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Popmusik
Bezeichnung für eine Musikrichtung, abgeleitet von „Popularmusik“ und „populäre Musik“, die oft auch synonym verstanden werden. Ihre Bedeutung im alltäglichen Sprachgebrauch zeichnet sich allerdings durch Ungewissheit aus. Sehr spezifische Ausprägungen wie der auf ein jugendliches Fernsehpublikum maßgeschneiderte Video-Pop (Videoclip) können damit genau so gemeint sein wie der umfassende Bereich aller Spielarten populärer Musik. P. und die akademische Bezeichnung Popularmusik sind unglückliche Übersetzungen des englischen Popular Music, was v. a. in den USA eine andere Bedeutung hat als hierzulande. Der bei uns bisweilen mitgemeinte Gegensatz zwischen elitär und populär, zwischen (Hoch-)Kultur und (tendenziell kulturloser) Unterhaltung ist in den USA nicht üblich. Stärker als in Europa interessieren sich in den USA gesellschaftliche Eliten nicht nur für Werke der sog. Tonkunst, sondern zeichnen sich durch einen breiten Musikgeschmack aus, der auch populäre Musik einbezieht.

Schon 1985, bevor elektronische Musik breitenwirksam wurde, sahen sich Peter Wicke und Wieland Ziegenrücker in ihrem Sachlexikon Popularmusik mit „einer verwirrenden und kaum noch überschaubaren Vielfalt von Erscheinungsformen“ populärer Musik konfrontiert. Auf wenigen Seiten jenes Stilfeld umfassend zu beschreiben, das in den vergangenen 100 Jahren gut 90 % der gesamten Musikproduktion ausmachte, wird nicht gelingen. Hier kann nur versucht werden, die groben Linien jenes sozialen Phänomens nachzuzeichnen, das als P. bezeichnet wird.

In den USA war „Popular Music“ ursprünglich eine Sammelbezeichnung für die meistverkauften Musiktitel, also nicht ein stilistisches Merkmal, sondern ein Etikett für das, was am Musikmarkt zur jeweiligen Zeit die größte Aufmerksamkeit fand. Verkompliziert wurde der Sachverhalt, als sich in den 1970er Jahren die Kurzform „Pop“ für das eher kommerzielle, nicht so „kritische“ Element populärer Musik einbürgerte, oft als gedachter Gegensatz zu „Rock“. Heute (2004) ist diese Unterscheidung nicht mehr üblich. Der P. -Diskurs im Wissenschaftsbetrieb trug im Endeffekt wenig zu einer Verbindlichkeit der Begriffe bei, eine unumstrittene, immer und überall gültige Definition populärer Musik ist nicht (mehr) zu finden. Die lange Zeit in Wissenschaft und Presse nicht hinterfragte Verwendung von „Popular Music“ als Oberbegriff aller massenhaft produzierten und verbreiteten Musikformen, oft auch als Gegenbegriff zu „Classical Music“, wurde ab den 1960er Jahren zunehmend kritisch diskutiert, was auch dazu führte, dass heute bisweilen eine verbindliche Definition populärer Musik bewusst verweigert wird, mit dem Hinweis, es handle sich dabei um einen strategischen Begriff, der jeweils genau das beschreibe, was er beschreiben soll. Nichtsdestoweniger gab und gibt es immer wieder unterscheidbare Gebrauchsweisen bzw. Versuche der Zuordnung von Eigenschaften. Nach Rösing (2001) lassen sich acht derartige Definitionsansätze unterscheiden: normative, negative, musikstrukturelle, technologisch-ökonomische, hörerorientierte, soziologisch-funktionelle, interessenbezogene und pragmatische Definitionsansätze. Zweit- und drittgenannte Ansätze lassen sich als Bestimmungsversuche nach (formalästhetischen) Eigenschaften des Objektes beschreiben. Sie stehen jenen Forschungen gegenüber, die auf die „Karriere“ einer Musik fokussieren, also den Gebrauch bzw. die Rezeptionsweise als Kriterium sehen. Die pragmatischen Ansätze wiederum können als Versöhnungsversuche dieses Gegensatzes gesehen werden. Weitgehend unbestritten ist heute, dass gesellschaftliche und handlungsbezogene Qualitäten berücksichtigt werden müssen, wiewohl diese nicht exklusives Merkmal populärer Musik sind.

