In Österreich (z. T. auch in den anderen deutschsprachigen Ländern) gibt es bei den Bezeichnungen „O.“, „Kirchenmusiker“ und „Kantor“ (u. a. im Burgenland üblich, aus ungarischer Tradition) Überschneidungen, wie sie durch die Vielseitigkeit des kirchenmusikalischen Dienstes gegeben sind. O.en sind oftmals zugleich Chorleiter und üben ihren Dienst in hauptberuflicher, frei- oder nebenberuflicher, auch ehrenamtlicher Tätigkeit aus. Abgesehen von Stellen an Kathedralen, in größeren Städten oder Klöstern war der Kirchenmusikdienst bis ins 20. Jh. fast immer mit dem Lehrerberuf („Schulmeister“) verbunden.
Namen von Kantoren sind in österreichischen Klöstern vereinzelt schon im 12. Jh. nachweisbar, von O.en ab dem 14. Jh. Sie waren Mönche, später, in Klöstern oder (meist) Stadtpfarren auch Weltpriester. In Admont wurde 1327, dem Jahr der Resignation des gelehrten Abtes und Musiktheoretikers Engelbert v. Admont, ein O. Johannes genannt, erst nach mehr als einem Jh. Johannes Glaswein († 1443) und ein Magister „Chunradus presbyter saecularis organaedus“. In Wien gab es 1334 einen O.en namens Peter, in St. Lambrecht 1345 den Schulmeister und O.en Ekhard, um 1350 Otto, 1358 Johannes v. Polen, in Saalfelden/Sb 1350 einen „Arigelmeister“ (Orgelmeister), in Klosterneuburg 1394 Wolfhard. Es waren Mönche, später besonders in Städten mehr und mehr auch Weltpriester oder Schulmeister/Lehrer. (Dieses Berufsbild war u. a. für A. Bruckner prägend; auch J. N. David kommt noch aus der Tradition der Verbindung von Lehrer- und O.en-Dienst.) Damit war der Lehrerschaft v. a. auf dem Lande eine bessere soziale Absicherung gegeben als in den Städten, wo sie vom oft geringen und nicht immer regelmäßig erhaltenen Schulgeld und von Naturalien abhängig waren. Dies änderte sich mit dem Reichsvolksschulgesetz von 1869 durch die Angleichung der Lehrerbesoldung an die der Beamten.
1932/33 gab es in Österreich laut der von Josef Gurtner durchgeführten Untersuchung 2.330 O.en/O.innen, die zugleich die Chorleitung ausübten, weitere 514 Personen, die (nur) im Orgeldienst tätig waren, zusammen 2.844, gegenüber 3.114 als „Chorleiter (O.en)“ ausgewiesenen. In dieser Gruppe gab es 103 männliche Angehörige des „geistlichen Standes“ und 55 Schwestern. (Diese Gliederung kann auch als repräsentativ für die 2.844 O.en gelten.) 132 Chorleiter (O.en) hatten eine musikalische Ausbildung an der Staatsakad. in Wien oder am Mozarteum in Salzburg absolviert, 1.556 in den Lehrerseminaren, 432 in privaten MSch.n, 595 im Einzelunterricht, 310 durch Selbststudium. Der Frauenanteil betrug 424 von 3.114 (13,6%). In einer 1984/85 auf freiwilliger Basis durchgeführten Erhebung wurden Kirchenchöre von 1.053 Pfarren erfasst und auch die Namen der O.en/O.innen (in manchen Pfarren zwei oder mehr) dokumentiert. – Von den O.en des 20. Jh.s sei stellvertretend A. Heiller genannt, der für eine neue Aufführungspraxis der Orgelwerke J. S. Bachs in Österreich wie international bahnbrechend war.
Der O. hatte, seit die Orgel im Gottesdienst verwendet wurde, im Wechsel mit dem Gesang (Gregorianischen Choral) „alternatim“ Vorspiele, Zwischenspiele, Nachspiele zu musizieren, anfangs improvisierend, später nach Vorlagen. Eines der frühen Beispiele aus Österreich dafür sind P. Hofhaimers (alternatim-) Orgelverse für das Salve Regina. Im feierlichen Gottesdienst gab es auch Platz für selbständiges Orgelspiel, so am Beginn und am Ende, auch an einzelnen Teilen der Messfeier oder des Offiziums, deren Vollzug durch Riten wie Prozessionen oder Inzens länger dauern konnte, so nach der Epistel, beim Offertorium, zur und nach der Elevation (Toccata per l’elevazione) oder nach der Kommunion. Orgelmusik bildete die musikalische Klammer für den Gottesdienst. Beispiele dafür sind Girolamo Frescobaldis Fiori musicali, die in Österreich u. a. in den Messen-Zyklen Go. Muffats in in den „Versetl“- und Magnificatversen süddeutscher und österreichischer Provenienz ihre Entsprechung haben. Die Mitwirkung der O.en an den Hofkapellen richtete sich nach der jeweiligen Aufführungspraxis mehrstimmiger Musik. Sie bezog sich auf Gottesdienst und weltliche Musikpflege, die einen wesentlichen Teil der höfischen Repräsentation bildete.
