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Wiener Tonkünstler-Verein
Aus einer von J. Epstein und A. Door 1879 ins Leben gerufenen, von J. Brahms oft besuchten geselligen Runde, die wöchentlich (zunächst in Hotels, dann im „Parterre des Musikvereinsgebäudes“, Wien I, Canovagasse 4) zwanglose Musikerzusammenkünfte veranstaltet hatte, hervorgegangener, am 23.11.1885 von 63 Musikern in Wien gegründeter „Gegenverein“ zum Wiener Akademischen Wagner-Verein . Der Wr. T.-V. verschrieb sich im Gegensatz zu diesem v. a. der Förderung der „Werke der modernen [im „traditionellen“ Stil] schaffenden Künstler“ bzw. der älteren weniger bekannten, aber auch den geistigen und materiellen Interessen (selbst eine Altersversorgung war im Gespräch) von Komponisten und der Betreuung „fremder Künstler“. Der „1. Ausschuss“ (alle Mit-Gründer) bestand aus W. Jahn, H. Richter, J. N. Fuchs, A. Door, J. Epstein, Jos. Gänsbacher, H. Grädener, Th. Leschetizky, L. Bösendorfer, R. Hirschfeld und Julius Winkler. H. Grädeners Versuche, bald nach der Gründung zwischen den „Parteien“ zu vermitteln, schlugen fehl. Präsidenten waren W. Jahn (1885/86), K. Goldmark (1886/87), J. Epstein (1887/88), J. M. Grün (1888/91), A. Door (1891–96 und 1903–06), R. v. Perger (1896/98), E. Mandyczewski (1898/99), R. Heuberger (1899–1903), B. Walter (1906–08) und Wilhelm Bopp (1908–12). Es wurden regelmäßig Konzerte (meist ein Dutzend pro Saison), „musikliterarische Vorträge“ und mehrere Kompositions-Preisausschreibungen (Wettbewerbe) veranstaltet: 1886 für Streichquartett (1. Preis J. Zellner), 1888 für gemischte Chöre a cappella (Preise für H. v. Koessler und G. Jenner), 1891 für Kammermusik, Klavier und andere Instrumente (1. Preis J. Zellner), 1893 für Vokalkompositionen von mehr als zwei Stimmen mit Klavierbegleitung (1. Preis K. v. Escherich), 1896 für Kammermusik mit Blasinstrumenten (3. Preis A. Zemlinskys Trio d-Moll op. 3 für Klarinette, Violoncello und Klavier), 1900 für Liederzyklen (ohne Preise; A. Schönberg beteiligte sich mit Gurresange, einer Vorform der Gurre-Lieder), 1910 für ein Lied (1. Preis dreigeteilt), ein Klavierstück (ebenso) und für eine Komposition für Streich- oder Blasinstrumente (1. Preis A. J. Scholz). Zwischen den Vereinsmitgliedern wurde heftig um die Qualität der eingereichten Stücke, aber auch um die Rangordnung gestritten. Schon 1886 wurde J. Brahms, der viele seiner noch ungedruckten Werke im Wr. T.-V. aufführte bzw. aufführen ließ, zum Ehrenpräsidenten gewählt; nach seinem Tod fand alljährlich ein besonderer Musikabend ausschließlich mit seinen Werken statt. Der in den Augen der Anhänger A. Bruckners als „Hochburg der Bruckner-Gegnerschaft“ geltende Wr. T.-V. gratulierte trotzdem Bruckner 1894 zu dessen 70. Geburtstag „mit der grössten Verehrung und Hochachtung“ und mit seinem „herzlichsten collegialen Gruss“: Unterschrieben von J. Brahms, I. Brüll, Hugo Conrat, A. Door, A. J. Gutmann, R. Heuberger, G. Jenner (damals auch Schriftführer des Vereins), E. Kremser, E. Mandyczewski, K. Nawratil, J. Zellner. Im Laufe der Vereinsgeschichte zählten u. a. R. Batka, J. Bittner, der auch dem Wagner-Verein verbunden war, H. Botstiber, F. Buxbaum, R. Dittrich, A. Finger, der Max Reger im Rahmen des Wr. T.-V.s in Wien einführte, J. Förster, V. Goller, F. Haböck, E. Hertzka, V. Keldorfer, K. Lafite, K. Prohaska, R. Robert, L. Rochlitzer, R. Specht, M. Spörr, R. Stöhr, E. Wellesz, J. V. v. Wöss, A. Wunderer sowie A. Schönberg (ab 1899) und A. Zemlinsky (unter Heuberger Vizepräsident) zu den Vorstandsmitgliedern (und z. T. auch zu den verschiedenen Wettberwerb-Jurys). Zu den Ehrenmitgliedern zählten L. Bösendorfer, A. Door, J. Epstein, R. Fuchs, J. Gänsbacher, R. Heuberger, K. Goldmark (1911 auch Ehrenpräsident), J. M. Grün, Th. Leschetizky und E. Mandyczewski. Zu den bald 126, um 1900 bereits 246 ordentlichen und 118 außerordentlichen Mitgliedern (darunter auch viele Frauen) – 1910 waren es 198 ordentliche, 39 außerordentliche – zählten fast alle wichtigen Wiener Musiker ihrer Zeit, z. T. durchaus nicht mehr einer „Partei“ zugehörig. An auswärtigen Gästen konnten u. a. H. v. Bülow, J. Joachim, F. Liszt, A. Rubinstein, Philipp Spitta, K. Szymanowski und Peter I. Tschaikowsky begrüßt werden. A. Zemlinsky (Klavierschüler von A. Door), 1893–1903 Mitglied, konnte einige seiner Kammermusikwerke bei den bis in die 1920er Jahre verfolgbaren (z. T. „internen“) Konzerten des Wr. T.-V.s aufführen. Er empfahl auch frühe Werke seines Schülers A. Schönberg zur Aufführung (1898 dessen D-Dur-Streichquartett, 1899 ohne Erfolg allerdings dessen Verklärte Nacht), der schließlich 1918 „seinen“ Verein für musikalische Privataufführungen gründete. – Eine spezielle Arbeit über den Wr. T.-V. steht (2006) noch aus. Nicht zu verwechseln mit dem Wiener Tonkünstlerorchester, das 1920 sogar in einem Konzert des Wr. T.-V.s mitwirkte).
Literatur
M. Menczigar, Julius Epstein, Diss. Wien 1958, 130–138; M. Kalbeck, Johannes Brahms 3/2 (1913), 504ff; Rechenschaftsbericht des Ausschusses [ab 1899: Vorstandes] des Wr. T.-V.s [ab 1908: Jahresbericht des Wr. T.-V.s] 1–28 (1886–1912), zur Gesch. des Vereins besonders 26 (1910); A. Göllerich/M. Auer, Anton Bruckner. Ein Lebens- u. Schaffensbild 4/2 (1936); A. Harrandt/O. Schneider (Hg.), Anton Bruckner, Briefe 2 (2003); eigene Recherchen.

Autor*innen
Uwe Harten
Letzte inhaltliche Änderung
15.5.2006
Empfohlene Zitierweise
Uwe Harten, Art. „Wiener Tonkünstler-Verein‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 15.5.2006, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001e6dd
Dieser Text wird unter der Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 AT zur Verfügung gestellt. Das Bild-, Film- und Tonmaterial unterliegt abweichenden Bestimmungen; Angaben zu den Urheberrechten finden sich direkt bei den jeweiligen Medien.


DOI
10.1553/0x0001e6dd
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