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Niederlande
Landschaft zwischen Somme und Ems an den Unterläufen der Flüsse Schelde, Maas und Nieder-Rhein; erst ab dem 16. Jh. als „N.“ bezeichnet. Die heutigen N. bzw. Belgien waren im Mittelalter noch ohne feste kulturelle und politische Identität und setzten sich aus mehreren mehr oder minder unabhängigen Fürstentümern zusammen. Im 15. Jh. bestand eine enge Beziehung zu Burgund, im 16. Jh. kamen die N. unter die Verwaltung der Habsburger, doch sagten sich 1572 die Provinzen Holland und Seeland von der spanisch-habsburgischen Verwaltung los, 1579 schlossen sich sieben Provinzen (Holland, Seeland, Utrecht, Gelderland, Overijsel, Friesland und Groningen) zu der Republik der Vereinigten N. zusammen; zusätzlich verwalteten die Generalstaaten die sog. Generalitätsländer, die eine Pufferzone zwischen der Republik und den spanischen N.n bildeten; die Statthalter der einzelnen Provinzen waren alle aus dem Hause Nassau. Die südlichen Provinzen wurden hingegen durch die Habsburger (bis 1713 von Spanien, danach von Österreich aus, daher spanische bzw. österreichische N.) verwaltet. 1795 von Frankreich besetzt, wurden die N. in die Batavische Republik umstrukturiert und 1806–10 in ein Königreich unter Napoleons Bruder Ludwig Napoleon umgewandelt, bis das Gebiet endgültig Frankreich einverleibt wurde. Auf dem Wiener Kongress 1815 wurden die Nördlichen und Südlichen N.ezu einem Königreich unter der Regentschaft des Hauses Oranien-Nassau vereint, doch erfolgte bereits 1830 die Abspaltung der südlichen Provinzen (Errichtung eines unabhängigen Königreichs der Belgier mit engen dynastischen Beziehungen zu den Habsburgern). 1848 wurde in den N.n die erste parlamentarische konstitutionelle Monarchie errichtet. Obwohl sich die N. in beiden Weltkriegen neutral erklärten, wurden sie 1940 von deutschen Truppen besetzt; 1945 erfolgte die Wiedererrichtung der Souveränität. Hauptstadt: Amsterdam.

Über die Musik des Mittelalters ist wenig bekannt, erste Quellen stammen aus der Zeit der Karolinger. Lüttich (Liège/B) als Bischofssitz scheint ein geistliches wie kulturelles Zentrum gewesen zu sein. Stephan v. Lüttich (Bischof 903–920) schuf drei Offizien; Adelbold, um 1000 Bischof von Utrecht/NL, ist der Verfasser des Traktates De musica instrumentali, humanaque ac mundana; um Franco v. Lüttich (um 1050) entstanden mehrere Schriften über Musik und Mathematik. Da viele Handschriften während der Reformation verloren gingen, sind die Quellen sehr spärlich. Nachrichten gibt es von geistlichen Spielen (Osterspielen, Dreikönigsspiel), die sowohl deutsche wie französische Elemente aufweisen. Von den Hofhaltungen ist besonders die des Grafen von Holland, Seeland und Hennegau in Den Haag/NL hervorzuheben, die unter burgundischem Einfluss stand, jedoch nicht an dessen Prachtentfaltung heranreichte; mehrstimmige Werke von Hugo Boy monachus und Th. Fabri sind in diversen Fragmenten (NL-Au 64, NL-Lu 2720 und NL-Uu 18462) überliefert. In den Städten sind ab dem 15. Jh. Spielleute nachweisbar, deren Repertoire in der sog. Gruuthuse-Hs. in Brüssel erhalten geblieben ist. Eine wichtige Rolle spielten die Bruderschaften, die in ihren Kapellen und prunkvoll gestalteten Gottesdiensten wesentlich zur Förderung der mehrstimmigen Musik beitrugen; wurde in den südlichen N.n bereits im frühen 15. Jh. Mehrstimmigkeit gepflegt, setzte sie sich in den nördlichen Provinzen erst im 16. Jh. durch. Hingegen fanden sich in den nordwestlichen Provinzen sog. Zeven-getijden-Kollegien, in denen ab ca. 1450 Stundengebet und Gedenk-Messen von eigens angestellten Geistlichen und Sängern zelebriert wurden; finanziert wurden die Kollegien durch Stiftungen reicher Bürger (mit der Reformation fanden die Kollegien ein Ende). Einen Kontrapunkt zu dieser reichen Kirchenmusikpraxis bildeten die ein- oder zweistimmigen, meist in Landessprache (bzw. Latein) gehaltenen Lieder der Windsheimer Kongregation; diese fanden auch Eingang in das erste gedruckte geistliche Liederbuch (Een suverlick boecxken,Amsterdam 1508); wie schon bei den Windsheimer Liedern findet sich hier das Prinzip der Kontrafaktur (Parodie).

