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Sprache und Musik
Die beiden akustischen Ausdrucksmöglichkeiten des Menschen (Singen). Sp. umfasst die Begriffsebenen Semantik (Bedeutung), Syntax (Struktur), Phonetik (Klang) und Pragmatik (Funktion). Der sog. Sp.-Charakter von Musik bzw. eine zwischen Sp. u. M. gesehene Analogie (vgl. die Ausdrücke „Tonsprache“, „Klangrede“, „musikalische Rhetorik“, „Tondichtung“ u. ä.) kann sich auf eine oder mehrere dieser Ebenen beziehen. Die Bedeutungs- oder Ausdrucksdimension von Musik, der Umstand also, dass sie auf etwas Außermusikalisches (Affekt, Gefühl) verweist, zählt geradezu zu ihren anthropologischen Bestimmungsmerkmalen. Ihre funktionelle Einbindung in für den Menschen relevante Bereiche (Kult, Politik, Arbeit, Medizin; Ethnomusikologie) wurde erst im Laufe der Entwicklung der sog. abendländischen Kunstmusik teilweise aufgegeben und damit auch sukzessive ihr Verweischarakter. Solange allerdings die Vokalmusik vorherrschte, blieb die Unterstützung von Deklamation (Rezitativ, Sprechgesang) und Ausdruck des Textes (letzteres durch bestimmte Mittel wie rhetorische Figuren bzw. Tonsymbolik) wesentliches kompositorisches Gebot: „Der [musikalische] Satz muß aber rührend, das ist, nicht nur zur Composition geschickt seyn, sondern auch [...] den Sinn der Worte, und den Affect ausdrücken“ (J. J. Fux). Sowohl in der barocken Nachahmungsästhetik mit ihrer Darstellung typisierter Affekte als auch in der darauf folgenden, subjektive Stimmungen betonenden Gefühlsästhetik wurde der Wert einer Komposition ganz wesentlich an seinem Ausdrucksgehalt gemessen. Das galt bis zum späten 18. Jh. bis zu einem gewissen Grad auch für die Instrumentalmusik, deren Gattungen z. T. aus der Vokalmusik hervorgegangen waren (Ricercar, Kanzone).

Gerade die Frage aber, ob auch die „reine“ Instrumentalmusik einen außermusikalischen Inhalt zu transportieren habe, wurde im 19. Jh. als Gegensatz von Formal- (E. Hanslick, O. Hostinsky) und Inhalts- bzw. Ausdrucksästhetik (A. W. Ambros, F. v. Hausegger) kontrovers diskutiert. Erstere konzedierte zwar auf syntaktischer Seite Vergleichsmöglichkeiten, hielt die semantische aber für ästhetisch nebensächlich oder lehnte sie überhaupt ab. So meinte F. Grillparzer: „Vergißt man denn immer bei Vergleichung der Poesie mit Worten und mit Tönen (Dichtkunst und Musik), daß das Wort bloß Zeichen, der Ton aber, nebst dem, daß er ein Zeichen, auch eine Sache ist?“ Zum springenden Punkt wurde also die Frage, ob Musik Außermusikalisches (Stimmungen, Gefühle, poetische Ideen usw.) auszudrücken habe bzw. es überhaupt vermag. Hanslick hatte in diesem Streit als Extremposition „tönend bewegte Formen“ ausschließlich zum (ästhetisch relevanten) Inhalt der Musik erklärt, d. h. absolute musikalische Autonomie gefordert. Gleichzeitig unterstützte er damit aber auch eine weitere anthropologische Dimension von Musik: die des Spiels.

Die phonetische Ebene der Sprache (insbesondere die Vokallaute) war in Vokalmusik immer präsent, besondere Beachtung (bei z. T. kaum oder gar nicht mehr vorhandener semantischer Deutlichkeit) fand sie v. a. im 20. Jh. in sog. Sprachkompositionen, bei denen Sp. in Phoneme und Silben aufgelöst wird und diese nach klanglichen Kriterien zusammengefügt werden. Solche Sprachkompositionen haben in Österreich eine besondere Tradition (z. B. H. K. Gruber, G. Ligeti, A. Logothetis, G. Rühm, O. M. Zykan; aber auch Attwenger) und bilden ein musikalisches Pendant zu den Sprachspielen eines H. C. Artmann (1921–2000) oder Ernst Jandl (1925–2000).


Literatur
A. W. Ambros, Die Grenzen der Musik u. Poesie. Eine Studie zur Aesthetik der Tonkunst 1856, 21872; J. J. Fux, Gradus ad parnassum 1725 (dt. 1742); F. Grillparzer, Aesthetische Studien. – Sprachliche Studien. – Aphorismus [o. J.] (= sämtliche Werke 15); E. Hanslick, Vom Musikalisch-Schönen. Ein Beitrag zur Revision der Ästhetik der Tonkunst [1854], hg. v. D. Strauß 1990; F. v. Hausegger, Die Musik als Ausdruck 1885, 21887; H. Krones (Hg.), [Kgr.-Ber.] Stimme u. Wort in der Musik des 20. Jh.s. Wien 1989–2000, 2001; W. Suppan, Der musizierende Mensch. Eine Anthropologie der Musik 1984.

Autor*innen
Barbara Boisits
Letzte inhaltliche Änderung
15.5.2006
Empfohlene Zitierweise
Barbara Boisits, Art. „Sprache und Musik‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 15.5.2006, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001e306
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