In der Frage, was dem Bereich „populäre Musik“ zuzuschreiben sei, lehrt der historische Blick, dass für kein kulturelles Phänomen eine mögliche Popularisierung a priori auszuschließen ist. So wird es sinnvoll sein, das Feld möglichst umfassend zu beschreiben, denn eine Feststellung von Popularität kann ohnehin immer nur zeitpunktbezogen sein, da gerade in diesem Bereich kulturelle Moden eine große Rolle spielen. Die Position musikalischer Stilfelder auf der gedachten Strecke zwischen elitär und populär unterliegt permanenter Veränderung. Volksmusik wird heute auf dem Weltmarkt schnell zu „World Music“ und als solche – ebenso wie der Jazz – eher als „Qualitätsmusik“ bewertet. Viele Werke der „Tonkunst“ wiederum sind heute populärer als Musikstücke, die ursprünglich zur Unterhaltung der Massen gedacht waren und tauchen aufgrund ihrer Wirksamkeit in funktionalen Zusammenhängen auf.

Die entscheidende Abgrenzung gegen Volksmusik gelingt, wenn Merkmal bzw. Bedingung der Möglichkeit populärer Musik ein Massenmarkt ist, der sich vermittelnd (und trennend) zwischen Produktion und Rezeption schiebt und somit eine Arbeitsteilung und die fixen Rollen Produzent/in und Konsument/in festschreibt. Massenmediale Verbreitung als Bedingung der Möglichkeit von Popularität wiederum setzt eine Standardisierung der Musik voraus, also das „Einfrieren“ der musikalischen Aufführung in Form verbindlicher Vorgaben wie Notationen oder Tonträger. Das Einbeziehen eines antizipierten oder präsenten Publikums ist v. a. in Abgrenzung gegen elitäre Musik ein konstitutives Element populärer Musik, sei es über den Wunsch zu gefallen, sei es über die Ermöglichung von Interaktion wie Tanzen oder Mitsingen. Nicht zwangsläufig geht das mit der Aufgabe künstlerischer Autonomie einher, da die Intention massenhafter Rezeption im Bereich der Vermittlung genauso angesiedelt sein kann wie im Bereich der Produktion. So ist immer wieder zu beobachten, wie ursprünglich nicht populäre Musik (wie z. B. ein Volkslied oder eine Klaviersonate) über Umwegen Massenwirksamkeit erlangt.

Populäre Musik ist ein typisches Phänomen von Gesellschaften mit stark entwickelter Arbeitsteilung und klarer Trennung von Produktion und Konsum. Sie ist also ein Produkt der Moderne, ein Kulturgut, das in der Regel professionell produziert, auf Massenmärkten verkauft und über Massenmedien reproduziert wird. Große Bedeutung haben daher neben künstlerischen Interessen wirtschaftliche Notwendigkeiten, sofern Produktion und Vermittlung von einer Musikindustrie nach dem Gesetz der Ökonomie der hohen Absatzzahlen betrieben werden. Produktionen aus dem Bereich populärer Musik machen heute etwa 90 % des Gesamtrepertoires im weltweiten Tonträgermarkt aus, der von den drei multinationalen Schallplattenkonzernen Universal, Sony/BMG und EMI/Warner dominiert wird.

Massenproduktion erfordert Industrialisierung und Arbeitsteilung, massenhafte Vermittlung erfordert das Erschließen von Vertriebswegen, massenhafte Rezeption erfordert die Nivellierung von Lebensbedingungen und Konsumbedürfnissen. Da letzteres nur bedingt möglich ist, ist das Musikgeschäft ein sehr risikoträchtiger Industriezweig. Nur die allerwenigsten Werke erfahren eine große Zuhörerschaft, 80–90 % aller veröffentlichten Tonträger verkaufen zu geringe Stückzahlen, um ihre Produktionskosten wieder einzuspielen. Die Musikindustrie versucht bedarfsorientiert zu entwickeln, obwohl ein solcher Bedarf schwer abzuschätzen ist. Trotz großen Werbeaufwands ist nie vorhersehbar, wie „die Masse“ reagieren wird. Zwar sind bestimmte musikalische Merkmale identifizierbar, die in der Regel ein Musikstück enthält, das ein sehr großes Publikum findet. Weitaus größer ist jedoch der Anteil variabler Gestaltungsformen, die im Endeffekt dafür verantwortlich sind, dass ein Musikstück überhaupt Aufmerksamkeit erfährt und aus dem Überangebot an Veröffentlichungen herausragt. Die Wege, die dazu führen, dass musikalische Information viele Menschen verbindet, dass sie ein gemeinsames Lebensgefühl ausdrückt, diese Wege verlaufen oft verschlungen und unvorhersehbar. Populäre Musik ist also weniger Massenmanipulation als vielmehr das Ergebnis eines demokratischen Aushandlungsverfahrens und in seinen verschiedenen Ausprägungen ein Mosaikbild des Musikgeschmacks einer Gesellschaft. Kulturpessimistische Bewertungen als Massenbetrug im Gewand scheinbarer Aufklärung haben sich hier als überzeichnet erwiesen.

