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Zauberspiel
Bezeichnet wie Zauberoper im weiteren Sinn ein Bühnenwerk, das magische Personen und/oder Handlungen zum Inhalt hat. Im engeren Sinn ist damit eine Theatergattung vorwiegend des 18. und 19. Jh.s gemeint, die vielerorts zu finden ist, deren Schwerpunkt aber im katholischen Süden des deutschen Sprachgebiets lag, mit Wien als wichtigem Zentrum (Hein 1991, 62: „Bis in das Frühwerk Nestroys ist das Z. die vorherrschende Gattung des Wiener Volkstheaters ). Z. und Zauberoper lassen sich nicht genau trennen, da fast alle Z.eMusikpassagen enthielten und umgekehrt viele Zauberopern, in der Tradition des deutschen Singspiels, gesprochene Teile. Vielerlei Traditionsströme verbinden sich in der Gattung: mittelalterliche Ritter-Romane, spätmittelalterliche geistliche Spiele, die Zauberstücke der englischen Renaissance (William Shakespeare: A Midsummer Night’s Dream, The Tempest), die immer prunkvolleren Hofopern des Barock mit ihrem enormen Bühnenaufwand, das allegorienreiche und gleichfalls aufwendige geistliche Barock-Drama der Orden (insbesondere Jesuitendrama, aber auch Benediktinertheater u. a.), das italienische Stegreif-Theater der commedia dell’arte sowie das breite Repertoire der englischen, niederländischen, italienischen und deutschsprachigen Wandertruppen. Im Gegensatz zur großen Barock-Oper und zu den fürstlichen und kaiserlichen Huldigungs-Spektakeln, die ursprünglich für ein adliges und höfisches Publikum zur Repräsentation und Selbstbestätigung bestimmt waren, hatten die Zauberstücke ein vorwiegend bürgerliches Publikum. Sie hatten jedoch eine wichtige Gemeinsamkeit: den Einsatz Staunen erregender Bühneneffekte. Die Z.e, die primär der Unterhaltung dienten, waren in Wien eine Domäne der privaten Vorstadttheater: Theater in der Leopoldstadt seit 1741; 1787–1801 Freihaustheater auf der Wieden, ab 1801 Theater an der Wien; Theater in der Josefstadt seit 1788.

