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Stille Nacht! Heilige Nacht!
Weihnachtslied, gedichtet von J. Mohr, vertont von F. X. Gruber. Das älteste einer Reihe von erhaltenen Autographen des Liedes stammt von J. Mohr und ist für zwei Singstimmen mit Gitarrenbegleitung notiert. Mohr vermerkt auf dem Blatt, dass er den Text 1816 gedichtet habe, also zu einer Zeit, als er als Hilfsgeistlicher in Mariapfarr (Lungau/Sb) gewirkt hat. Zwei Jahre später, inzwischen nach Oberndorf (Flachgau/Sb) versetzt, überreichte er das Gedicht F. X. Gruber, der als Lehrer, Mesner und Organist im nahen Arnsdorf/Sb tätig war und nebenher auch den Orgeldienst in Oberndorf besorgte, mit der Bitte, es für die Weihnachts-Mette in der St.-Nicola-Kirche zu vertonen. Die „Urschrift“ aus dem Jahr 1818 ist verloren, die „Urfassung“ lässt sich jedoch aus dem Autograph Mohrs, den diversen Autographen Grubers in ihrer Chronologie sowie frühen Abschriften rekonstruieren. St. N. stand ursprünglich in D-Dur, bestand aus sechs Strophen und wies gegenüber dem heutigen Gebrauch einige textliche (z. B. „heil’ge“ statt „heilige“) und melodische (z. B. weniger Punktierungen) Varianten auf. Nahezu unverändert erscheinen Grubers spätere eigenhändige Fassungen für größeres Orchester („Halleiner Fassung“, 1836, transponiert nach Es-Dur wegen der beteiligten Blasmusikinstrumente), kleineres Orchester („Hornfassung“, um 1845 für J. G. Pinzger, musikalisch die überzeugendste Version des Komponisten) und „stille Orgelbegleitung“ (um 1860, s. Abb.). Neben geringfügigen Modifizierungen musikalischer Details wird aber nun dem zweiten Takt durchwegs „heilige Nacht“ als Text unterlegt.

Zu Lebzeiten Mohrs und Grubers wanderte das Lied im salzburgisch-oberösterreichischen Grenzgebiet in Musikerkreisen von Hand zu Hand, wobei es einesteils leichte Veränderungen erfuhr, andernteils die Autoren in Vergessenheit gerieten. St. N. nahm dadurch Züge eines Volksliedes an. Erst nachdem Gruber 1854 über Umwege eine Anfrage der Königlichen Hofkapelle in Berlin nach dem Autor des Liedes erhalten hatte, hielt er die Ereignisse des Heiligen Abends 1818 in einem mit „Authentische Veranlassung zur Composition des Weihnachtsliedes ‚Stille Nacht, heilige Nacht!‘“ überschriebenen Bericht in Umrissen fest. Daraus geht auch hervor, dass bereits damals für die Wiederholung der Schlusszeile der einzelnen Strophen ein Chor mitwirkte.

Als der Orgelbauer C. Mauracher aus Fügen im Zillertal/T bei Gelegenheit des Orgelneubaus in Oberndorf 1825 St. N. kennen lernte und nachfolgend das Lied in seine Heimat brachte, nahmen es dort ansässige „Nationalsänger“ (nachweislich die Geschwister Strasser und die Geschwister Rainer) in ihr Repertoire auf. St. N. löste sich mithin aus dem regionalen Rahmen und ging als Tiroler Volkslied mit den „Nationalsängern“ (Alpensänger) auf Tournee. Eine unvergleichliche Rezeption setzte ein, die anfangs durch das um die Mitte des 19. Jh.s beliebte, folkloristisch geprägte Alpenidyll befördert wurde – wobei die Verbreitung über weite Teile Europas und bis in die Vereinigten Staaten von Amerika reichte (Konzert der Geschwister Rainer vor der Trinity Church in New York am 25.12.1839; später auch durch E. Schumann-Heink).

