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Wiener St.-Ambrosius-Verein
Cäcilianistisch geprägter Wiener Kirchenmusikverein. Gründer war Jos. Böhm, der aufgrund eines Richtungsstreites den Wiener Cäcilien-Verein verlassen hatte. Sein Ziel war zunächst im November 1880, einen Niederösterreichischen Kirchenmusik-Verein zu gründen, der unter der Aufsicht und dem Schutz der Kirche stehen sollte. Daher wurde vor der Vereinsgründung die Genehmigung des Wiener Fürsterzbischofs eingeholt. Den Gründungsaufruf unterzeichneten neben Jos. Böhm noch O. Müller, F. P. v. Laurencin d’Armond, F. Krenn sowie mehrere Geistliche und Lehrer. Erst nach kirchlicher Genehmigung am 28.12.1880 wurden die Statuten des neuen Vereins, nun Allgemeiner Kirchenmusik-Verein „St. Ambrosius“ in Wien, am 31.12.1880 bei der Behörde eingereicht. Die behördliche Nichtuntersagung der Vereinsbildung erfolgte am 14.1.1881, am 10.2.1881 fand die konstituierende Vereinsversammlung statt. Jos. Böhm wurde am 4.3.1881 zum Vereinskapellmeister (und damit automatisch auch zum Leiter der Vereinsschule), O. Müller zum Chormeister bestellt. Böhm blieb in der Funktion bis zu seinem Tod 1893, Müller schied ca. 1883 aus dem Verein aus; ca. 1890/91 war Josef Piber Chormeister.

Zweck des Vereins war die Kirchenmusikpflege und -förderung „nach dem Geiste und den liturgischen Gesetzen der katholischen Kirche“. Dies sollte durch die Ausbildung von Organisten und Chorsängern in einer Vereinsschule, die Abhaltung von Fortbildungskursen für bereits angestellte Organisten und Chordirigenten, die Bildung eines Vereinschores, die Verteilung und Empfehlung von guten Musikalien, die Erhaltung einer Bibliothek sowie die Verbreitung der Grundsätze katholischer Kirchenmusik in Wort und Schrift bewerkstelligt werden. An der Spitze des Vereins stand die neunköpfige Vereinsleitung. Eine Statutenänderung 1884 betraf v. a. den Vereinschor, der mehr Rechte erhielt (einen Delegierten in der Vereinsleitung) und dessen verpflichtende Auftritte festgeschrieben wurden. Auch war nun die Bildung von Zweigvereinen in Niederösterreich vorgesehen. 1897 kam es zu einer weiteren Revision der Statuten, wodurch die Bildung von Zweigvereinen forciert werden sollte.

Am Ende des ersten Vereinsjahres zählte der Verein insgesamt 245 Mitglieder (19 Spender und Wohltäter, 53 Gründer, 86 unterstützende Mitglieder, 31 beitragende Mitglieder, 56 ausübende Mitglieder [Chorsänger, unter ihnen auch A. Weirich und Jul. Böhm]). 1890 waren es 268 Mitglieder (6 Ehrenmitglieder, 12 Wohltäter, 148 unterstützende Mitglieder, 102 ausübende Mitglieder), 1892 218 (6 Ehrenmitglieder, 18 Wohltäter, 20 Gründer, 92 unterstützende Mitglieder, 9 beitragende Mitglieder, 73 ausübende Mitglieder) und 1894 203 (6 Ehrenmitglieder, 17 Wohltäter, 113 unterstützende Mitglieder, 67 ausübende Mitglieder).