Blütezeit der Zauberstücke im süddeutsch-katholischen Raum war die 2. Hälfte des 18. und der Beginn des 19. Jh.s. Ein frühes Erfolgsstück war Ph. Hafners Megära, die förchterliche Hexe 1763. In einem Brief vom 30.1.1768 charakterisierte L. Mozart die Wiener Theaterszene wie folgt: „Daß die Wiener in genere zu reden nicht begierig sind ernsthafte und vernünftige sachen zu sehen, auch wenig oder gar keinen Begriff davon haben, und nichts als närrisches zeug, tanzen, teufel, gespenster, Zaubereyen, Hanswurst , Lipperl, Bernardon , Hexen, und Erscheinungen sehen wollen, ist eine bekannte Sache.“ Dennoch begann, zu einem leider nicht mehr festzustellenden Zeitpunkt, sein Sohn Wolfgang, den Text für ein Z. Die Liebes=Probe zu schreiben (Briefe und Aufzeichnungen, Nr. 1202). Eine gute Vorstellung vom Reichtum der Gattung zu Ende des 18. Jh.s vermittelt das von I. v. Seyfried angelegte chronologische Repertoire-Verzeichnis für die Compagnien eines der damals wichtigsten Theatermänner, nämlich von E. Schikaneder (siehe Sonnek 1999, 291–349). Es umfasst die Jahre 1795–1806 (Freihaustheater auf der Wieden 1795–1801, Theater an der Wien 1801–04, Stadttheater Brünn [Brno/CZ] 1804–06), und es nennt neben ganz vereinzelten Werken von heute noch bekannten Autoren wie Shakespeare, Ch. W. Gluck, G. Paisiello, W. A. Mozart, A. Salieri, Johann Wolfgang v. Goethe oder Friedrich Schiller zahlreiche Bühnenwerke, die als Zauberstücke markiert sind. Für den Zeitraum bis 1799 sind dort folgende, fast allesamt heute vergessene Werke aufgeführt: Astaroth (2 Tle., T: J. Perinet, M: J. J. Haibel, I. v. Seyfried, J. G. Lickl), Das Donauweibchen (C. F. Hensler), Die Eisenkönigin (T: E. Schikaneder, M: J. B. Henneberg), Der erste Kuß (T: M. Stegmayer, M: F. A. Hoffmeister), Fausts Leben Thaten und Höllenfarth (T: Matthäus Voll, T: J. G. Lickl), Der Feenkönig (T: M. Stegmayer, M: I. v. Seyfried), Der Höllenberg oder Prüfung und Lohn (T: E. Schikaneder, M: J. Wölfl), Der Königsohn aus Ithaka (T: E. Schikaneder, M: F. A. Hoffmeister), Der Löwenbrunn (T: E. Schikaneder, M: I. v. Seyfried), Der Mann ohne Kopf (T: J. Perinet, M: J. Wölfl), Mina und Salo oder Die unterirdischen Geister (T: Friedrich Sebastian Mayer, M: Komponist unbekannt), Oberon, König der Elfen (T: Christoph Martin Wieland, K. L. Gieseke, M: P. Wranitzky), Orion, oder Der Fürst und sein Hofnarr (T: J. Perinet, M: I. v. Seyfried), Die Pfaueninsel (T: K. L. Gieseke, M: I. v. Seyfried, M. Stegmayer), Rosalinda oder Die Macht der Feen (T: F. S. Mayer. M: F. A. Hoffmeister), Der Spiegel von Arkadien (T: E. Schikaneder, M: F. X. Süßmayr), Der Stein der Weisen oder Die Zauberinsel (T: E. Schikaneder, M: verschiedene Komponisten, darunter möglicherweise Mozart), Der wohltätige Derwisch (T: E. Schikandeder, M: verschiedene Komponisten), Das Ungeheuer oder Der Bauer als König (T: K. L. Gieseke, M: F.Seydelmann), Der Zauberdrachen (T: Friedrich Sprenger, M: Komponist unbekannt), Der Zauberpfeil oder das Kabinett der Weisheit (T: E. Schikaneder, M: J. G. Lickl), Zelma und Azir oder Der Sieg wahrer Liebe (T u. M: Jospeh Franz Körner).

Am öftesten erscheint auf dieser Repertoire-Liste jedoch Die Zauberflöte, der absolute Hit von Schikaneders Theater, ferner ab 1798 deren 2. Teil Das Labyrinth oder der Kampf mit den Elementen (T: E. Schikaneder, M: P. v. Winter). Die Zauberflöte von Mozart/Schikaneder ist unbestreitbar der erste Gipfelpunkt der Gattung Z./Zauberoper; sie weist alle inhaltlichen Merkmale auf: Liebespaare unterschiedlichen Standes als Zentralmotiv (zuerst getrennt, dann im Happy End vereint), Kampf zwischen Gut und Böse, überirdische Hilfe, zauberkräftige Talismane und Tiere. Ein Komponist von zahlreichen Zauberstücken, der nicht in Schikaneders Repertoire erscheint, ist W. Müller, der vorwiegend für das Leopoldstädter Theater in Wien, also Schikaneders Konkurrenz, arbeitete: Kaspar der Fagottist oder Die Zauberzither 1791 (T: J. Perinet, wohl zu Unrecht früher als Konkurrenzstück zur Zauberflöte angesehen); Der Sturm oder Die bezauberte Insel 1798 (nach Shakespeare); später – nach einem mehrjährigen Engagement in Prag – kam W. Müller wieder zurück nach Wien und schrieb u. a. die Musik für Stücke von A. Bäuerle (Doktor Fausts Mantel 1817, Aline oder Wien in einem anderen Welttheile 1822, Lindane oder Die Fee der Haarbeutelschneider), von K. Meisl (Die Fee aus Frankreich oder Liebesqualen eines Hagestolzen 1821) sowie von Joseph Schickh (Der Sieg des guten Humors oder Die Lebenslampen 1831).

