen gab der OeUMV nach anfänglich zaghaften Bemühungen bald ganz auf. Insofern war der OeUMV an der strukturellen Diskriminierung von Musikerinnen im Musik- und Konzertbetrieb in der späten Habsburgermonarchie maßgeblich beteiligt. Dies stand nicht zuletzt auch in einem engen Zusammenhang mit der erfolgreichen Implementierung eines verbandseigenen Arbeitsvermittlungsbüros („Central-Stellenvermittlungs-Bureau“) – als einem der wichtigsten operativen Instrumente des OeUMV überhaupt: Nachdem das Vermittlungsbüro Ende 1897 erstmals Stellenannoncen in der OeMZ veröffentlicht hatte, etablierte sich dieses bald als zentrale Adresse für stellensuchende Instrumentalmusiker, konnte es doch von Musikern (und theoretisch auch Musikerinnen) wie von Stellengebern kostenlos genutzt werden. Im Unterschied dazu waren Vermittlungsdienste von Theater- und Konzertagenturen, denen Musiker:innen vor der Gründung des Stellenvermittlungsbüros verbreitet ausgeliefert waren, für Stellensuchende in der Regel kostspielig. Voraussetzung für die Nutzung des Stellenvermittlungsbüros war die Mitgliedschaft in einem Verbandsverein, was dem Verband in den Jahren nach 1897 einen Mitgliederschub bescherte. Der massive Zuwachs betraf jedoch nur Musiker, während der ohnehin sehr geringe zahlenmäßige Bestand an Musikerinnen stagnierte und mitunter auch rückläufig war, was einer strukturellen männlichen Dominanz in Orchestern umso mehr Vorschub leistete. Die Leitung der Stellenvermittlung wechselte relativ häufig („höllisches Amt“), einige Amtsinhaber taten sich dabei aber als engagierte Reformer des Arbeitsvermittlungswesens im Musikbereich in Österreich besonders hervor, darunter insbesondere G. Höllering und C. Denk.
In enger Abstimmung mit der Leitung der Zentralstellenvermittlung bemühte sich der OeUMV auch um vielfältige arbeitspraktische Belange wie etwa die Durchsetzung von Tarifreformen oder die Regulierung der Probenarbeit. Zudem betätigten sich der Verband und viele Verbandsvereine auch als Konzertveranstalter und Orchestergründer (darunter waren so bekannte wie jenes des Wiener Concert-Vereins oder das Wiener Tonkünstler-Orchester [Wiener Symphoniker]).
An oberster Stelle der vielfältigen Verbandsagenden stand jedoch die Bekämpfung der Tätigkeit von Militärkapellen in zivilen Musikbereichen. Angesichts der Übermacht seines „Gegners“ konnte der Verband dabei kaum Erfolge erzielen. Allerdings führte dessen anhaltender Konflikt mit der Armee(-Führung) zu Kooperationen mit monarchie- und gesamtstaatskritischen politischen Gruppierungen und Parteien der politischen Ränder. Durch die sukzessiven Erweiterungen des Männerwahlrechts intensivierte sich diese Zusammenarbeit laufend, sodass der anhaltende Konflikt zwischen dem OeUMV und der Armee auch regelmäßig zu militärkritischen parlamentarischen Interpellationen und Petitionen von links wie rechts führte, die an der höchst unbefriedigenden Lage von Zivilmusikern jedoch kaum je etwas zu ändern vermochten.
Um seinen Anliegen insgesamt höhere Durchsetzungs- und Wirkungskraft zu verleihen, strebte der Verband eine möglichst weiträumige Ausdehnung an. Zu diesem Zweck appellierte er immer wieder an Musiker in verschiedenen kleineren und größeren Städten und Orten, Verbandsvereine zu gründen, sodass der OeUMV am Höhepunkt seiner Ausdehnung, im Jahr 1912, über gut drei Dutzend Zweigvereine mit insgesamt rund 3.000 Mitgliedern verfügte. Die Expansion betrieben die Verbandsfunktionäre jedoch nicht wahllos: Organisatorische Zielgebiete waren in erster Linie die Industrieregionen der Monarchie, wodurch ein gewichtiger Schwerpunkt der Organisation in Böhmen, Mähren und Schlesien lag, während zu Wien peripherer gelegene, stärker agrarisch geprägte Gebiete wie etwa die Bukowina gar nicht oder erst deutlich später als organisationsrelevant betrachtet wurden.
