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Volksliedsammlung
Aufzeichnung von Volksliedern aus der mündlichen Überlieferung des Volkes durch Gebildete zu verschiedensten Zwecken. In Österreich ist, wie in vielen europäischen Ländern, die V. der eigentlichen Volksmusikforschung vorausgegangen. Den ersten Impuls erhielt sie im Zuge von Reformation und Gegenreformation durch die Kompilatoren geistlicher Liederbücher wie das Catholisch Gesangbuechlein (Innsbruck 1588) oder die Liedsammlungen von N. Beuttner und D. G. Corner, die bereits zu Anfang des 17. Jh.s volksläufige geistliche Brauchgesänge aufgenommen haben. In größerem Umfang wird die V., nun vorwiegend weltlicher Lieder, zu Beginn des 19. Jh.s zum Thema, einerseits im Geiste Johann Gottfried Herders und der Romantik, wo man sich vom Volkslied schöpferische Impulse erwartete, andererseits im Sinne des aufgeklärten Absolutismus, zu dessen Voraussetzungen die möglichst genaue Dokumentation des Volkslebens in all seinen Facetten gehörte. Der erste Volksliedsammler auf dem Boden des heutigen Österreich war der Landrichter Johann Strolz, der 1807 kommentierte Volksliedaufzeichnungen aus dem Zillertal/T veröffentlichte. Ab 1811 ließ Erzhzg. Johann statistische Umfragen in der Steiermark durchführen, die auch auf musikalischem Gebiet respektable Ergebnisse erbrachten, so z. B. die Volkslied- und Volksmusikaufzeichnungen des Kameralverwalter Johann Felix Knaffl 1813 aus dem Gerichtsbezirk Fohnsdorf. Zu dieser Zeit sammelten auch Erzhzg. Johanns Schwager, der Grazer Arzt A. Werle in der Steiermark, A. Ritter v. Spaun in Oberösterreich sowie der Wiener Magistratsbeamte F. Ziska und der Gelehrte J. M. Schottky, die 1819 aufgrund ihrer Sammlungen im Schneeberg- und Semmeringgebiet den ersten Volksliedsammelband Österreichs (Österreichische Volkslieder mit ihren Singweisen) herausbrachten. Im selben Jahr wurde von der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien unter ihrem Generalsekretär Jos. v. Sonnleithner die erste Umfrage mit ausschließlich volksmusikalischer Fragestellung durchgeführt, die sich auf alle österreichischen Kronländer der Monarchie erstreckte und als Ergebnis ca. 1500 Lieder und Vierzeiler, davon etwa ein Drittel geistliche Volkslieder, erbrachte (bis jetzt [2006] nur teilweise publiziert). Weitere Volksliedsammler des 19. Jh.s waren verschiedene Literaten, zu denen z. B. auch der steirische Heimatdichter Peter Rosegger gehörte, weiters Chormeister und Komponisten wie J. E. Schmölzer in der Steiermark oder E. Kremser in Wien sowie mehrere Geistliche auf dem Gebiet des geistlichen Volksliedes, z. B. der deutsch-westungarische Benediktiner Remigius Alois Sztachovics (1812–84), der niederösterreichische Pfarrer und Dechant J. Gabler, der St. Florianer Chorherr W. Pailler, der Geistliche Johann Reinhard Bünker (1863–1914) in Deutsch-Westungarn. Mehr und mehr traten auch Lehrer als Volksliedsammler auf, z. B. H. Neckheim in Kärnten, J. Pommer vorwiegend in der Steiermark und F. F. Kohl in Tirol, wobei die Reform der Lehrerausbildung durch das Reichsvolksschulgesetz von 1869 diese Linie begünstigte, z. B. Balthasar Schüttelkopf (1863–1908), K. Liebleitner, V. Zack u. v. a. Gleichzeitig begann sich mit dem Germanisten K. Weinhold, den Univ.-Bibliothekaren A. Schlossar, R. Wolkan und Ludwig v. Hörmann (1837–1924), dem Historiker und Germanisten Joseph Eduard Wackernell (1850–1920) und dem Kulturhistoriker M. V. Süß die wissenschaftlich fundierte Volksliedforschung zu etablieren, die sich ihre Materialgrundlage aber nach wie vor durch umfangreiche Sammelarbeiten schuf. Auf dem Boden des damaligen Kaiserreiches sammelten im Rahmen der Akademie der Wissenschaften Giovanni Battista Bolza in der Gegend des Comersees/I und Georg Widter in Venetien sowie im Auftrag der Anthropologischen Gesellschaft F. S. Krauss in Bosnien-Herzegowina.