Im frühen 19. Jh. wurden die Zauberstücke zunehmend mit romantisch-bürgerlichen Familien- und Moral-Themen verbunden. Ferner bekamen sie parodistische Züge, etwa: Orpheus und Euridice (T: K. Meisl, M: F. Kauer), Der Hölle Zaubergaben (T: J. A. Gleich/M: W. Müller) und Geist der Vernichtung und der Genius des Lebens (J. A. Gleich) sowie Der Waldbrand oder Jupiters Strafe (T: Johann Eduard Gulden, M: Th. N. Nidecki). Die Wiener Vorstadtbühnen wurden bis in die 1830er Jahre insgesamt von den sog. Großen Drei beherrscht, die etwa 500 Stücke verfassten: J. A. Gleich, K. Meisl und A. Bäuerle. Ein zweiter Höhepunkt der Gattung sind die bis heute (2006) aufgeführten Z.e von F. Raimund, natürlich jeweils mit Musik und zwar häufig wiederum von W. Müller: Der Barometermacher auf der Zauberinsel, Moisasurs Zauberfluch, Der Diamant des Geisterkönigs, Das Mädchen aus der Feewelt oder Der Bauer als Millionär, Die gefesselte Phantasie, Der Alpenkönig und der Menschenfeind, Die unheilbringende Zauberkrone. J. N. Nestroy knüpfte mit seinem Lumpazivagabundus (1835) und einigen anderen Stücken an diese Tradition an, ging dann aber eigene Wege und wurde u. a. auch Spezialist für parodistische Stücke, allerdings ohne Zauberthematik; für 41 seiner Stücke schrieb Ad. Müller sen. die Musik, der insgesamt die erstaunliche Anzahl von etwa 580 Bühnen-Partituren und etwa 4.500 Einzelnummern komponierte. Nestroy steht keineswegs, wie immer wieder behauptet wird, am Ende des Wiener Volkstheaters insgesamt, er markiert aber die auslaufende Tradition des Z.s. Eine großformatige und sehr späte Zauberoper war nach Jahrzehnten Die Frau ohne Schatten von H. v. Hofmannsthal und R. Strauss (1919). Nicht zur Gattung Z./Zauberoper werden üblicherweise die romantischen Opern mit Zaubermotiven gerechnet (E. T. A. Hoffmann und A. Lortzing, Undine, Engelbert Humperdinck, Hänsel und Gretel), aber auch nicht Werke wie Rich. Wagners an Zauber und Magie wahrlich nicht armer Ring des Nibelungen, der seine Quellen v. a. in der nordischen Sagen-Überlieferung hat.


Literatur
Lit (chron.): W. Krone, Wenzel Müller 1906; M. Enzinger, Die Entwicklung des Wr. Theaters vom 16. bis zum 19. Jh., 2 Tle. 1918/19; F. Hadamovsky, Das Theater in der Wr. Leopoldstadt 1934; O. Rommel, Das parodistische Z. 1937 [Texte]; O. Rommel, Die romantisch-komischen Original-Z.e 1939 [Texte]; O. Rommel, Die Altwiener Volkskomödie 1952; A. Bauer, Das Theater in der Josefstadt zu Wien 1957; H. Kindermann, Theatergesch. Europas. III: Das Theater der Barockzeit, V: Von der Aufklärung zur Romantik 2 (1962); F. Hadamovsky, Das Theater an der Wien 1962; J. Hein, Ferdinand Raimund 1970; H.-A. Koch, Das dt. Singspiel 1974; B. v. Seyfried, Ignaz Ritter v. Seyfried 1990; J. Hein, Johann Nestroy 1990; J. Hein, Das Wr. Volkstheater 21991; [umfassender Forschungsbericht mit bibliographischen Angaben]; B. Heinel, Die Zauberoper. Studien zu ihrer Entwicklungsgesch. anhand ausgewählter Beispiele von den Anfängen bis zum Beginn des 19. Jh.s 1994; A. Sonnek, Emanuel Schikaneder 1999; H. Bartnig (Hg.), Zauberoper – Zauber der Oper. Oper aktuell: Die Bayerische Staatsoper 2005/6 (2005).

Autor*innen
Ulrich Müller
Letzte inhaltliche Änderung
15.5.2006
Empfohlene Zitierweise
Ulrich Müller, Art. „Zauberspiel“, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 15.5.2006, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001e77c
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