Die Ausgangsbasis für die Entstehung der französischen O. und der italienischen Sinfonia bildete wahrscheinlich die venezianische Operneinleitung aus einem ruhigen Teil und einem bewegten, oft imitatorisch aufgebauten Abschnitt, die gelegentlich durch einen dritten Teil ergänzt wurde, wie sie seit Mitte des 17. Jh.s bei F. Cavalli (Giasone 1649), Pietro Franceschini (Arsinoe 1677) oder M. A. Ziani (Schiava fortunata 1674) präsent ist. Der Begriff O. scheint zuerst in Frankreich auf, im Ballet de Mademoiselle (1640) und Ballet des Ruës de Paris (1647) als Bezeichnung für ein zweiteiliges instrumentales Eröffnungsstück nach dem Temposchema langsam – lebhaft. Als Formtypus mit einem langsamen Teil in punktiertem Rhythmus, einem schnellen, oft imitatorisch gearbeiteten zweiten Satz und einem langsamen Schlusssatz kristallisierte sich die O. mustergültig bei Jean-Baptiste Lully heraus (vgl. die O. zur Pariser Aufführung des Serse F. Cavalli, 1660); eine nachhaltige Wirkung erzielten Lullys O.n auch außerhalb Frankreichs in der Zeit nach ca. 1680, v. a. als Eröffnungssätze der aus Balletten und anderen Kompositionen zusammengestellten Opernsuiten. Gegen Ende des 17. Jh.s wurde die O. auch als Eröffnungssatz zur selbständigen Orchestersuite (Ge. Muffat, J. J. Fux) verwendet, wobei diese Bezeichnung oft auf eine ganze Suite übertragen wurde (J. S. Bach, O.n BWV 1066–1069).
Die Hauptmerkmale der dreiteiligen (neapolitanischen) italienischen Sinfonia, deren frühestes Beispiel die Sinfonie zu A. Scarlattis Tutto il mal non vien per nuocere (ca. 1685, Erstfassung Rom 1681) darstellt, sind die Tempoabfolge schnell – langsam – schnell mit einem (häufig) konzertanten ersten Satz, einem langsamen kantablen Satztyp und einem Menuett oder einer Gigue. Unabhängig von der Bezeichnung zeichnen sich die instrumentalen Einleitungssätze jedoch durchgehend durch eine enorme Vielfalt an formalen Lösungen, Anzahl der Sätze oder auch Besetzungen aus, die generalisierende Aussagen nur begrenzt möglich macht.
In der Wiener Oper lassen sich um und nach 1700 verschiedene Bezeichnungen wie Sonata (P. A. Cesti, Il pomo d’oro 1667, F. T. Richter, Le Promesse degli dei 1697), Intrada, Preludio (vgl. G. Bononcinis La Fede Publica, L’Euleo Festeggiante 1699, Caio Gracco 1710, Muzio Scevola 1710, Alessandro in Sidone 1737, sowie G. Reutters d. J. La Magnanimità di Alessandro 1729), auch Entrée (wiederholt bei F. Conti) finden, wobei die Begriffe O. und Sinfonia nach 1700 überwiegen. Nach 1720 tritt die O. in der Wiener Oper jedoch nur vereinzelt auf (J. J. Fux’ Psiche 1720 und 1722, G. Porsiles Scipione Affricano, il Maggiore 1730). A. Caldara bezeichnete die Einleitungssätze zu seinen Wiener Opern (1716–36) dagegen fast immer als Introduzione. Trotz der zeittypischen Verschmelzung der beiden Typen um und nach 1700 weisen diese gewisse charakteristische Merkmale auf. In den O.n finden sich neben dem erhabenen ersten Satz im punktierten Rhythmus oder den fugierten Teilen regelmäßig Abschnitte für Oboen bzw. Bläsertrio mit zwei Oboen und Fagott nach dem Vorbild Lullys (vgl. z. B. die O.n zu A. Bononcinis Arminio 1706, G. Bononcinis L’Etearco 1707) oder Hörner (Corni da caccia; G. Bononcinis Endimione, 1706). In den Sinfonien überwiegt dagegen der vierstimmige Tutti-Satz mit Holzbläsern als verstärkenden Instrumenten. Caldara übertrug das Bläsertrio jedoch auch in die Introduzioni seiner Oper (Ormisda 1721, Gianguir 1724, Don Chisciotte in corte della Duchessa 1727 u. v. a.). Ähnlich wurde auch die italienische Concerto grosso-Praxis nach dem Vorbild Alessandro Stradellas vorzugsweise in den Sinfonien angewendet, und zwar entweder als Besetzungstypus eines ganzen Satzes (vgl. den dritten Teil der Sinfonia zu M. A. Ziani, Flora 1706, für Concertino 4 Violini e Violoncello solo) oder aber abschnittsweise als Passagen für Concertino, Choro piccolo (J. J. Fux, Gli ossequi della notte 1709) oder Violini soli im Rahmen der Tutti-Besetzung.
