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Offenes Singen
Organisationsform für gemeinsames Singen, v. a. von Volksliedern. Sie wurde im frühen 20. Jh. von der Jugendmusikbewegung entwickelt und durch die verschiedensten Gruppen öffentlich gemacht, besonders durch solche des Nationalsozialismus („Musikschulwerk“, Hitler-Jugend). „Entpolitisiert“ und – im Gegensatz zu Bayern – unter anderen Bezeichnungen lebt O. S. in unterschiedlichen Formen (z. B. Singwochen, volksmusikalische Fernsehreihen, W. Deutsch) auch in Österreich bis heute (2015) weiter. Zunächst war die Pflege des Volkslieds durch Wandervogelgruppen (in Österreich ab 1911) durchaus kritisch (gegen „verstaubte“ Traditionen der Elterngeneration) gemeint und ihr gemeinsames Singen als Mittel der Selbstdarstellung und Mitgliederwerbung verstanden worden, doch kamen die Möglichkeiten der „Volkserziehung“ und Indoktrination der gesamten Bevölkerung unter deutschem Einfluss (Walther Hensel, 1887–1956; Georg Götsch, 1895–1956; Fritz Jöde, 1887–1970) auch hier bereits in den späten 1920er Jahren zum Tragen. Dabei könnten auch Nachwirkungen des Liederbuchs der Deutschen in Österreich von J. Pommer (1884) sowie Aktivitäten der Schulvereine von sog. Grenzlanddeutschen eine Rolle gespielt haben. Singen sollte jedenfalls der „seelischen Erneuerung und inneren Befreiung des Volkstums“ sowie der „Veredelung des völkischen Gemeinschaftslebens“ dienen. Veranstaltungsorte waren sowohl öffentliche Plätze (z. B. Landhaushof in Graz) als auch Räume, Fabrikshallen u. ä. Wichtigste Verbindungsleute nach Berlin waren die Grazer Brüder Kelbetz (s. Abb.).

Vergleichbar in der Form, aber nicht öffentlich in diesem Sinne, sondern von bestimmten Gruppen getragen, waren die 12 von der RAVAG organisierten „Volksliedersingen“ in Bad Ischl (1934, 16 Gruppen mit 51 Teilnehmern), Eisenstadt (1934, 24/145), Payerbach/NÖ (1935, 32/122), Tamsweg/Sb (1935, 21/67), Rattenberg/T (1935, 32/114), Deutschlandsberg (1936, 25/92), Spittal an der Drau (1936, 18/77), Pöstlingberg bei Linz (1936, 30/94), Imst/T und Bludenz (1937, 18/91 bzw. 21/66), Waidhofen an der Ybbs (1937, 29/118), Völkermarkt (1937 (18/81), Göß (1937 (26/73). Alle erwähnten Formen liefern Beispiele dafür, wie leicht Musik politisch zu instrumentalisieren, wie schwer es aber ist, solche „Belastungen“ auch wieder loszuwerden.


Literatur
MGÖ 3 (1995); F. Oberborbeck in Das Joanneum 3 (1940); R. Flotzinger in F. Kadrnoska (Hg.), Aufbruch und Untergang 1981; H. Brenner, Musik als Waffe? 1992; Materialien im Österr. Museum für Volkskunde Wien (Slg. Kotek).

Autor*innen
Rudolf Flotzinger
Letzte inhaltliche Änderung
30.6.2004
Empfohlene Zitierweise
Rudolf Flotzinger, Art. „Offenes Singen“, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 30.6.2004, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001dbc4
Dieser Text wird unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.

MEDIEN
Offenes Singen in der Volkshochschule Innsbruck (Plakat 1978)© ÖNB
© ÖNB

DOI
10.1553/0x0001dbc4
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