Während es in den nördlichen Provinzen der Republik kaum zur Entwicklung einer höfischen Kultur kam (es gab im 17. und 18. Jh. in einigen der Hofhaltungen kleine Adelskapellen mit ca. 8–10 Musikern, meist deutscher oder italienischer Herkunft), spielte der Hof des Statthalters bzw. der Statthalterin in Brüssel bzw. Mecheln (frz. Malines; Mechelen/B) eine wichtige Rolle sowohl als kulturelles Zentrum des Landes als auch als Vermittler an die Höfe von Wien bzw. Madrid. Sowohl Margarete v. Österreich als auch ihre Nachfolgerinnen Maria v. Ungarn und Margarete v. Parma versuchten in ihren Hofhaltungen an die der Herzöge von Burgund anzuschließen und machten sie zu Zentren der Frankoflamen. Diese Tradition wurde im Barock durch Erzhzg. Leopold Wilhelm fortgesetzt (Infantin Isabella und die letzte Statthalter, Albert und Christine v. Sachsen -Teschen, konzentrierten sich hingegen auf Bildende Kunst); die Hofhaltungen des Bischofs von Lüttich bzw. der großen Adelsfamilien (d’Arenberg, Croy, de Ligne) traten gegenüber denen der Statthalter in den Hintergrund.

Auch die Kirchenmusik spielte in den südlichen katholischen N. eine wichtige Rolle: viele Musiker, die ihre Karriere in den Domschulen und Hauptkirchen des Landes begannen, zählten später an den Höfen Europas zu den führenden Musikern (u. a. die kaiserlichen Hofkapellmeister A. v. Bruck, P. Maessins bzw. J. Vaet), sodass die beginnende Musikgeschichtsschreibung des 19. Jh.s den Begriff des sog. „Zeitalters der Niederländer“ (R. G. Kiesewetter) entwickelte. Die Domschulen blieben bis in das 18. Jh. wesentliche Ausbildungsstätten. Als Antwort auf die protestantischen Choräle entstanden neben der prunkvollen polyphonen Kirchenmusik zur Zeit der Gegenreformation eine große Zahl an Sammlungen mit einstimmigen geistlichen Gesängen (oft Kontrafakturen) in flämischer bzw. französischer Sprache (z. B. Peter Philips, Les Rossignols spirituels, Valenciennes 1616). In den nördlichen Provinzen wurde die Kirchenmusik durch die Reformation vorerst auf den Gesang der Psalmen (auf Basis einer Übersetzung des Genter Psalters) beschränkt und erst im 17. Jh. wurde langsam die Begleitung durch Orgel wieder eingeführt. In den katholischen Kirchen, die zu Beginn der Republik ein Schattendasein führten, war im 16. Jh. nur Musik mit minderer Qualität möglich; erst mit der zunehmenden Zusicherung von Religionsfreiheit im 17. Jh. gab es die Möglichkeit, durch professionelle Ensembles und Laienchöre das Niveau zu heben, das jedoch nie an das der großen Hauptkirchen in den spanischen N.n heranreichen konnte.