Die Orgelbegleitung des Volksgesanges setzte sich zwischen 1650 und 1750 allmählich, Konfessionen übergreifend, durch. Der Typus des Begleitsatzes, bis ins 19. Jh. hinein gelegentlich auch mit Zeilenzwischenspielen („Schnörkeleien“; vgl. auch J. S. Bachs „Arnstädter Choräle“) versehen, hatte sich unter dem Einfluss von Kantionalsatz und Generalbass entwickelt. Die bis dahin vom Kantor ausgeübte Leitung des Gemeindegesanges wurde damit mehr und mehr zu einer Aufgabe des O.en, die in der katholischen Kirche seit der liturgischen Erneuerung durch das 2. Vatikanische Konzil (1962–65) gegenüber der früheren Praxis des Hochamts an Bedeutung zugenommen hat. Nach den geltenden liturgischen Anordnungen soll die Orgel so aufgestellt werden, „dass sie Sängerchor und Gemeinde beim Gesang unterstützen und auch bei reiner Instrumentalmusik gut gehört werden“ kann. Eine der wichtigsten Aufgaben des O.en ist es, „die im Singen bestehende tätige Teilnahme der Gläubigen zu fördern“ (Allgemeine Einführung in das Römische Messbuch Nr. 275 und 63).
Spätestens in der 2. Hälfte des 19. Jh.s erhielt die Orgel auch im öffentlichen Musikleben ihren Platz, in Konzertsälen wurden große Orgeln gebaut. Damit eröffnete sich den O.en ein weiteres Tätigkeitsfeld für Orgelmusik außerhalb der Kirchenräume und als Solisten in Werken für Orgel und Orchester.
Die Ausbildung der O.en erfolgte in den Klöstern, an Pfarrschulen, an den Höfen, dann im Rahmen der Lehrerausbildung oder privat. Auch die bürgerlichen Musikvereine des 19. Jh.s richteten Kurse für Orgel und Chorgesang ein, um die Musikpflege „bis in die einsamste Dorfkirche“ (Statut des Musikvereins für Steiermark, 1821) zu fördern. 1830 wurde in Prag unter Mitwirkung des österreichischen Kultusministeriums eine O.en-Schule gegründet. Zeitweise hatte sie bis zu 300 Studenten aus fast allen Ländern der Monarchie, auch O.en von Synagogen. Zu ihren Absolventen zählen bekannte Musiker wie A. Dvořák, L. Janáček, J. B. Foerster und Eduard Nápravník (als Dirigent des Theaters in St. Petersburg/RUS leitete er zahlreiche UA.en russischer Opern). Die 1890 mit dem Konservatorium zusammengelegte Prager Schule war die bedeutendste Institution dieser Art in der Monarchie und hatte Vorbildwirkung u. a. für die Kirchenmusik-Kurse an St. Anna in Wien. An der seit 1874 bestehenden Regensburger Kirchenmusikschule studierten auch Kirchenmusiker aus Österreich. Die diözesanen Cäcilienvereine (Cäcillianismus) richteten in der Folge in den meisten österreichischen Diözesen Schulen und Kurse ein (s. die von Gurtner dokumentierten Ausbildungsformen). 1910 wurde die kirchenmusikalische Abteilung an der Wiener Staatsakad. gegründet.
Ausbildung im Orgelspiel gibt es heute in den Kirchenmusikschulen und in Kursen, auch in der evangelischen Kirche, an allen kirchlichen und öffentlichen Konservatorien, seit den 1960/70er Jahren auch an vielen MSch.n. An den Universitäten für Musik und darstellende Kunst kann das Orgelstudium in drei verschiedenen Studiengängen absolviert werden: in Musikpädagogik, als künstlerische Ausbildung im Fach Orgel („Konzertfach“, Instrumentalstudium) und in der Studienrichtung für katholische und evangelische Kirchenmusik. Das Kirchenmusikstudium hat im Unterschied zum Instrumentalstudium des Faches Orgel einen Schwerpunkt in der Improvisation und im liturgischen Orgelspiel, um auf die Aufgaben im Gottesdienst heute, auf die besondere Obsorge für das außerhalb des Kirchenraumes kaum mehr übliche gemeinschaftliche Singen der Gemeinde vorzubereiten und die improvisatorischen Fähigkeiten zu entwickeln. Voraussetzungen für den Beruf sind musikalische und liturgische Kompetenz. Viele Studierende verbinden die Kirchenmusikausbildung mit Pädagogik oder/und mit dem Instrumentalstudium Orgel.
J. Gurtner (Hg.), Die katholische Kirchenmusik im Lichte der Zahlen 1936; A. Krause in SK 21 (1973/74); F. Fleckenstein (Hg.), Gloria deo pax hominibus. Fs. zum 100-jährigen Bestehen der Kirchenmusikschule Regensburg 1974; J. Trummer in SK 25 (1977/78); J. Trummer in Ch. Wolff (Hg.), [Fs.] M. Schneider 1985; J. Trummer, Kirchenchöre Österreichs 1987; MGÖ 1 (1995); Th. Reuter, Evangelische Kirchenmusik in Österreich. Studien zu ihren Organisationsformen und Persönlichkeiten im 20. Jh., mit besonderer Berücksichtigung des Wirkens von Egon Hajek, Diss. Wien 1995; J. Hora in H. Kronsteiner (Hg.), [Fs.] H. Haselböck 1998; F. K. Praßl in SK 50/3 (2003).