Die Geschwister Strasser sangen St. N. 1831/32 bei Konzerten während der Leipziger Messe. In ihrer auf virtuose Schaustellung frisierten Fassung gelangte das Lied, zudem nach C-Dur versetzt und auf drei Strophen (die erste, zweite und sechste des Mohrschen Gedichts) reduziert, 1833 bei Robert A. Friese in Dresden/D als „Ächtes Tyroler-Lied“ (s. Tbsp.) erstmals zur Veröffentlichung. Während die vokalen Manierismen in weiteren Ausgaben bald getilgt wurden, blieben die Tonart C-Dur, die Strophenzahl und die plakative Anhebung der Melodie um eine Terz für die Schlusszeile erhalten (so auch in einem 1844 vom Hamburger Heimvorstand Johann Hinrich Wichern herausgegebenen Liederheft, wobei zuzüglich durch den Austausch von „Jesus“ gegen „Christ“ im Text eine Variante kreiert wurde, die v. a. in evangelischen Gebieten starken Anklang fand, musikalisch aber wegen ihrer Melismatisierung fragwürdig ist). Alles dies unterscheidet heute die „Rezeptions-“ von der – in Salzburg u. a. durch Grubers Nachkommen popularisierten – „Originalfassung“, die ihrerseits wiederum eine Transposition der „Halleiner Fassung“ nach D-Dur darstellt und somit nur bedingt als authentisch bezeichnet werden kann.

Jubiläen der Entstehung von St. N. brachten, beginnend 1918, die Schaffung von Gedenkstätten (darunter die St.-N.-Kapelle in Oberndorf) sowie eine rege Forschungs- und Publikationstätigkeit mit sich. Insbesondere die 1972 gegründete St.-N.-Gesellschaft verfolgt das Ziel, die Umstände der Entstehung und Verbreitung des Liedes weiter zu erkunden und einem breiten Kreis bekannt zu machen. Denn nicht immer wurde und wird zwischen belegbarer Überlieferung und Ausschmückung geschieden. Gelegentlich hat man die Autorschaft von Text und Melodie für Mohr beansprucht, obgleich die Quellen dies mitnichten nahe legen. Zudem verbreiteten sich zahlreiche Legenden zur Entstehungsgeschichte. Unrichtig ist u. a. die Behauptung, dass am Heiligen Abend des Jahres 1818 in der St.-Nicola-Kirche die Orgel ausgefallen sei (gar noch durch Mäusebiss, wie es Hertha Pauli und danach Paul Gallico in beschaulicher Literatur schilderten).


Literatur
J. Gassner in A. Schmaus/L. Kriss-Rettenbeck (Hg.), St. N. H. N. Gesch. u. Ausbreitung eines Liedes 21968; E. Hintermaier (Hg.), Franz Xaver Gruber (1787–1863) u. Joseph Mohr (1792–1848): Weihnachtslied „St. N.! H. N.!“. Die autographen Fassungen u. die zeitgenössischen Überlieferungen 1987; Th. Hochradner/G. Walterskirchen (Hg.), [Kgr.-Ber.] 175 Jahre „St. N.! H. N.!“. Salzburg 1993, 1994; J. A. Standl, „St. N.! H. N.!“ Die Botschaft eines Liedes, das die Menschen dieser Welt berührt 1997; W. Herbst, St. N.! H. N.! Die Erfolgsgesch. eines Weihnachtsliedes 2002; Th. Hochradner (Hg.), „St. N.! H. N.!“ zwischen Nostalgie und Realität. Joseph Mohr – Franz Xaver Gruber – Ihre Zeit, unter Mitarbeit von S. Steiner-Span 2002; www.stillenacht.at (10/2005).

Autor*innen
Thomas Hochradner
Letzte inhaltliche Änderung
9.2.2021
Empfohlene Zitierweise
Thomas Hochradner, Art. „Stille Nacht! Heilige Nacht!‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 9.2.2021, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0002206b
Dieser Text wird unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.

MEDIEN
Franz Xaver Gruber, Titelblatt des Autographs VII, um 1860 © www.salzburgmuseum.at
Franz Xaver Gruber, Autograph VII, um 1860 © www.salzburgmuseum.at
© Hermann Zwanzger
© Hermann Zwanzger
HÖRBEISPIELE

Stille Nacht heilige Nacht... Tiroler Weihnachts-Lied, 1849. Tiroler Liedfassung der Nationalsänger Geschwister Strasser (1833) aus Laimach im Zillertal, überliefert im Musikarchiv von Stift Stams

DOI
10.1553/0x0002206b
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