Die größte Rolle im Musikleben kam in den nördlichen Provinzen der N. hingegen der Stadt zu: Organisten, Stadtmusikern und Glockenspielern. V. a. die Organisten spielten eine zentrale Rolle: Zwar in den ersten Jahren der Reformation aus dem Gottesdienst verbannt, waren sie mit regelmäßigen Konzerten am Nachmittag oder frühen Abend, der Leitung der städtischen Collegia musica und als Musiklehrer meist wohlhabender Dilettanten ein Hauptträger städtischer Musikkultur; auch der Musikalienhandel lag nicht selten in den Händen der Organisten (wichtigster Vertreter: Jan Sweelinck). Die städtischen Musikanten hingegen starben in der Zeit der Republik zunehmend aus; nur Amsterdam, Haarlem/NL, Leiden und Utrecht beschäftigten noch bis zu Beginn des 18. Jh.s städtische Musiker, Groningen/NL sogar bis in das 19. Jh. Auch die Collegia musica spielten – v. a. in den nördlichen Provinzen der N. – eine wichtige Rolle: Collegien existierten im 17. Jh. fast in allen größeren Städten der N. (z. B. Arnheim/NL, gegründet 1591; Utrecht, gegründet 1628), bestanden aus 5–15 Musikern unter der Leitung des Stadtorganisten und wurden von der Stadt erhalten. Daneben gab es zahlreiche private Collegien, die von wohlhabenden Dilettanten unterhalten und von einem Berufsmusiker geleitet wurden, jedoch meist nur von kurzem Bestand waren. Mit der Entwicklung eines öffentlichen Musiklebens im 18. Jh. schwächte sich die Rolle der Collegia musica ab, die zunehmend zu Konzertvereinigungen umgestaltet wurden. Konzerte wurden hauptsächlich in Amsterdam (erstmals bereits 1643) und Den Haag regelmäßig veranstaltet; der erste Konzertverein war die 1777 gegründete Gesellschaft Felix Meritis, die ab 1788 über einen eigenen Konzertsaal verfügte, weitere Konzertvereine entstanden 1789 in Enkhuizen/NL, 1790 in Maastricht/NL und 1792 in Deventer/NL. In den habsburgischen N.n bildete die Académie Ste Cécile in Mecheln, ein mit dem Van Swieten-Kreis vergleichbarer Musikzirkel, einen wichtigen Vorläufer für das Konzertleben; ab 1750 war Brüssel eindeutig das Zentrum des Konzertlebens (Société des Amateurs de Musique, Société des Grands Concerts, Société Philharmonique), weiters Lüttich(Société d’émulation) und Mons/B (Concert bourgeois).

1650 wurde die erste Oper in Brüssel aus Anlass der Hochzeit Philipps IV. v. Spanien mit Erzhzg.in Maria Anna gegeben: Ulisse nell’isola da Circe von G. Zamponi; 1695 erfolgte die Errichtung eines öffentlichen Opernhauses in Brüssel. Die erste Oper in holländischer Sprache wurde 1678 in Den Haag aufgeführt: De Triomfeerende Min von Carolus Hacquart. Traten die Statthalter in Brüssel nun regelmäßig als Veranstalter musikdramatischer Produktionen in Erscheinung, spielte die Oper in den nördlichen Provinzen bis in das 18. Jh. eine untergeordnete Rolle; das 1638 in Amsterdam errichtete Schauspielhaus diente neben Sprechtheater auch Singspielen und Balletten, die Oper wurde bis in das 19. Jh. nur durch reisende Truppen aus Italien oder Frankreich gegeben.

Die Ausbildung lag in den spanischen N.n bis zum Ende des ancien régime vorwiegend in den Händen der Domschulen, nach 1790 gab es keine institutionelle Ausbildung (begabte Schüler wurden an das Konservatorium nach Paris geschickt) bis zur Gründung einer Königlichen MSch. in Den Haag, Brüssel und Lüttich 1826 (die MSch. in Lüttich wurde 1830 zum Conservatoire Royal, jene in Brüssel 1832); die 1842 in Antwerpen/B gegründete MSch. wurde 1867 zur Flämischen MSch. und 1898 in den Rang eines Konservatoriums erhoben.