Der dem Verein angeschlossene gemischte Chor nahm im Oktober 1881 seine Probentätigkeit auf und trug ab 1884 den Namen Chorakademie des Ambrosius-Vereines. Im November 1881 kam es zu einem Übereinkommen zwischen Verein und der Kirchenvorstehung der Jesuitenkirche (Wien I), wodurch der Vereinschor die Gestaltung der Hauptgottesdienste in dieser Kirche übernahm. Nach einer Austrittswelle 1887 folgte ab 1891 die Blütezeit der Chorakademie. Es wurden zahlreiche Konzerte gegeben (u. a. im Bösendorfer- und Ehrbar-Saal), bei der nicht nur Kirchenmusik gesungen wurde; auch außerhalb von Wien kam es zu Auftritten (1891 in Baden und Langenlois/NÖ). Bei der Internationalen Ausstellung für Musik- und Theaterwesen 1892 gab es Konzerte der Chorakademie und der Vereinsschule. Das große Echo des Chorkonzerts mit Alter Musik (Choral bis 17. Jh.) war jedoch nicht von Dauer. Bald nach dem Tod von Jos. Böhm löste sich die Chorakademie, die zwischen 1891 und 1894 stets ca. 70 Mitglieder zählte, auf. Noch unter Böhm kam es im Herbst 1893 zur Bildung einer Singgemeinschaft mit dem MGV Arion unter dem Namen Musikgesellschaft für classischen Chorgesang; die Zusammenarbeit dürfte jedoch mit dem Tod Böhms ein rasches Ende gefunden haben. Ein Wiedergründungsversuch der Chorakademie 1898/99 war nicht von Erfolg gekrönt. Trotzdem gab es in der zweiten Hälfte der 1890er Jahre auch Choraufführungen des Vereins (Leiter: Carl Rouland), die vermutlich durch die Schüler der Vereinsschule bewerkstelligt wurden.

Die Anfänge der Vereinsschule sind etwas verworren: Jos. Böhm gründete zunächst im Herbst 1880 eine private Organisten- und Chorregentenschule (Institut für Kirchenmusik, Franziskanerplatz 5, Wien I), die 1881/82 von 34 Schülern besucht wurde. Der Verein selbst hatte dagegen am 19.8.1881 die behördliche Genehmigung zur Führung einer Gesang- und Kirchenmusikschule erlangt, die sich zunächst in der Habsburgergasse 12, ab 1882 in der Annagasse 3 und ab 1885 in der Doblhoffgasse 6/Bartensteingasse 7 (alle Wien I) befand. In dieser wurden 1882/83 212 Gesangschüler (80 Knaben, 120 Mädchen, 12 Herren) und 22 Orgelschüler unterrichtet, 1884/85 waren es ca. 140 Gesangschüler; für das Schuljahr 1882/83 lagen mehr als 400 Anmeldungen vor. Der Unterricht gliederte sich in je zwei Jahrgänge Mädchen- und Knabengesangschule sowie in drei Jahrgänge Organistenschule. 1885 übernahm der Verein schließlich Böhms Schule und vereinigte sie mit seiner eigenen, wodurch nun auch eine Orgel (II/8) von J. M. Kauffmann zur Verfügung stand. Für das Schuljahr 1885/86 wurden 180 Gesang- und 24 Orgelschüler aufgenommen, 1886/87 betrug die Schülerzahl 176. Ab 1890 firmierte die Schule unter dem Namen „Lehranstalt des St. Ambrosius-Vereines für kirchliche Tonkunst“. Nach dem Tod von Jos. Böhm konzentrierte der Verein seine Aktivität fast ausschließlich auf die Fortführung der Schule, deren Aufführungen jedoch zunehmend nur mehr einen internen Charakter bekamen. 1898 erfolgte die Gründung einer Filiale für Kirchenchorsänger in der Pfarre Lichtental (Wien IX). Mit Ende des Schuljahrs 1898/99 verlor die Lehranstalt des Vereins die bis dahin unentgeltlich überlassenen Räume; ob sie danach noch weitergeführt wurde, ist unklar. 1891–93 blieb die Zahl der Vereinsschüler mit ca. 190 sehr konstant, wobei jedoch nur zwischen 20 und 28 Schüler die Orgel- und Chorregentenschule besuchten. In den folgenden Jahren bis 1897 ist ein starker Abfall zu beobachten (1896: 106, davon nur mehr 11 Orgel- und Chorregentenschüler). In ihrem letzten Bestandsjahr besuchten 169 Schüler die Lehranstalt (56 Knaben und 81 Mädchen in den Gesangschulen, 16 Mädchen in der Sologesangschule, 16 Orgel- und Chorregentenschüler).