Das Geheimnis der Beständigkeit populärer Musik trotz dieses hohen Risikofaktors liegt in ihrer Anpassungsfähigkeit. Im Gegensatz zur „klassischen“ Musik, die sich weitgehend auf möglichst „authentische“ Darbietung eines abgeschlossenen Kanons konzentriert, war es von Beginn an ein Kennzeichen populärer Musik, tradierte Formen den aktuellen Gegebenheiten entsprechend zu adaptieren und um Neukompositionen zu erweitern. Dieser entspannte Umgang und das Fehlen von Zugangsbarrieren haben wie in einer Wellenbewegung die Entwicklung nach einem beständig sich wiederholenden Ablaufschema vorangetrieben: Am Beginn steht – oft in der Folge sozialer Bewegungen – die Hybridisierung zweier eigenständiger Stile und deren Aufhebung in einer neuen Form. Diese wird in einer relativ kurzen kreativen Hochblüte intensiv in relativ kleinem Kreis gepflegt, von der Presse mit einem Etikett versehen und zum „Next big thing“ ausgerufen, um dann von findigen Geschäftsleuten unter entsprechenden Konzessionen für einen Massenmarkt aufbereitet zu werden. Gelingt diese Popularisierung bis zur Allgemeinverständlichkeit, verlieren die „Early adopters“ zusehends das Interesse und wenden sich neuen Entwicklungen zu. Populäre Musik bleibt also immer als Diskussionsthema aktuell, wenn auch beständig in veränderter Form. Wenn massenhafte Rezeption das entscheidende Merkmal populärer Musik ist, was in der Regel wiederum nur über massenhafte Vermittlung und Massenproduktion möglich wird, ergibt sich die Entwicklungsgeschichte populärer Musik aus ihrer Mediamorphose. Die Möglichkeit des Notendrucks war zu Beginn des 19. Jh.s ein entscheidender Schritt, genau so wie später die Entwicklung elektrischer und elektronischer Speichermedien (Tonträgerproduktion) und Übertragungsgeräte. Der technische Fortschritt der Massenmedien wiederum ergibt sich aus entsprechenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, was die Vorreiterrolle Europas und der USA in dieser Hinsicht erklärt. Als Folge musikindustrieller Risikominimierung durchlief populäre Musik auch in ihrer Warenform eine Reihe von Neuformatierungen als Anpassung an jeweils gebräuchliche Vermittlungsformen: Gedruckte Noten, Schellack-Schallplatten, Vinyl-Singles, Vinyl-LPs, Tonbänder, Videobänder, CD, MP3, DVD. Auf der Produktionsseite spielen seit den 1960er Jahren elektrotechnische Apparaturen und deren Beherrschung eine große Rolle. Tontechniker und „Produzenten“ schaffen einen eigenen „Sound“, der die einzelnen Stücke wie eine Aura umgibt und dem Tonträger so etwas wie eine klangliche Trademark mit hohem Wiedererkennungswert schafft. Das ist ein einzigartiges Merkmal populärer Musik, das durch Produktionen der Beatles und von Beach Boys-Mastermind Brian Wilson erstmals um 1967 hohen Stellenwert erlangt hat. Seither sind Tonträger in der Regel nicht nur originelle Abbildung lebender Vermittlung, sondern als eigenständige Ausdrucksform zu betrachten.

