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Renaissance
Allgemein als Wiedererweckung (aus dem Frz.) einer vergangenen Kultur, im Speziellen als Epoche verstanden, welche das Mittelalter durch Rückgriff auf die Antike abgelöst habe.

(I) Die ersten Einflüsse der italienischen R. gelangten mit der Person des Enea Silvio Piccolomini, der am Hof K. Friedrichs II. wirkte, nach Österreich. Friedrichs Sohn Maximilian I. förderte den Humanismus an der Univ. Wien (Konrad Celtis) und in seinem Hofkreis. In der Zeit der Regierung Ferdinands I., seines Sohnes Maximilian II. und seines Enkels Rudolph II. war die R. in Österreich voll etabliert, wobei die 2. Hälfte des 16. Jh.s in der Forschung entweder als Spät-R. oder als Manierismus bezeichnet wird. Eine Vielzahl humanistisch und naturwissenschaftlich tätiger Gelehrter charakterisierten den Hof der Habsburger in dieser Zeit ebenso wie ein intensives Mäzenatentum der Kunst und ein ausgeprägtes Sammelwesen im Sinne der Anlegung von Kunst- und Wunderkammern, das unter Rudolph II. in Prag und unter Ferdinand von Tirol (Ambraser Sammlung) seinen Höhepunkt erreichte.

Politisch war diese Zeit von großen Einschnitten geprägt, die Ausdehnungen der habsburgischen Macht im Spätmittelalter (Burgund, Spanien) und besonders für die österreichische Linie des Hauses nach 1526 (Böhmen und teilweise Ungarn) schuf ein riesiges Machtimperium. Die Teilung der österreichischen Länder nach 1564 förderte neben Wien bzw. Prag die Entwicklung der kulturellen und politischen Zentren Graz und Innsbruck.

(II) Der erstmals von Jules Michelet (Histoire de France 1855) zur Kennzeichnung des 16. Jh.s verwendete Ausdruck R. verdankt seine Etablierung als Epochenbegriff Jacob Burckhardt (Die Cultur der R. in Italien 1860). Trotz zahlreicher Modifikationen und Relativierungen in einer seither immer umfangreicheren historischen Forschungsdiskussion wirkt das von Burckhardt entworfene Bild der R. als einer vom Mittelalter radikal abgesetzten Moderne, die im Zeichen der „Entwicklung des Individuums“, der „Wiedererweckung des Altertums“ und der „Entdeckung der Welt und des Menschen“ stehe, bis heute (2005) nach. In der Musikgeschichtsschreibung, in die der Begriff von A. W. Ambros (Geschichte der Musik 1868) eingeführt wurde, bildete sich während des 20. Jh.s – trotz vereinzelter Versuche alternativer Abgrenzungen – weitgehend der Konsens aus, mit R. die Periode zwischen der Konstituierung der internationalen franko-flämischen Musiksprache um 1420/30 und dem sog. Stilwandel um 1600 zu benennen. V. a. im anglo-amerikanischen Schrifttum wird bis in jüngste Zeit an diesem Sprachgebrauch festgehalten, wobei Bezüge zu einem übergeordneten Konzept von R. – wenn überhaupt – nur ganz punktuell hergestellt werden. Zugleich ist in der neueren (insbesondere deutschen) Literatur eine gewisse Reserve, teilweise die ausdrückliche Kritik an einem musikhistorischen Epochenbegriff R. zu konstatieren. Von („postmodernen“) methodologischen Vorbehalten gegenüber Epochendefinitionen ist dies auf die immense Schwierigkeit, wenn nicht Unmöglichkeit zurückzuführen, das 15. und 16. Jh. als eine in sich geschlossene und zugleich von den benachbarten Zeiträumen abgehobene Einheit so zu konstruieren, dass gleichermaßen musikalische Institutionen-, Ideen- bzw. Musiktheorie- sowie Kompositionsgeschichte integriert und als Ganzes auf substanzielle Weise an ein wie immer geartetes generelles Verständnis von R. rückgebunden werden.

Nach wie vor dürfte aber weithin die prinzipielle Möglichkeit anerkannt sein, bestimmte Einzelaspekte der Musikgeschichte des 15. und 16. Jh.s auf differenzierte Weise als Manifestationen der R. aufzufassen. Freilich ergibt sich dabei ein nicht geringer Interpretationsspielraum, der schon in der Vergangenheit v. a. deshalb zu erheblichen Divergenzen geführt hat, weil die Parallelisierung zwischen Musik- und allgemeiner Kulturgeschichte verschieden weit getrieben, nur auf direkte oder aber mehr oder weniger mittelbare Zusammenhänge, auf bloße Analogien oder gesicherten historisch-genetischen Konnex abgestellt werden kann.