Durch die starke Präsenz in den böhmischen Ländern war der Verband stark von internen „Nationalitätenkonflikten“ betroffen. Dies führte 1908 schließlich zu einer Aufspaltung der Organisation in einen deutsch- und einen tschechischsprachigen Verband: Dem OeUMV erwuchs in den böhmischen Ländern seither starke Konkurrenz durch den Svaz hudebníků českoslovanských sídlem v Praze (Tschechoslawischer Musikerbund mit Sitz in Prag; ab 1909 Slovanská hudební Unie [Slawische Musikerunion]). Vor einer organisatorischen Herausforderung stand der OeUMV auch bezüglich der ungarischen Reichshälfte. So verbot der ungarische Innenminister 1898 in Ungarn tätigen Musiker:innen, sich dem OeUMV anzuschließen, was diesen jedoch nicht daran hinderte, inoffiziell zeitweise über mehrere Verbandsvereine auf ungarischem Territorium zu verfügen – an jenem im siebenbürgischen Hermannstadt (Nagyszeben, Sibiu/RO) hielt der Verband sogar bis zum Ende der Monarchie fest. Die Aktivitäten des OeUMV in Ungarn führten 1902 zur Gründung eines ungarischen Musikerverbands (Magyaroszági Zenészek Egyesülete bzw. Országos Magyar Zenész Szövetség [Landesverein Ungarischer Musiker]). Dieser erwirkte 1911 unter Beihilfe der Confédération Internationale des Musiciens (in der beide Verbände Mitglieder waren) nach mehrjährigen Verhandlungen schließlich die Streichung des Wortes „ungarisch“ aus dem Verbandsnamen des OeUMV.
Die unter dem Namen Oesterreichischer Musikerverband weitergeführte Organisation bestand in dieser Form bis zum Ende der Monarchie. Während dann der Name auch in der Ersten Republik beibehalten wurde, veränderte sich die Verbandsstruktur aufgrund der Neuordnung Europas 1919 maßgeblich: Die Verbandsvereine in den böhmischen Ländern mussten aufgrund der Staatsgründung der Tschechoslowakei aus dem Verband austreten und schlossen sich zum (weiterhin deutschsprachigen) Musikerverband in der tschechoslowakischen Republik zusammen. Der Oesterreichische Musikerverband hingegen hatte, in seinem Wirkungskreis nun auf das Territorium der Ersten Republik begrenzt, bis 1934 Bestand; als in der Ersten Republik (wieder) der Sozialdemokratie nahestehende Vereinigung wurde er im Zuge der Verordnung der Bundesregierung vom 12.2.1934 aufgelöst. Dem Verband folgte im Austrofaschismus der Ring ausübender Musiker (auch: Musikerring) nach, den der damalige Vorstand der Wiener Philharmoniker, H. Burghauser, präsidierte.
Literatur
F. Trümpi, Musik als Arbeit 2024; G. Schinko, Über die Produktion von Tönen 2019; B. Mayrhofer in B. Mayrhofer/F. Trümpi, Orchestrierte Vertreibung 2014; MGÖ 3 (1995).
F. Trümpi, Musik als Arbeit 2024; G. Schinko, Über die Produktion von Tönen 2019; B. Mayrhofer in B. Mayrhofer/F. Trümpi, Orchestrierte Vertreibung 2014; MGÖ 3 (1995).
Autor*innen
Fritz Trümpi
Letzte inhaltliche Änderung
9.12.2024
Empfohlene Zitierweise
Fritz Trümpi,
Art. „Musikerverband, Oesterreichisch-Ungarischer (ab 1911: Oesterreichischer)“,
in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung:
9.12.2024, abgerufen am ),
https://www.musiklexikon.ac.at/ml/musik_M/Musikerverband_Oesterreichisch-Ungarischer.xml
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