Die musikalischen Grundlagen populärer Musik reichen Jh.e zurück. Die Möglichkeit massenhafter Verbreitung und somit des Erlangens von Popularität war jedoch bedingt durch das Finden eines Wegs, das flüchtige Medium Musik festzuhalten und kostengünstig zu reproduzieren. Die Entwicklung populärer Musik ist aufgrund ihrer Gebundenheit an gesellschaftliche Rahmenbedingungen regional unterschiedlich verlaufen. In England, dem Pionierland der industriellen Revolution, waren die Voraussetzungen für Popularisierung von Musik früher gegeben als anderswo. Als Entstehungszeit lässt sich demnach das 18. Jh. angeben, mit beginnender Industrialisierung der Gesellschaft und Öffnung der nötigen Kommunikations- und Distributionskanäle sowie gesellschaftlichen Nivellierungen und damit höherer kultureller Durchlässigkeit zwischen den einzelnen sozialen Schichten. Die darauf massiv einsetzende Landflucht zog einerseits urbanes Kultur- und Freizeitleben im öffentlichen Raum nach sich, andererseits auch Hausmusik im Kreis der Familie. Populäre Musik entwickelte sich zuerst als spezielle Ausdrucksform des Geschmacks und der Interessen der wachsenden städtischen Mittelklassen, anfangs vorwiegend in Form von Ballmusik und musikalischer Lustspiele sowie für den Hausgebrauch popularisierter Klavierauszüge aus klassischer Musik und Volksmusik. Gleichzeitig etablierten sich von Wien ausgehend in den großen Städten Europas große Tanzsäle zum Zwecke der Abendunterhaltung, wo Galopp, Quadrille und später v. a. Walzer und Polka gepflegt wurden. J. Lanner und die Strauß-Familie wussten diesen Bedarf zu nutzen und prägten bald mit ihren Werken die Bälle, Tanzabende und Platzkonzerte. V. a. Joh. Strauß Sohn wurde zum Star und bestritt 1872 in den USA eine umjubelte Konzertreise. Größter „Hit“ dabei war das Faschings-Spottlied An der schönen blauen Donau, das als erstes Musikstück der Geschichte mit der Bezeichnung Schlager versehen wurde. Gleichzeitig entwickelte sich aus der Militärmusik immer stärker ein ziviles Blasmusikwesen, und Kapellen, die bei Umzügen und Platzkonzerten Märsche und Ouvertüren zum Besten gaben, waren sehr beliebt. Auch das Repertoire des Musiktheaters erfuhr im 19. Jh. große Popularität, wobei Sängerinnen wie J. Lind mit Arienkonzerten zu Stars wurden und Klavierauszüge sowie Walzer-Arrangements bekannter Themen reißenden Absatz fanden. Mit steigendem Einfluss von G. Verdi und Rich. Wagner verlor dann die Oper an Massenwirkung, und so etablierte sich die Operette als populäre Form des Musiktheaters. Trotz aller Popularisierung blieb das jedoch die Musik des Bürgertums, während sich die Arbeiterschaft in Trinkhallen („Music halls“) unterhielt, wo auf einer Bühne aktuelle Begebenheiten auf unterhaltsame Weise besungen wurden. Einfache mitsingbare Themen sowie Bedachtnahme auf Publikumserfolg und die zentrale Rolle der InterpretInnen waren typische Merkmale dieser Musik, was sie deutlich als Vorläuferin heutiger P. ausweist. Ab Mitte des 19. Jh.s machten sich in Europa amerikanische Trends populärer Musik bemerkbar: die Minstrel Shows, die Cakewalk- und Twostep-Märsche von John Philip Sousa u. a., Tango, Ragtime und Foxtrott. Mit dem Ende des Habsburger-Weltreiches verlor der Wiener Walzer endgültig seine Vormachtstellung im Feld populärer Musik, und amerikanische Einflüsse dominierten ab nun völlig das Geschehen. Dixieland-Jazz löste erstmals auch in England einen Tanzboom aus und ebnete den Weg für Charleston, Black Bottom und Quickstep. London entwickelte sich zur zweiten Musical-Hauptstadt nach New York, lange vor K. Weills Dreigroschenoper. Großen Einfluss hatte auch die Entwicklung des Tonfilms, der professionellen Musikschaffenden ein neues Aktionsfeld öffnete.

