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Soldatenlied
S.er besingen das soldatische Leben und Erleben und beziehen sich auf Kriege oder kriegerische Handlungen. Das S. „spiegelt die innere Auseinandersetzung des Menschen mit der außergewöhnlichen und im Vergleich zu anderen Berufen anormalen Situation wieder, und stellt eine der wesentlichen Äußerungsmöglichkeiten für den einzelnen wie für die breite Masse der von Krieg und Kriegsdienst Betroffenen dar“ (Lixfeld 1973). S.er können je nach Inhalt auch den historisch-politischen Liedern und den Arbeits- und Ständeliedern zugeordnet werden. Im Unterschied zu den offiziell verordneten, hurra-patriotischen Liedern, die als Kampflieder Mut und Aggression schüren wollen, sagt und klagt der Soldat in seinen Liedern, die er „gewohnheitsmäßig, freiwillig und ohne äußere Einflussnahme“ (Elbers 1963) singt, „was ihn bewegt und was er sonst nicht selbst sagen kann und mag“ (Meier 1916). Das S. beeinflusst zugleich die innere Einstellung zum Krieg und zum soldatischen Beruf. Es will die Soldaten motivieren, das Gemeinschaftsgefühl verstärken, ermutigen, anfeuern, ablenken, die Zeit vertreiben, teilweise aber auch indoktrinieren und manipulieren; es dient ebenso der Propaganda und wurde oft missbraucht. Manche S.er, besonders die kritischen und die Freiheit thematisierenden, wurden trotz offizieller Verbote gesungen.

Kriege und somit Soldaten sind Teil der (Erinnerungs)Kultur (Gedächtnis) bis in die Gegenwart (2014). Der Wandel, den die Soldaten mit der Zeit durchliefen – von den Landsknechten der frühen Neuzeit über die Söldnerheere im Absolutismus bis hin zur allgemeinen Wehrpflicht seit dem 19. Jh. –, beeinflusste auch die S.er: Landsknechtslieder schildern oft in vielen Strophen und detailliert Schlachten und verherrlichen den eigenen Stand (z. B. Gott gnad dem großmechtigen keiser frumme Maximilian), historische S.er beziehen sich meist auf Helden/Heerführer (z. B. Prinz Eugenius, der edle Ritter; Wer will mit nach Italien ziehn, Radetzky kommandiert) und Kriegsschauplätze (z. B. Fern bei Sedan/Sarajevo auf der Höhe; Bosnienlied: Die Sonne sank im Westen). Verschiedene Truppengattungen haben eigene Lieder (z. B. Auf, auf, ihr Brüder von der Infanterie; Musketier seins lustge Brüder). Neben kriegerischen Liedern wurden auch gefühlsbetonte Lieder gesungen, die das alltägliche Soldatenleben thematisieren (z. B. Schatz, mein Schatz, reise nicht so weit von hier).

Themen der S.er sind Kameradschaft, Vaterland, Heldenverehrung, Geringschätzung der Feinde, Mut, Tod, Heimat, Abschied, Heimweh, Liebe, Erotik, Spott, Zweifel, Hoffnungslosigkeit (Soldatenklagen), Desertieren; oft sind positive und negative Aspekte, Begeisterung und Ablehnung in einem Lied vereint. Auch Parodien und ironische Umdichtungen sind üblich, ebenso wie Protest und Kritik am Krieg.

Zu unterscheiden sind Marsch- (z. B. Wenn die Soldaten durch die Stadt marschieren) und Ruhelieder (z. B. Es blühen Rosen, es blühen Nelken), wobei der Singanlass Rhythmus und Melodie bestimmt.