Im Zuge des 1904 gegründeten Unternehmens Das Volkslied in Österreich wurden von J. Pommer, der an der Spitze dieses Unternehmens stand, eine Sammelanleitung und ein Fragebogen für die deutschsprachigen Gebiete entwickelt, der nun zum ersten Mal einen wissenschaftlichen Standard vorgab. In dieses Sammelunternehmen, das mit Ende des Ersten Weltkrieges vorerst endete, aber in der Ersten und Zweiten Republik unter neuen Voraussetzungen fortgeführt wurde und schließlich in das Österreichische Volksliedwerk mit seinen Landesarchiven mündete, waren zahlreiche hobbymäßige Volksliedsammler eingebunden, die teilweise volkskundlich und germanistisch geschult waren und wichtige Sammelwerke publizierten, wie E. K. Blümmel, H. Gielge, A. Anderluh, F. Schunko, O. Dengg, H. Derschmidt, Adalbert Riedl (1898–1978), J. Bitsche, N. Wallner, K. Horak, R. Zoder, K. M. Klier, Karl Haiding (1906–85), H. Commenda, E. Hamza, K. Kronfuß, Alexander (1865–1942) und Felix Pöschl (1870–1948), Ernst Jungwirth (1886–1955), H. Pommer, O. Eberhard, C. Rotter, G. Kotek, Jakob Dobrovich (1911–84), J. Gartner. Die meisten waren Lehrer; eine Ausnahmeerscheinung war der Wiener Industrielle K. Mautner. Von dem Volkskundler L. Schmidt wurde 1947 eine neue Sammelanleitung entworfen. Weitere Volksliedsammelunternehmen in Österreich waren Soldatenliedersammlungen während des Ersten Weltkriegs im Auftrag des Kriegsministeriums und die Sammlung A. Quellmalz im heutigen Südtirol. In beiden Unternehmungen wurden bereits Tonaufnahmegeräte eingesetzt. Mit Gründung des Phonogrammarchivs der Kaiserlichen Akademie 1899 standen für die V. die ersten Tonaufnahmegeräte zur Verfügung; für V.en in Österreich wurden sie bereits ab 1902 eingesetzt. Mit der Professionalisierung der Volksmusikforschung an den Univ.en und MUniv.en in Wien, Graz, Salzburg und Innsbruck wurde das methodische Instrumentarium der V. zur volksmusikalischen Feldforschung weiterentwickelt, die heute in die jeweiligen Forschungskonzepte eingebunden ist.


Literatur
(alphabet.) E. K. Blümml et al., Die Volksliedbewegung in Deutschösterreich 1910; W. Deutsch/S. Gmasz, Feldforschung in Österreich. Ein bio-bibliographischer Entwurf 1979; W. Deutsch/G. Hofer, Die Volksmusiksammlung der Musikfreunde in Wien (Sonnleithner-Slg.) 1 (1969); W. Deutsch/E. M. Hois (Hg.), Das Volkslied in Österreich. Bearbeiteter u. kommentierter Nachdruck des Jahres 1918, 2004 (= COMPA, Sonderbd.); W. Deutsch et al., Fragebogen f. Musikanten 1977; W. Deutsch in JbÖVw 44 (1995); Entwurf eines Fragebogens zur Erfassung der musikalischen Situation eines Ortes, hg. v. Institut f. Volksmusikforschung u. Institut f. Musiksoziologie u. musikpädagogische Forschung der MHsch. Wien 1974; V. v. Geramb, Die Knaffl-Hs. Eine obersteirische Volkskunde aus dem Jahre 1813, 1928; G. Haid/Th. Hochradner, Lieder u. Tänze um 1800 aus der Sonnleithner-Slg. der Ges. der Musikfreunde in Wien 2000 (= COMPA 12); G. Haid in JvÖVw 53/54 (2005); G. Haid in Das Schallarchiv 5 (1979) [auch in Beiträge zur Ethnomusikologie 9 (1981)]; Kat.e der Tonbandaufnahmen des Phonogrammarchives der ÖAW in Wien 1960ff; K. M. Klier, Bericht über phonographische Aufnahmen österr. Volksmusik. 60. Mitteilung der Phonogrammarchivs-Kommission 1929; Th. Nußbaumer, Alfred Quellmalz u. seine Südtiroler Feldforschungen (1940–42), 2001; Österr. Volksmusik (1902–1939). Tondokumente aus dem Phonogrammarchiv der ÖAW. GA der Historischen Bestände 1899–1950, 2004 [3 Cds, 1 CD-Rom, Begleitheft]; J. Pommer in Das dt. Volkslied 8, 9 und 10 (1906–08); F. Scheirl in Das dt. Volkslied 8 (1906); L. Schmidt, Anleitung zur Slg. u. Aufzeichnung des Volksliedes in Österreich 1947; L. Schmidt in Hb. des Volksliedes 21975, 9–24 u. 25–44; Beiträge v. L. Schmidt, D. Schüller u. W. Suppan in W. Deutsch et al. (Hg.), Volksmusik in Österreich 1984; W. Suppan, Volkslied. Seine Slg. u. Erforschung 21978.

Autor*innen
Gerlinde Haid
Letzte inhaltliche Änderung
15.5.2006
Empfohlene Zitierweise
Gerlinde Haid, Art. „Volksliedsammlung‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 15.5.2006, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001e5d4
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10.1553/0x0001e5d4
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