In den 1930er Jahren entwickelte sich in den USA aus „schwarzem“ Jazz und „weißen“ Schlagern der Swing, der – von Bigbands dargeboten – einen Siegeszug um die Welt antrat und weiße wie farbige Orchesterleiter (Benny Goodman und Glenn Miller bzw. Duke Ellington und Count Basie) zu Stars machte. Die Rassentrennung wurde hier noch strikt eingehalten, mit stärkerer Betonung des Schlagersounds (Sänger: Frank Sinatra) bei den „weißen“ bzw. der Jazzwurzeln (Sängerin: Billie Holiday) bei den „schwarzen“ Orchestern. Gleichzeitig hatte sich im Süden der USA aus einem Amalgam alter Musiktraditionen britischer Einwanderer Country Music entwickelt, die in den 1930/40er Jahren von der Carter Family und Hank Williams zu erster Hochblüte geführt wurde. Während diese eminent weiße Musik im Hillbilly ihre Kommerzialisierung erfuhr, entdeckten Radio und Plattenindustrie mit dem Rhythm & Blues jetzt auch die Musik der farbigen Landbevölkerung. Diese „Race Music“ unterschied sich in ihrer Rohheit und Auswahl delikater Themen stark von der weißen populären Musik und hatte bald ein Millionenpublikum. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte auch in den USA massive Landflucht ein, und so entstand in den Städten Nachfrage nach Rhythm & Blues sowie Country Music. Langsam vermischten sich diese beiden so strikt getrennten Formen zum Rock’n’Roll, und ab 1955 nutzte die Musikindustrie das Potential dieser neuen Musik beim großen weißen Publikum in den USA und in Europa. Jugendliche wurden als Zielgruppe entdeckt, und populäre Musik sollte von nun an zum zentralen Element von westlicher Jugendkultur werden.

Nach dem Zweiten Weltkrieg begann die Globalisierung des Musiklebens voll einzusetzen, wobei die ersten Trends in den USA gesetzt wurden. Die in Europa stationierten amerikanischen Truppen wurden mit musikalischen Neuigkeiten aus der Heimat versorgt und gaben diese an die EuropäerInnen weiter. V. a. das Radioprogramm im Armed Forces Network hatte großen Einfluss auf die Entwicklung europäischer populärer Musik, und das Daniederliegen der Kulturindustrie in Europa begünstigte den massiven Import amerikanischer Filme und Schallplatten. Gegenmaßnahmen wie z. B. die Veranstaltung des Eurovision Song Contestkonnten in einigen Ländern die nationale Musikproduktion beleben, aber der Einfluss angloamerikanischer Popkultur blieb dominant, getragen v. a. vom Rock’n’Roll. Nach dem überraschenden Massenerfolg des Songs Rock Around The Clock von Bill Haley & The Comets als Soundtrack zum Kinofilm Blackboard Jungle war der Bann gebrochen: Rock’n’Roll war jetzt gefragt, eine Weltmarke, und die Jugend fand hier über eigenen Musikgeschmack eine Möglichkeit, sich von den kulturellen Werten der Eltern zu emanzipieren. Bedeutendster Protagonist wurde Elvis Presley, zwar ein guter Sänger, dessen größtes Kapital jedoch seine weiße Hautfarbe in Kombination mit einer „schwarzen“ Stimme war, was der damals in den USA gängigen Praxis sehr entgegen kam, schwarze Musik von weißen Interpreten einem weißen Publikum darbringen zu lassen. Erst als der Trend etabliert war, konnten auch schwarze Musiker wie Chuck Berry und Little Richard mit Rock’n’Roll ein breites Publikum gewinnen. Entscheidend für den Erfolg von „Elvis the pelvis“ war auch seine ausgeprägte Körperlichkeit, wobei ihm zugute kam, dass sich jetzt mit dem Fernsehen ein audio-visuelles Massenmedium in den Wohnzimmern etablierte. Bald war unübersehbar, was der Rock’n’Roll anrichtete, weil er sich explizit an die Jugend wandte und für Sexualität, Rassenvermischung und Ungehorsam stand. Natürlich war er den meisten Erwachsenen ein Dorn im Auge, aber die Versuche, seinen Einfluss zurückzudrängen, blieben im Endeffekt erfolglos. Einerseits wurden die Sendungen von Radio Luxemburg und des Armed Forces Network von der Jugend begeistert aufgenommen, auch in den kommunistischen Ländern, wo amerikanische Musik ausdrücklich verboten war. Andererseits entwickelte sich in England eine lebendige Amateurmusikszene, wo Jugendliche mit einfachen Mitteln versuchten, jene Musik nachzuspielen, deren Sendung die BBC verweigerte. So erklärt sich auch, dass ausnahmsweise Europa der Ausgangspunkt der nächsten großen Trendwende wurde, die mit den 1960er Jahren einsetzte, der „Beat-Welle“.