Hand in Hand mit dem Rückgang der O. um 1720 setzte sich in der Wiener Oper jedoch die (meist) dreisätzige neapolitanische Sinfonia durch, mit dem ersten Allegro-Satz, der häufig Abschnitte mit konzertanten Instrumenten bringt, einem langsamen und kantablen Mittelsatz (oft für eine kontrastierende Besetzung ohne Oboen bzw. Fagotte) und einem (oder mehreren) Tanzsätzen, am häufigsten Menuett, Gigue oder Aria als Schlusssatz.
Diesem Wandel entsprachen auch Veränderungen im Instrumentarium, das sich von der ursprünglichen Klangvielfalt mit häufig angewandtem antiphonalem Wechsel zwischen den kontrastierenden Klanggruppen zum vierstimmigen tutti-Orchester entwickelte. Nach 1716 (Fux’ Angelica vincitrice d’Alcina, Intrada und vorzugsweise bei Caldara) wurden zahlreiche Einleitungssätze für doppelchörige Trompetenensembles mit Pauken und Tutti-Orchester bestimmt; darüber hinaus setzte Caldara in seinen Introduzioni abschnittsweise oft konzertante Instrumente wie Trompeten (Venceslao, 1725, Caio Fabbrizio, 1729, Achille in Sciro, 1736), Violine, Violoncello sowie auch Bläsertrio ein, ähnlich wie später auch G. Reutter (La Speranza Assicurata, 1736, Intrada). Die vermehrte Verwendung von verschiedenen obligaten Instrumenten sowie die Anwendung des konzertierenden Prinzips und der Doppelchörigkeit führten u. a. dazu, dass die Einleitungssätze zunehmend an Länge und Gewicht gewannen.
Der meist schematisch normierte Ablauf der Sinfonia und ihre inhaltliche Unabhängigkeit vom eigentlichen Drama hatten zur Folge, dass mehrere Theoretiker (Johann Mattheson, Kern melodischer Wissenschaft, 1737, Johann Adolf Scheibe, Der critische Musicus 21745, Johann Joachim Quantz, Versuch einer Anweisung, die Flöte traversière zu spielen 1752) sowie auch Ch. W. Gluck (1769, 1770, Vorreden zu den Ausgaben von Alceste und Paride e Elena) nach einer inhaltlichen Beziehung zwischen O. und Oper verlangten. Diese Tendenzen kommen zuerst bei Jean-Philippe Rameau (Zaïs 1748, Naïs 1749, Platée 1745) zum Tragen, in weiterer Folge entwickelte Gluck in Iphigénie en Aulide die sog. ouverture descriptive. Da Gluck die O.n zu seinen Opern auch nach 1769 austauschte, bleibt die Beziehung zwischen der O. und dem Drama jedoch fraglich. Das Streben nach der Darstellung außermusikalischer Inhalte, die sowohl die Sinfonia als auch die O. gleichermaßen betraf, beeinflusste offenbar maßgebend die Entwicklung der einsätzigen O. mit häufig eingesetzter langsamer Einleitung zu Beginn (vgl. zuerst W. A. Mozarts Don Giovanni 1787 Prag, und danach alle seine späten Opern). Einen Sonderfall stellt die Einleitung zum Oratorium Die Schöpfung (1798) von J. Haydn mit der Überschrift Die Vorstellung des Chaos dar, die einen integralen Teil des „Dramas“ bildet.
