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Mysterienspiel
Gebildet vom theologischen Fachterminus mysterium, der speziell für die Ereignisse aus dem Leben Jesu Christi in Hinblick auf deren Heilsbedeutung gebraucht wird (Synonyma: figura, typus). Statt M. sind besser der literaturhistorische Gattungsbegriff Geistliches Spiel oder dessen Subtermini (Oster-, Passions-, Weihnachts-, Legendenspiel usw.) zu verwenden. Das Geistliche Spiel, dessen Geschichte in Österreich 1751 durch obrigkeitliches Verbot abgebrochen wurde, lebte im 20. Jh. nach dem Vorbild der Passionsspiele von Oberammergau/D, die als einzige im Alpenraum eine ununterbrochene Aufführungstradition besitzen, wieder auf. Ein Entwicklungsstrang führte vom Passionsspiel zum Volksschauspiel, „einem nichtprofessionellen, außerhalb des Theaterbetriebes vollzogenen Rollenspiel in der Muttersprache, das diejenigen tragen, die in einem Kulturfeld stehen, das zu Normen- und Ordnungsgefügen (Brauchtum) geronnen ist“ (Aust/Haida/Hein). Wegen des damit in verschiedenem Grade verbundenen Dilettantismus möchten professionelle Dichter ihre Werke bisweilen nicht als M. bezeichnet wissen. Die nicht-aristotelische Dramaturgie des Geistlichen Spiels hat die Theater-Reformen M. Reinhardts und H. v. Hofmannsthal sowie die Ausbildung des epischen Theaters inspiriert. Musterbeispiele dafür sind der Jedermann (auf die Moralität Everyman zurückgehend, aber durch die Betonung der inneren, gnadenhaften Verwandlung als M. umgestaltet) und das Salzburger Große Welttheater. Am ehesten findet sich das Vorbild des mittelalterlichen M.s weitergeführt bei R. v. Kralik in dessen Osterfestspielen (1895). Kralik verfasste, nach dem Vorbild der barocken Ordensdramatiker, auch die Musik selbst. Obwohl das M. die einzige Gattung des modernen Sprechtheaters ist, die ohne Musik undenkbar ist, ist es nicht nennenswert musikalisch produktiv geworden. Meist wird ältere Musik bloß arrangiert oder nachempfunden, um die meist mittelalterliche Aura des Spiels zu suggerieren. Eine Ausnahme ist G. Wimbergers Musik zum Jedermann (1983). Eine bemerkenswerte Anverwandlung des M.s ist M. Reinhardts und Franz Werfels Bible-show mit der Musik K. Weills (The eternal road, UA 1937; EA in dt. Sprache 1999). Getrennt vom Geistlichen Spiel lief die Geschichte des Totentanzes, der auf die Bildunterschriften der bildlichen Totentänze zurückgeht. Eine moderne Adaption ist der Füssener Totentanz (T: R. Bletschacher, M: I. Eröd, UA Ossiach 1992).
Literatur
E. Schönwiese, Das Volksschausspiel im nördlichen Tirol. Renaissance u. Barock 1975; H. Aust et al., Volksstück. Vom Hanswurstspiel zum sozialen Drama der Gegenwart 1989; H.-J. Olszewsky in Biographisch-Bibliographisches Kirchenlex. 4 (1992) [Kralik]; M. P. Steinberg, Ursprung und Ideologie der Salzburger Festspiele. 1890–1938, 2000; P. Csobádi (Hg.), [Kgr.-Ber.] Welttheater, Mysterienspiel, rituelles Theater: „Vom Himmel durch die Welt zur Hölle“. Salzburg 1991, 1992; J. Beniston, Welttheater: Hofmannsthal, Richard von Kralik, and the revival of Catholic drama in Austria, 1890–1934, 1998.

Autor*innen
Petrus Eder
Letzte inhaltliche Änderung
14.3.2004
Empfohlene Zitierweise
Petrus Eder, Art. „Mysterienspiel‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung: 14.3.2004, abgerufen am ), https://dx.doi.org/10.1553/0x0001dac1
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