Die Beatles hatten als wilde Rocker in den Nachtclubs von Liverpool/GB und Hamburg/D die erste ihrer drei Karrieren eher erfolglos hinter sich gebracht und begannen um 1962 als gezähmte Boygroup enthusiastisch und mit überwältigendem Erfolg Liebeslieder zum Besten zu geben, um schließlich ab etwa 1965 als emanzipierte Songwriter-Genies sukzessive die Grenzen des Machbaren hinsichtlich Produktion populärer Musik auszuloten. Das Geheimnis ihres weltweiten Erfolges lag v. a. in den ersten Jahren weniger in der dargebotenen Musik als vielmehr in ihrer Fähigkeit zu begeistern und ein Lebensgefühl auszudrücken, das viele Jugendliche direkt ansprach. In den USA hatte sich inzwischen die Wiederbelebung des Folksongs zu einem wichtigen Trend entwickelt. Schon ab den 1930er Jahren war diese alte musikalische Form mit aktuellen sozialkritischen Texten versehen worden, aber wirklich breitenwirksam wurde die Folkbewegung erst in den 1960er Jahren mit dem Auftauchen ihrer Gallionsfigur Bob Dylan. Sein Einfluss auf kritische Jugend und Friedensbewegung waren enorm, auch wenn viele AnhängerInnen die Idee verraten sahen, als er ab 1965 verstärkt mit Elementen der Rockmusik arbeitete. „Rockmusik“, jene Form, die seit Mitte der 1960er Jahre bis heute das Geschehen im Feld populärer Musik entscheidend prägt, lässt sich nur schwer über formalästhetische Merkmale eingrenzen. Die verbindenden Elemente aller ihrer Ausprägungen sind vielmehr die Verkörperung von Freiheit und jugendlichem Selbstbewusstsein sowie deren lautstarke Vermittlung mit Hilfe elektromechanischer Apparate, virtuos betrieben von Rolling Stones, Janis Joplin, Jimi Hendrix und vielen anderen mehr. Das Stilmosaik, das sich ab den 1970er Jahren aus dieser Basis entwickelt hat, ist längst unüberschaubar geworden und erfährt permanent in immer kürzeren Zyklen eine Modifikation. Neben jenen Formen, die „Rock“ bereits im Namen führen (wie z. B. Punkrock) haben v. a. Soul/Funk, Reggae, Disco, New Wave, Heavy Metal und Grunge weltweiten Einfluss erlangt.