Relativ unproblematisch, weil mit der Vorstellung von R. im engsten Sinn in Einklang zu bringen sind bestimmte Erscheinungen in der Musiktheorie die allerdings erst ab 1460/70, also im Verhältnis zur Epochenschwelle von 1420/30 und erst recht im Vergleich zu den parallelen Phänomenen in Literatur und bildender Kunst spät auftreten): zum einen die (allerdings auf wenige Autoren beschränkte) Rede von der Neuartigkeit der „gegenwärtigen“ Musik bzw. von der darin sich vollziehenden Wiedergeburt der Kunst nach einer inferioren Vergangenheit (u. a. bei Johannes Tinctoris); zum anderen der humanistisch inspirierte Impetus, unter bewusster Umgehung der mittelalterlichen Überlieferung, d. h. im direkten Zugriff auf die Originalquellen, antikes Schrifttum neu zu erschließen. Weitere Tendenzen der Musiktheorie – die zunehmende Berücksichtigung der musikalischen Praxis (die schließlich zur Ausdifferenzierung der sog. musica poetica und musica practica führte), die Bezugnahme auf das konkrete musikalische Artefakt, die Einsetzung des Gehörs, d. h. der Empirie als Urteilsinstanz und die Orientierung an Rhetorik und Poetik als Leitdisziplinen – ließen sich insofern als Ausprägungen der R. deuten, als damit eine Abkehr von der quadrivialen Musiklehre des Mittelalters eingeleitet wurde. Zudem konnte darauf verwiesen werden, dass die Musikanschauung mit diesen Veränderungen an einem umfassenden ästhetischen Wandel partizipierte, der zu einem allen Einzelkünsten gemeinsamen, aus Rhetorik und Poetik abgeleiteten Paradigma und zu dem Verständnis führte, Kunst sei „primär Mitteilung an andere, und zwar durch jeweils unterschiedliche Medien“ (MGG 1998).

Mit Blick auf Burckhardts Vorstellung von der „Entwicklung des Individuums“ ist als ein R.-typischer Aspekt weiters das Hervortreten der Komponistenpersönlichkeit geltend gemacht worden. Dieses manifestierte sich seit dem 15. Jh. u. a. im offenkundig zunehmenden Bewusstsein einer individuellen personalen Urheberschaft der musikalischen Texte und dementsprechend im deutlichen Rückgang der anonymen Überlieferung; in der Anerkennung der überlegenen Meisterschaft einzelner Autoren (wie Guillaume Dufay oder Josquin des Pres) oder im elitären Selbstverständnis der franko-flämischen Sänger-Komponisten, das einerseits noch von deren sozio-kulturellem Status als „Kleriker-Intellektuelle“ und Hofbedienstete, andererseits aber schon vom Bewusstsein der eigenen künstlerischen Hochleistung getragen war.

Da von diesen ideen- bzw. theoriegeschichtlichen Befunden ausgehend sich zahlreiche Korrelationen zu entscheidenden kompositorischen Innovationen herstellen lassen, konnte zumindest partiell auch die Kompositionsgeschichte in die Konstruktion einer R. in der Musik miteinbezogen werden. In diesem Sinn kamen in Betracht: die mit der Durchimitation (bzw. der Lösung von „starren“ c. f.-Konstruktionen) und der sog. Simultankonzeption Ende des 15. Jh.s erreichte integrative Vereinheitlichung des Satzes, die (des öfteren mit der Zentralperspektive in der Malerei verglichen) ein den mehrstimmigen Verband vermittels einer Gesamtvorstellung gleichsam souverän organisierendes Komponistensubjekt voraussetzt; dann die bereits um 1400 beginnende, auf direkte Wahrnehmbarkeit zielende Gestaltung von Klangverhältnissen und Formverläufen (durch Zäsuren, Binnen- und Schlusssteigerungen, Wechsel in der Stimmzahl), im weiteren die sog. Versprachlichung der Musik, d. h. der kompositorische Nachvollzug der vertonten Texte durch Beachtung des Wortrhythmus, textbestimmte musikalische Syntax und figurhaft-tonmalerischen „Ausdruck des Wortes“ sowie schließlich – als Kulmination der Rhetorisierung der Musik und ihrer Ausrichtung auf den Hörer – die gegen Ende des 16. Jh.s durchbrechende Affektdarstellung. Die Schwierigkeit eindeutiger epochaler Grenzziehung, aber auch eines Ideen- und Kompositionsgeschichte integrierenden Ansatzes zeigt freilich die Tatsache, dass der gedachte Endpunkt dieses Prozesses, der zugleich den wirkmächtigsten Fall einer typisch „R.-haften“ Antikenrezeption in der Musik darstellt, nämlich die „Erfindung“ von Monodie und Oper durch die sog. Florentiner Camerata, nach einer fest eingewurzelten Vorstellung den Beginn des musikalischen Barock markiert.