1829 wurde die Maatschappij tot Bevordering der Toonkunst gegründet, die sich im Königreich der N. der Ausbildung und der Aufführung von Oratorien, und Chorkonzerten widmete. 1829 wurde in Rotterdam/NL der Musikverein Eruditio Musica unter Carl Mühlfeldt gegründet, in Utrecht das seit 1631 bestehende Collegium musicale unter Johann Hermann Kufferath neu belebt. 1841 wurde das erste Berufsorchester (Maatschappij Caecilia) gegründet. Das Repertoire war stark an deutschen Vorbildern orientiert, nur gering französisch gefärbt; erst um die Mitte des 19. Jh.s gelangten auch Werke von F. Liszt und Rich. Wagner in das Repertoire; parallel dazu begann die Bach-Renaissance. 1884 wurde eine Wagner-Vereinigung gegründet, 1885 brachte H. v. Bülow in einem Gastspiel mit der Meininger Hofkapelle die Werke Fr. Schuberts, J. Brahms’ und A. Bruckners in die N. Mit der Fertigstellung des Concertgebouw in Amsterdam 1888, dem auch ein Berufsorchester angegliedert wurde, war ein wichtiger Grundstein für die Pflege der symphonischen Musik auf international hohem Niveau gelegt (v. a. unter der Leitung von Willem Mengelberg ab 1895). Auch die Gründung der bis heute bestehenden Tijdschrift der Vereeniging voor Noord-Nederlandsche Muziekgeschiedenis 1882 (seit 1995 Tijdschrift van de Koninklijke Vereeniging voor Nederlandse Muziekgeschiedenis) fällt in diesen Zeitraum. Eine königliche Hofmusikkapelle bestand hingegen nur kurz (1820–42) und spielte im Musikleben kaum eine Rolle. Die bisher in den N.n vernachlässigte Pflege der Oper wurde in den 1880er Jahren ebenfalls dem internationalen Standard angeglichen (Hollandsche Opera in der Amsterdamer Schouwburg 1886–94 und Nederlandsche Opera 1894–1903). In Belgien entwickelte sich das öffentliche Musikleben mit etwas Verzögerung; neben einer deutlichen Begeisterung für Rich. Wagner und die Neudeutsche Schule war hier auch der französische Einfluss deutlich zu spüren.

Im 16. und 17. Jh. waren die spanischen N. ein wichtiges Zentrum des Musikdruckes (Notendruck). 1578–1633 wirkte in Douai/F die Familie Bogard, doch war Antwerpen bis in die 1. Hälfte des 18. Jh.s das Zentrum des Musikdruckes in den N.n: Christoffel Plantin, Familie Phalèse, Hendrik Aertssens; ebenso Amsterdam mit Estienne Roger, Pierre Mortier, Le Céne. Gegen Ende des 18. Jh.s verloren die Offizinen jedoch ihre internationale Bedeutung.

Nach der Konsolidierung der Republik der N. kam es gegen Ende des 16. Jh.s zu zahlreichen Univ.sgründungen (Leiden 1575, Franeker, Friesland/NL 1585, Groningen 1614, Amsterdam 1632 und Utrecht 1636), die ebenfalls ein reges Musikleben entwickelten. Musikwissenschaft hielt in den N. erst 1930 mit einem Lehrstuhl an der Univ. Utrecht Einzug.

Nach dem Ersten Weltkrieg, den die neutralen N. im Gegensatz zu Belgien fast unbeschadet überstanden, wurde auch die Moderne ein Teil des Musiklebens der N. Obwohl die deutsche Besatzung 1940–45 das Kulturleben der N. fast völlig lähmte, konnte es sich nach der Befreiung rasch erholen und an das vor 1940 anschließen. Mit dem 1948 gegründeten Holland-Festival bzw. dem seit 1951 stattfindenden Internationalen Orgelimprovisationswettbewerb Haarlem konnten zwei international angesehene Musikfeste ins Leben gerufen werden. In den letzten Jahren sind die N. v. a. durch Spezialensembles für Alte Musik bekannt geworden, wie dem 1979 gegründeten Amsterdam Baroque Orchestra unter Ton Koopman bzw. dem seit 1981 bestehenden Orkest van de Achttiende Eeuw (Frans Brüggen). Belgien verfügt über mehrere Opernhäuser (Brüssel: Théâtre Royal de la Monnaie, Antwerpen bzw. Gent: Opera voor Vlaanderen und Lüttich: Opéra Royal de Wallonie), drei Hauptorchester (Société Phiharmonique in Brüssel, Orchestre Royal de Liège et de la Communauté Française de Belgique und Koninklijk Filharmonisch Orkest van Vlaanderen in Antwerpen). Das Festival van Vlaanderen und das Festival de Wallonie werden seit 1988 durch das Festival Ars musica für zeitgenössische Musik ergänzt.


Literatur
MGG 7 (1997); NGroveD 15 (2001); R. Bragard, Histoire de la musique belge 1946–49; R. Flotzinger in J. Roegiers (Hg.), The Contribution of Austria to European Culture 1996.

Autor*innen
Elisabeth Th. Hilscher
Letzte inhaltliche Änderung
1.11.2016
Empfohlene Zitierweise
Elisabeth Th. Hilscher, Art. „Niederlande“, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 1.11.2016, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001db44
Dieser Text wird unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.


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10.1553/0x0001db44
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