Die in den Vereinsstatuten verankerten Instruktionskurse für Chorregenten und Lehrer fanden regen Zuspruch. Mehrtägige Kurse gab es 1881 (77 Teilnehmer und 18 Gäste), 1885 (ca. 50 Teilnehmer) und 1891 (in Verbindung mit dem 1. Österreichischen Organisten- und Orgelbauertag, 132 Teilnehmer) in Wien sowie 1893 in Troppau (130 Teilnehmer). Eintägige Veranstaltungen fanden 1882 in Eggenburg/NÖ, 1886 in Tulln und 1893 in Mistelbach statt. Die 77 Teilnehmer (22 Chorregenten und Organisten, 40 Lehrer verschiedener Art, 6 Priester, 9 Theologie-Studenten) am Kurs 1881 kamen aus acht Kronländern (39 aus Niederösterreich, 18 Mähren, 5 Böhmen, 4 Österreichisch-Schlesien, je 2 aus Galizien, Steiermark, Kärnten, 1 Krain) und Ungarn (4). Als Dozenten bei den Instruktionskursen fungierten u. a. Jos. Böhm, P. Ambrosius Kienle OSB, H. Schmitt, O. Müller, F. Krenn, J. Maxincsak, W. Dörr (II), Johann Gustav Eduard Stehle, Heinrich Müller, Jak. Dont, M. Dietz, J. Pembaur, V. v. Rokitansky, A. Duesberg, J. Labor, A. Weirich. Am Lehrplan 1891 standen: Musikpädagogik und Methodik, Repertoire und Aufführung katholischer Kirchenmusik, Geschichte und Literatur des Oratoriums, Partiturlesen und Dirigieren, Geschichte und Literatur der Kirchenmusik, Liturgik, Choral und Kirchenlied, Orgelspiel (Choralharmonisierung, Kirchenliedbegleitung, Modulationslehre, Präludieren).

1885 beschloss der Verein den Anschluss an einen Österreichischen Central-Cäcilienverein, der jedoch nie zum Leben erweckt wurde. Zwei Jahre später kam es zu einem Richtungsstreit innerhalb des Vereins, bei dem wiederum – wie schon 1880 innerhalb des Wiener Cäcilien-Vereins – Jos. Böhm zu den Protagonisten zählte. Präses Gottfried Marschall trat wie auch mehrere Chorakademie-Mitglieder aus dem Verein aus. Marschall, damals Propst an der Votivkirche (Wien IX), wo Th. Kretschmann als Chorregent und K. Hausleithner als Organist wirkten, gründete dort 1889 einen Kirchenmusikverein, der einen Cäcilianismus gemäßigter österreichischer Prägung pflegte. 1906 erfolgte die Auflösung des Wr. St. A.-V.s, da die Fusion mit dem Wiener Cäcilien-Verein zum Allgemeinen Kirchenmusik-Verein bevorstand.

Vereinsfunktionäre (soweit bekannt, z. T. sind die Jahreszahlen nur Nennungen):

Protektor war der jeweilige Fürsterzbischof von Wien.

Vorstand: Don Jakob Bach B (1881), G. Marschall (1882–87), F. Krenn (1887–96), unbesetzt 1896/97, R. v. Kralik-Meyrswalden (1897–1900).

Vorstand-Stellvertreter: F. Krenn (1881–87), P. Hermann Moser OSB (1887–92), Karl Schnabl (1893–1900).

Schriftführer: Anton Podrabsky (1881), Adam Latschka (1881–87), P. J. C. Heidenreich CSSR (1887–89?), Karl Schnabl (1889–92), Wilhelm Michele (1893/94), unbesetzt 1896, J. Mantuani (1897–1900).

Kassier: P. H. Moser (1881–87), Josef Burian (1887–89), Josef Haimer (1893–99).

Leiter der Vereinsschule: Jos. Böhm (1881–93), Jul. Böhm und Moritz Hans Rehbeck (1894–96), C. Rouland (provisorisch 1893–94, 1896–99)

Lehrer an der Vereinsschule: Jos. Böhm (1881–93: Harmonielehre, Kontrapunkt, Orgel, Choralgesang), J. Piber (mind. 1888–92: allgemeine Musiklehre, Chorgesang), O. Müller (ca. 1882: Gesang?), A. Weirich (ca. 1882: Fach?), C. Rouland (mind. 1891–99: allgemeine Musiklehre, Chorgesang; 1895?–99: Methodik des Gesangunterrichts, Gregorianik), Anna v. Baumgarten (mind. 1891–99: allgemeine Musiklehre, Sologesang), Alfred Spengel (1893–94?: Sologesang), J. Labor (1892–99: Orgel, Kontrapunkt), J. Mantuani (1893–99: Liturgik, Musikgeschichte; 1896–99: Musikliteratur), W. Michele (1893–95: Gregorianik), H. Müller (1893–96: Harmonielehre, Kontrapunkt, Orgel), Friedrich Dlabač (1893–95?: Violine), Josef Schmalzhofer (1896–98: Harmonielehre, Kontrapunkt, Orgel; ab 1898 an der Filiale in Wien IX tätig), Josef Čerin (1897?–99: Harmonielehre, Kontrapunkt, Orgel), Franz Bauer (1897?–99: allgemeine Musiklehre, Chorgesang; ab 1898 an der Filiale in Wien IX tätig), J. V. v. Wöss? (wann?: Harmonielehre).

