Klangreihenlehre
Tonsatzsystem, das man als dritte Wiener Richtung der Zwölftonmusik bezeichnen könnte; von J. M. Hauer ausgelöst und von O. Steinbauer nach 1935 entwickelt. Von diesem in einem unveröffentlichten Buch und etwas mehr als 30 Kompositionen niedergelegt, will es nach A. Schönberg wieder eine Satzlehre im herkömmlichen Sinne bieten, nämlich für die zwölftönige Skala das leisten, was Kontrapunkt und Harmonielehre für die siebentönige waren. Ansätze hiezu finden sich bereits in Steinbauers Buch Das Wesen der Tonalität (1928): Analog zur ergänzenden Gegensätzlichkeit von Dur und Moll bestimmt er hier die Tonalität durch jeweils gleich gebaute Skalen nach oben und unten bzw. Ober- und Unterdominanten eines Zentraltons sowie von dessen Ober- und Untermedianten aus. Z. B. ergeben von c aus diese Töne f und g, von e aus a und h sowie von as aus des und es, die zusammen einen Ganztonakkord ergeben (f-g-a-h-cis-dis), der durch einen ebenso gebauten zum zwölftönigen Total ergänzt werden kann (sog. Gegendominanten). Um den letzten Rest von Tonartbezogenheit der an den Klaviertasten orientierten Zwölftonschrift Hauers zu tilgen, entwickelte Steinbauer eine neuepanchromatische, um Missverständnisse zu vermeiden, führte er auch neue Begriffe ein: Tonwurzel anstatt Ton (unbeschadet der Oktavlage), Akkordwurzel (zusammengesetzt aus Tonwurzeln), Akkordfeld (Gesamt von Ton- bzw. Akkordwurzeln). Als Orientierungsstruktur für ein Akkordfeld, das stets als eine sowohl vertikal wie linear zu betrachtende Abfolge gesehen wird, gilt das sog. panchromatische Prinzip (d. i. die Neutralität der zwölf Töne der chromatischen Skala), deren Grundidee – unter Bezugnahme auf Hauer, H. Schenker und Paul Hindemith – im „sukzessiven Berührungseffekt der einzelnen Tonwurzeln“ besteht. Bei der eigentlichen Komposition sind analog zu Hauers Handwerkslehre Rohmaterial und Gestaltung so weit geschieden, dass sie in einem zweiten Akt ineinander übergeführt werden müssen: Ausgangspunkt ist eine Klangreihe, das ist „der nach einer Zwölftonreihe orientierte Abschnitt eines Akkordfeldes. Sie wird entweder während des Kompositionsaktes erstellt oder vor Beginn desselben festgelegt“. Der weitere Vorgang läuft dann anders, v. a. weniger restriktiv ab als bei Hauer und lässt verschiedene Stile zu. Hauers weltanschaulich-spekulative Seite wird also beiseite gelassen und gleichsam wieder auf das kompositorisch-Technische reduziert. Das bedeutet allerdings nicht, dass sämtliche Nebenerscheinungen Hauerscher Prägung ebenfalls weggefallen wären. Steinbauers Werk wurde zeitweise von einem Verein am Seminar für Klangreihenkomposition weitergeführt, wo man Ergebnisse und Vorschriften, v. a. aber die weitgehende Leugnung von Entwicklungsmöglichkeiten durch Steinbauer selbst etwas relativierte.
Literatur
H. Neumann (Hg.), Die Klangreihenkompositionslehre nach Othmar Steinbauer (1895–1962), 2 Tle. 2001; MGÖ 3 (1995).
H. Neumann (Hg.), Die Klangreihenkompositionslehre nach Othmar Steinbauer (1895–1962), 2 Tle. 2001; MGÖ 3 (1995).
Autor*innen
Rudolf Flotzinger
Letzte inhaltliche Änderung
25.4.2003
Empfohlene Zitierweise
Rudolf Flotzinger,
Art. „Klangreihenlehre“,
in: Oesterreichisches Musiklexikon online, begr. von Rudolf Flotzinger, hg. von Barbara Boisits (letzte inhaltliche Änderung:
25.4.2003, abgerufen am ),
https://dx.doi.org/10.1553/0x0001d480
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