Sch. beschäftigte sich überwiegend mit Werken der deutschen Tradition von J. S. Bach bis Brahms. Im Mittelpunkt seines Ansatzes steht das Prinzip der Klangprolongation oder Auskomponierung, die melodische Entfaltung eines Klanges durch Brechungen oder Skalenausschnitte (Züge). Werden die im Zuge der Prolongation entstehenden Durchgangstöne durch neue Basstöne in Konsonanzen umgewandelt, ergeben sich neue Akkorde, die wiederum prolongiert werden können. Das komplizierte Beziehungsgeflecht von tonaler Musik mit einer abgestuften Hierarchie der Akkorde und über weite Strecken tragenden linearen Beziehungen wird von Sch. als imaginärer Prozess dargestellt, in dem aus dem Ursatz als Typus und Kern jeder tonalen Komposition durch fortgesetzte Prolongation schließlich das konkrete Werk generiert wird. Seine Analysen bedienen sich einer speziellen grafischen Notation. Für Sch. galten Ursatz und Prolongationen als Signum des Meisterwerks; er sah in der Analyse ein Instrument ästhetischer Wertung. Heute werden seine Schriften vorwiegend als Theorie der harmonischen Tonalität wie auch als Theorie des musikalischen Hörens gelesen.
W. Furtwängler äußerte sich bewundernd über Sch.s Monographie zu L. v. Beethovens Neunter. Sch.s Schüler A. v. Hoboken unterstützte 1927 auf dessen Initiative maßgeblich die Gründung des Archivs für Photogramme musikalischer Meisterhandschriften an der ÖNB. Weitere Schüler, wie Hans Weisse, V. Zuckerkandl, O. Jonas und F. Salzer, verbreiteten Sch.s Lehre seit den 1930er Jahren in den USA, die dort seither an vielen Colleges zur musikalischen Basisausbildung gehört. Trotz seiner deutschnationalen Gesinnung hat Sch. seine jüdische Identität nie aufgegeben. Während des Nationalsozialsozialismus waren seine Schriften verfemt. Nach 1945 haben seine antimoderne Haltung und der polemische Ton, den Sch. manchmal anschlug, eine unvoreingenommene Rezeption seines Werkes im deutschen Sprachraum erschwert. Anknüpfend an das 1935–38 am Neuen Wiener Konservatorium (Musiklehranstalten Wien) bestehende Sch.-Institut, richtete Franz Eibner 1951 an der Wiener Akademie für Musik und darstellende Kunst ein Sch.-Seminar ein, das 1976 in einen noch heute (2005) bestehenden Lehrgang umgewandelt wurde.
Lieder, Chorwerke, Klavierstücke; Syrische Tänze f. Kl. zu 4 Händen (f. Orch. bearb. v. A. Schönberg); Kammermusik.
Neue musikalische Theorien und Phantasien: Harmonielehre 1906, Kontrapunkt 1910 u. 1922, Der freie Satz 1935; Ein Beitrag zur Ornamentik 1904; Instrumentations-Tabelle 1908; Beethovens neunte Sinfonie 1912; Der Tonwille 1921–24 (10 H.e); Das Meisterwerk in der Musik 1 (1925), 2 (1926) u. 3 (1930); Fünf Urlinie-Tafeln 1932; [Die Kunst des Vortrags] The Art of Performance , hg. v. H. Esser, 2000. – Artikel und Abhandlungen in Kultur- und Fach-Zss. – Ausg.n: Klavierwerke von Philipp Emanuel Bach 1902 u. 1903; J. S. Bach: Chromatische Fantasie und Fuge (d-moll) 1910; Die letzten fünf Sonaten von Beethoven. Kritische Ausg. mit Einführung und Erläuterung (op. 101, op. 109–111) 1913, 1914, 1915, 1920; Beethoven: Sonata Op. 27, Nr. 2 1921 (Faks.); Beethoven: Sämtliche Klaviersonaten 1921–23; Franz Schubert, Symphonie VIII H moll / B minor / Si mineur, Unvollendete [1923].
H. Federhofer, H. Sch. Nach Tagebüchern und Briefen in der Oswald Jonas Memorial Collection 1985; ÖBL 10 (1994); NGroveD 22 (2001); M. Eybl, Ideologie und Methode 1995; E. Fink (Hg.), [Kat.] Rebell und Visionär. H. Sch. in Wien 2003; www.mdw.ac.at/schenkerlehrgang (5/2005; Schr.).