Ehrenmitglieder des Vereins waren u. a. G. v. Preyer, F. Liszt (spendete 50 fl), L. Rotter.

1881–83 erschien das Ambrosius-Blatt als Vereinsorgan. Die ab 1886 erscheinende Zeitschrift Harmonia sacra fungierte ab 1891 auch als offizielles Organ des Vereins. 1897 erschienen angeblich kurzzeitig Mittheilungen des Ambrosius-Vereines. Der Verein gab ab 1883 die Reihe Album für Kirchenmusik heraus, von der acht Lieferungen nachweisbar sind (Werke von G. v. Preyer, Ferdinand Schaller, Moritz Brosig, J. G. E. Stehle, Carl Greith, F. Schöpf, Thaddäus Koenig).


Literatur
M. Cuderman, Der Cäcilianismus in Wien und sein erster Repräsentant am Dom zu St. Stephan August Weirich, Diss. Wien 1960, 47–70; Jahresberichte des Vereins (1881, 1882, 1884, 1885, 1891, 1893, 1894, 1896–99); Ambrosius-Bl. Wr. Zs. f. katholische Kirchenmusik 1 (1881) – 3 (1883); Wr. Bll. f. katholische Kirchenmusik 3 (1880/81); W. Sauer in Kirchenmusikalisches Jb. 63/64 (1979/80); E. Tittel in Chorbll. 5 (1950); Das Vaterland 31.10.1880, 5f, 7.7.1881, 4f, 24.7.1881, 6, 10.8.1881, 4, 4.2.1882, 5, 25.11.1882, 6, 5.8.1883, 4, 14.8.1884, 5, 28.8.1885, 5, 8.9.1885, 10, 10.10.1886, 9, 13.5.1887, 1, 16.12.1887, Beilage, 3, 15.3.1888, 5f, 4.5.1890, 6f, 25.9.1890, 14, 4.6.1891, 4, 27.8.1891, 6, 31.3.1893, 1f, 9.7.1893, 6, 20.9.1893, Abendbl., 4, 3.10.1893, Abendbl., 4, 24.1.1894, 7, 14.9.1894, 6, 15.5.1895, Morgenbl., Beilage, I, 25.11.1895, 3, 3.4.1897, Abendbl., 3, 14.4.1897, 2, 20.3.1898, Beibl., V, 18.2.1899, 6, 9.7.1898, Abendbl., 3, 4.7.1899, 5, 18.11.1900, 1; NFP 28.4.1881, 6; Wr. Ztg. 28.4.1881, 3, 2.7.1881, 4, 13.7.1882, 2, 25.8.1882, 3, 9.7.1885, 2, 26.8.1885, 3, 3.9.1891, 2; Die Presse 24.8.1880, 8, 15.7.1881, 11, 4.7.1885, 11, 31.5.1891, 8, 20.7.1893, 9f; Neuigkeits Welt-Bl. 12.9.1880, 3, 28.7.1881, [23], 6.8.1887, [11], 22.7.1893, [10]; Wr. Diöcesanbl. 1882, 152f; Extrapost 31.8.1891, 1f; Dt. Volksbl. 3.9.1891, 9, 24.6.1893, 9, 11.7.1893, 5, 23.4.1896, 9, 2.7.1899, 10; Wr. Montags-Journal 16.10.1893, 5;Reichspost 15.7.1897, 5, 16.9.1897, 3, 24.11.1897, 1, 1.8.1899, 6; Fromme’s musikalische Welt 6 (1881) – 26 (1901); Statuten des Allgemeinen Kirchenmusik-Vereines „St. Ambrosius“ in Wien 1890; NÖLA (Vereinsstatuten 1855–1935/40, K 3983); eigene Recherchen (Kataloge ÖNB-Musikslg.; Lehmann-Adressbücher).

Autor*innen
Christian Fastl
Letzte inhaltliche Änderung
24.11.2021
Empfohlene Zitierweise
Christian Fastl, Art. „Wiener St.-Ambrosius-Verein“, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 24.11.2021, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x003ac72c
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10.1553/0x003ac72c
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