S.er-Sammlungen und S.erbücher gibt es vor den 1870er Jahren nur vereinzelt (z. B. Gleim, Preußische Kriegslieder 1778). Während der beiden Weltkriege entstand eine Fülle von solchen, sowohl aufwendig gestaltete Exemplare wie auch einfache dünne Hefte in großer Stückzahl für die kämpfenden Truppen; v. a. im Zweiten Weltkrieg gab es eigene S.erbücher für die verschiedenen Waffengattungen (z. B. G. Pallmann, Flieger sind Sieger 1939). Aus diesen während der Kriege gedruckten S.erbüchern lässt sich auch einiges über den Kriegsverlauf ablesen, wie z. B. die anfängliche Kriegsbegeisterung. Offizielle S.erbücher beinhalten v. a. patriotische, nationalbewusste, den Krieg verherrlichende und den Feind erniedrigende Lieder (z. B. Jeder Schuß ein Ruß! 1914), Lieder, die von Heimat, Abschied, Todesangst, Trauer, Heimweh und Liebe singen, sind aber ebenso vertreten. Hingegen fehlten lange Zeit kritische und oppositionelle Lieder sowie diejenigen des Widerstands, die aber in neuere Publikationen aufgenommen werden (z. B. Soldat der Freiheit will ich gerne sein 1990). Die Inhalte von S.erbüchern decken sich oft nur zu einem geringen Teil mit dem tatsächlich von Soldaten gesungenen Liedgut.

Ab 1916 wurden von der Musikhistorischen Zentrale beim k. u. k. Kriegsministerium unter der Leitung B. Paumgartners Monarchie weit die Lieder der Soldaten gesammelt; ein Teil der deutschsprachigen Lieder hat sich in der Sammlung von H. Commenda erhalten, die im Oberösterreichischen Volksliedwerk in Linz aufbewahrt wird. Schon zuvor nahm das Phonogrammarchiv der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften S.er der k. u. k. Armee auf (s. Tbsp.).


Tondokumente
TD: G. Lechleitner, S.er der k. u. k. Armee 2000 [CD].
Literatur
(Chronologisch:) R. Frh. v. Liliencron, Die historischen Volkslieder der Deutschen vom 13. bis 16. Jh., 4 Bde. 1865–69; F. W. Frh. v. Ditfurth, Historische Volkslieder der Zeit von 1648 bis 1871, 3 Bde. 1871–77 (ND 1965); F. W. Frh. v. Ditfurth, Die historischen Volkslieder des Oesterr. Heeres von 1638–1848, 1874; Klabund [A. Henschke], Das dt. S. 1916; J. Meier, Das dt. S. im Felde 1916; B. Paumgartner, Österr. Soldaten-Lieder, 4 H.e 1916/17; K. Liebleitner, Im Schützengraben 1916; A. Kutscher, Das richtige S. 1917; Historisches Konzert am 12. Jänner 1918 im großen Saale des Wr. Konzerthauses veranstaltet von der Musikhistorischen Zentrale des k. u. k. Kriegsministeriums [1918]; A. Angenetter/E. K. Blümml, Lieder der Einserschützen 1924; Marschliederbuch für das Österr. Bundesheer 1927; W. Steinitz, Dt. Volkslieder demokratischen Charakters aus sechs Jh.en, 2 Bde. 1955–62; Österr. S.erbuch 1962; W. Elbers, Das deutsche S. im 1. Weltkrieg und seine publizistische Bedeutung 1963; L. Röhrich/R. W. Brednich, Dt. Volkslieder. Texte und Melodien, 2 Bde. 1965–67; L. Schmidt, Historische Volkslieder aus Österreich vom 15. bis zum 19. Jh. 1971; H. Lixfeld in R. W. Brednich et al. (Hg.), Hb. des Volksliedes 1 (1973); K. Hahn in JbÖVw 34 (1985); Soldat der Freiheit will ich gerne sein 1990; G. Haid in JbÖVw 51 (2002).

Autor*innen
Eva Maria Hois
Letzte inhaltliche Änderung
15.5.2006
Empfohlene Zitierweise
Eva Maria Hois, Art. „Soldatenlied‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 15.5.2006, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001e2b6
Dieser Text wird unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.

MEDIEN
HÖRBEISPIELE

Wer will mit uns zu Felde ziehn, gesungen vom Quartett des IR No. 59 (Rainer), aufgenommen am 27.3.1916 in Salzburg von Leo Hajek, Ph 2550 (Serie 4: Soldatenlieder der k. u. k. Armee; OEAW PHA CD 11/1: 12)

DOI
10.1553/0x0001e2b6
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