Die Musikkultur des österreichischen Raums ist nicht zuletzt deshalb Teil dieses Gesamtszenarios, weil das habsburgische Herrschaftsgebiet aufgrund seiner geographischen Lage (als „Brücke“ zwischen Italien und dem Norden), dynastisch-politischer Verbindungen (wie z. B. der Heirat Maximilians I. mit der burgundischen Erbtochter) und nicht zuletzt dank des kulturellen Prestigestrebens der habsburgischen Regenten bzw. Kaiser im 15. und 16. Jh. raschen und intensiven Anschluss an die jeweils entscheidenden europäischen Entwicklungen fand. Dies gilt für die franko-flämische Vokalpolyphonie (in ihren verschiedenen Entwicklungsstadien), deren Repertoire und Vertreter schon in den 1430er Jahren in Österreich präsent waren und deren zentrale Quellen nicht zufällig zu einem nicht unbedeutenden Teil aus dem österreichischen Raum stammen (Trienter Codices). Ebenso gelangten in der 2. Hälfte des 16. Jh.s die Innovationen der italienischen Musik nach Österreich, insbesondere im Wege über die erzherzöglichen Höfe in Innsbruck und v. a. Graz. Charakteristisch war die rege Interaktion zwischen dem jeweils Importierten und der einheimischen „Szene“. Dies stimulierte bereits um die Mitte des 15. Jh.s eine dem internationalen Standard entsprechende Eigenproduktion, führte zur Ausbildung bzw. Ausdifferenzierung regionalspezifischer Genres (wie dem sog. Gesellschaftslied oder der „deutschen“ Villanella) und zu bestimmten Schwerpunkten innerhalb des internationalen Gattungsgefüges (so wurden besonders stark die Propriumsvertonung und das geistliche Madrigal gepflegt). Weiterhin hatte der österreichische Raum vollen Anteil am europaweiten Aufschwung der Instrumentalmusik seit ca. 1500, d. h. an deren ästhetisch-sozialer Aufwertung, der Entwicklung instrumentalen bzw. textlosen Komponierens bzw. der zunehmenden Verschriftlichung instrumentaler Praktiken und Repertoires.

Beim Vorhaben, die österreichische Musikgeschichte des 15. und 16. Jh.s in einen weiteren (kultur)historischen Rahmen zu stellen, liegt es nahe, sich auf Humanismus und Reformation/Gegenreformation als im Vergleich zur R. wesentlich klarer umrissenen Erscheinungen zu beziehen. Die Folgen lassen sich insbesondere auf gattungsgeschichtlichem Gebiet deutlich beobachten: So kam es zu der (sich im Wesentlichen in Österreich vollziehenden) Ausbildung der sog. Humanistenode und des Humanistendramas, woran im weiteren das lateinische Schul- bzw. Ordensdrama (Benediktinertheater, Jesuitendrama) anschloss, zum Eindringen von protestantischem Choral, Kantionalsatz, deutschsprachiger Lied- und Psalmmotette sowie zu einer intensiven Pflege des katholischen deutschsprachigen Lieds und des geistlichen Madrigals.

Zentrale musikalische Institutionen, v. a. auf dem Gebiet der artifiziellen Mehrstimmigkeit, blieben im 15. und 16. Jh. die (habsburgischen) Höfe bzw. Hofkapellen. Sie bildeten die wesentlichen „Anschlussstellen“, über die die Rezeption der internationalen Entwicklungen lief, und waren entscheidende Träger des Humanismus und der Gegenreformation. Die städtische Musikpflege spielte in Österreich – verglichen mit dem übrigen Europa – während des 15. Jh.s noch eine eher untergeordnete Rolle, gewann aber im 16. Jh. durch die Einrichtung evangelischer Latein- bzw. Landschaftsschulen, die Etablierung des (ebenfalls eng mit dem Protestantismus verbundenen) Meistersangs und einen Aufschwung des Thurnerwesens an Bedeutung. Zur Verbreitung von zunehmend auch mehrstimmiger Musik in bürgerlichen Kreisen trug nicht zuletzt der Musikdruck (Notendruck) bei.


Literatur
MGG 11 (1963) u. 8 (1998); NGroveD 21 (2001); L. Schrade in [Kgr.-Ber.] IGMW. Utrecht 1952, 1953; H. Besseler in AfMw 23 (1966); C. V. Palisca, Humanism in Italian R. Musical Thought 1985; Flotzinger 1988; I. Fenlon (Hg.), The R. From the 1470s to the end of the 16th century 1989; L. Finscher (Hg.), Die Musik des 15. und 16. Jh.s 1989; P. Burke, Die R. 1990; Strohm 1993; MGÖ 1 (1995); A. W. Atlas, R. Music. Music in Western Europe, 1400–1600, 1998; L. L. Perkins, Music in the Age of the R. 1999.

Autor*innen
Karl Vocelka
Markus Grassl
Letzte inhaltliche Änderung
15.5.2005
Empfohlene Zitierweise
Karl Vocelka/Markus Grassl, Art. „Renaissance‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 15.5.2005, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001def1
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