Seit dem späten 18. Jh. entstand im Bereich der O. eine rege Wechselbeziehung zwischen Theater- und Konzertbühne. Zahlreiche Opern-O.n (G. F. Händel, J. Mysliveček, Mozart, L. Cherubini, L. v. Beethoven Leonore III) und Schauspiel-O.n (Beethovens Coriolan op. 62, 1807, Egmont op. 84, 1809/10, Fr. Schuberts Rosamunde D 797, 1823) wurden selbständig im Konzertsaal gespielt; Mozart bearbeitete die O. zu Il Re pastore (und wahrscheinlich auch andere O.n seiner Jugendopern) zu Sinfonien um; die O. zu der ersten italienischen Oper Mozarts La finta semplice existierte dagegen zuerst als viersätzige Sinfonie (KV 45). Bei der im 19. Jh. ausgereiften und für den Konzertsaal bestimmten Konzert-O. handelt es sich entweder um die von der Programmmusik unabhängige Konzert-O. (L. v. Beethoven, Die Weihe des Hauses op. 124, 1822, J. Brahms, Tragische O. op. 81, 1880) oder aber um die programmatische O., wie sie zuerst von Felix Mendelssohn Bartholdy geschaffen wurde (Ein Sommernachtstraum op. 21, 1826, Die Hebriden op. 26, 1830/32 u. a.). In der italienischen und französischen komischen Oper oder Operette (Vincenzo Bellini, Ga. Donizetti, Daniel-François-Esprit Auber, A. Lortzing, Joh. Strauss Sohn) wurde die beim Publikum überaus beliebte sog. Potpourri-O. als Zusammenfassung der wichtigsten Musikzitate oder Nummern des jeweiligen Werkes vorangestellt, wobei dieser Typus bis in die Gegenwart im Musical überlebte.
Nach 1850 verlor die O. allmählich an Bedeutung und wurde durch die Symphonische Dichtung ersetzt (F. Liszt) oder aber gelegentlich als einsätziges Instrumentalstück für festliche Anlässe komponiert. Rich. Wagner in seinen späten Opern und nach ihm G. Verdi, R. Strauss (Rosenkavalier 1911) oder F. Schmidt (Notre Dame 1914) ersetzten die formal geschlossene O. durch ein dramatisch motiviertes und symphonisch frei gestaltetes Vorspiel (Preludio, Prélude, Einleitung). Im Gegensatz zum allgemeinen Rückgang der O. bei nur wenigen greifbaren Belegen (vgl. etwa die O. brillante, 1988, von K. Rapf) in der kompositorischen Praxis bildet die Opern- sowie Operetten-O. (Joh. Strauss Sohn, F. v. Suppé, C. Millöcker u. a.) seit dem späten 18. Jh. bis heute (2004) einen wichtigen Bestandteil der Konzert- und (seit den 1930er Jahren) Rundfunkprogramme; in Form von Bearbeitungen stellt sie einen fixen Repertoirebestandteil von militärischen Blaskapellen (Blasorchester, Militärmusik) u. ä. dar.
MGG 7 (1997); NGroveD 18 (2001) [Overture]; J. Mattheson, Das neu-eröffnete Orchestre 1713; J. Mattheson, Kern melodischer Wissenschaft 1737; J. A. Scheibe, Der critische Musikus 21745; J. J. Quantz, Versuch einer Anweisung, die Flöte traversière zu spielen 1752; G. Schilling, Encyclopädie der gesammten musikalischen Wissenschaften 5 (1837), 321–330; E. Hanslick, Gesch. des Concertwesens in Wien 1869 (ND 1979); A. Heuss in SIMG 4 (1902/03); H. Botstiber, Gesch. der O. und der freien Orchesterformen 1913; R. Tenschert in MozartJb 2 (1924); C. Floros in StMw 26 (1964); H. Hell, Die Neapolitanische Opernsinfonie in der 1. Hälfte des 18. Jh.s: N. Porpora – L. Vinci – G. B. Pergolesi – L. Leo – N. Jomelli 1971; Seifert 1985; S. Steinbeck, Die O. in der Zeit von Beethoven bis Wagner 1973; M. Danckwardt, Die langsame Einleitung. Ihre Herkunft und ihr Bau bei Haydn und Mozart 1977; E. Hintermaier in Mozart Studien 1 (1992); St. Kunze, Die Sinfonie im 18. Jh. Von der Opernsinfonie zur Konzertsinfonie 1993; W. Gersthofer in Mozart-Studien 5 (1995); MGÖ 1–3 (1995).