Daneben sind es v. a. Formen elektronischer Musik, die ab den 1980er Jahren das Gesicht populärer Musik weltweit geprägt haben. Ende der 1970er Jahre entwickelte sich im Süden des New Yorker Stadtteils Bronx aus Disco-Abenden unter freiem Himmel die HipHop-Kultur. Zu Soul, Rock, Jazz-Funk und Disco wurde dabei ein eigener Tanzstil entwickelt sowie eine neue Art, mit Schallplatten umzugehen, und eine einzigartige Form, verbale Botschaften zu übermitteln, der Rap. „HipHop“ bezeichnet demnach nicht nur Rap-Musik, sondern eine Weltanschauung, einen Lebensstil, der sich in vier nach außen gerichteten Verhaltensweisen manifestiert: Platten auflegen, Breakdance, Grafittisprühen und Rappen. Inzwischen wird diese Idee als „Old School“ bezeichnet, da ab etwa Mitte der 1980er Jahre der Bereich Rap sich eigenständig weiterentwickelt und in verschiedene Stile diversifiziert hat. HipHop-Kultur steht auch für die Suche nach Identität und Entfaltungsmöglichkeiten in einer feindseligen und fremden Umgebung, wodurch sie weltweit Jugendliche ethnischer Minderheiten in den Städten stark anspricht und unzählige hybride Formen aus globalem Vorbild und lokalen Traditionen entwickelt hat. Ebenfalls ab den frühen 1980er Jahren, jedoch bis heute frei von politischen Intentionen, entwickelte sich aus den Traditionen von Disco und Funk – von Chicago und Detroit ausgehend – eine hedonistische Clubkultur über die sehr rhythmusbetonten Stile House und Techno. Während ersterer in England intensiv rezipiert und weiterentwickelt wurde, fand letzterer mit seiner Aura einer krisenhaften Moderne v. a. im Berlin nach dem Mauerfall offene Aufnahme und dominierte von dort ausgehend in den 1990er Jahren das musikalische Nachtleben im deutschen Sprachraum. Größte Aufmerksamkeit erfuhr die Techno-Kultur regelmäßig durch ihre Love-Parade, auf der Millionen Tanzende das neue Zeitalter der Jugendkultur feierten: einen autonomen Gesellschaftsentwurf jenseits des elterlichen Bezugssystems.

P. wird heute beinahe in jedem Winkel der Erde verstanden, gehört und gespielt, wiewohl die musikalische und ökonomische Hegemonie von Großbritannien und den USA nie gefährdet waren. Die größten Absatzmärkte neben den beiden genannten Ländern sind Japan und der deutsche Sprachraum, wobei es regional unterschiedlich stark zur Herausbildung hybrider Stilformen aus lokalen Traditionen und dem globalen Angebot kommt. Produktionen populärer Musik aus Österreich konnten nach Ende des Operettenzeitalters nur in vier relativ kurzlebigen Ausprägungen international auf sich aufmerksam machen. In den 1970er Jahren entwickelte sich der „Austropop“ als eigenständige Musikform aus Imitation internationaler Trends und Verbindung derselben mit österreichischen Sprachformen. Langjährige Ikonen dieser Bewegung genießen noch Jahrzehnte später große Popularität. Ein verwandtes Phänomen, jedoch wesentlich kurzlebiger war „der“ New Wave bzw. die Neue Deutsche Welle. Anfang der 1980er Jahre wurde dieser Trend hierzulande v. a. in kunststudentischen Kreisen kreativ verhandelt und von Falco international erfolgreich vertreten. Etwa zehn Jahre später wagte die „Neue Volksmusik“ den Versuch der Versöhnung lokaler Volksmusiktraditionen mit dem internationalen Geschehen populärer Musik. Seit Jahrzehnten international am stärksten wahrgenommen als Produktionsstätte interessanter Musik wurde Österreich – und hier v. a. Wien – gegen Ende der 1990er Jahre aufgrund seiner intensiven Produktivität qualitativ hochwertiger elektronischer Musik. Beschränkt man den Blick auf den deutschsprachigen Raum, zeigte sich in den vergangenen hundert Jahren der deutsche Schlager als beständigste Ausprägung populärer Musik aus Österreich. Seit den 1970er Jahren dominiert er in Form des volkstümlichen Schlagers die heimische Musiklandschaft.

Ein wichtiger und jahrzehntelang vorbereiteter Schritt zur Etablierung populärer Musik im Wissenschaftsdiskurs wurde im Jahr 2002 mit der Gründung des Instituts für Popularmusik an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien gesetzt.


Literatur
Popular Music,Zs. der Cambridge University Press 1981ff; S. Frith,Sound Effects 1981; R. Middleton, Studying popular music 1990; K. Negus, Producing Pop. Culture and Conflict in the Popular Music Industry 1992; H. Rösing in C. Bullerjahn/H.-J. Erwe (Hg.), Das Populäre in der Musik des 20. Jh.s. Wesenszüge und Erscheinungsformen 2001; J. Shepherd et al. (Hg.), Continuum Encyclopedia of Popular Music of the World 2003.

Autor*innen
Michael Huber
Letzte inhaltliche Änderung
15.5.2005
Empfohlene Zitierweise
Michael Huber, Art. „Popmusik‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 15.5.2005, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x000276f8
Dieser Text wird unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.


DOI
10.1553/0x000276f8
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